Raus aus der Kirche
Eigentlich müsste man aus der Kirche heraus gehen am Erntedank-Sonntag. Aufs Kartoffelfeld vom Bio-Bauern, Erdäpfel ernten und danken. Sich die Hände schmutzig machen und das Wunder betrachten: dass es trotz kaltem Frühjahr, anhaltender Nässe und heißem Sommer Erdäpfel zu ernten gibt - wiewohl in diesem Jahr weniger als sonst. Nach dem Betrachten, Singen und Segnen würde dann geschnippelt und bald könnten alle gemeinsam Kartoffelsuppe essen. Lecker.
Oder ein Gottesdienst auf einer Apfelbaum-Wiese. Äpfel ernten und Gott danken für diese Früchte. Wer in der Gemeinde hat einen schönen Apfelbaum im (Schreber-)Garten und kann sich vorstellen, die Gemeinde (oder vielleicht auch nur eine Kindergartengruppe) zu einem solchen Ernte-Dank-Gottesdienst einzuladen? Zugegeben, solche Gottesdienste außerhalb sind nicht ganz leicht zu organisieren. Bei den Wetterverhältnissen in Mitteleuropa braucht man wohl ein paar einfache Zelt-Pavillons für alle Fälle. Und für die Musik wären zum Beispiel Akkordeon und/oder Geige ausgesprochen passend. Ein Altar lässt sich aus Obstkisten bauen – das kann sogar die Ouvertüre sein: den Altar bereiten, mit einem selbst gebundenen Kreuz, einer Kerze im Glas und Brot und Wein. Die Mühe wird sich wahrscheinlich lohnen: Solch ein Gottesdienst stiftet Kontakte, prägt sich ein und hat eine besondere (Tiefen-)Wirkung. Alle diejenigen, die immer wieder sagen, sie fühlten sich Gott in der Natur näher als in der Kirche, werden in besonderer Weise angesprochen und der Bauer oder die Gartenbesitzerin fühlen sich geehrt von der Aufmerksamkeit. Unter dem Segen wachsen alle Beteiligten ein Stück weit über sich hinaus - nicht nur die Bäume.
Dank ernten
Wer den Erntedank doch lieber in der Kirche feiert, könnte nun das ganze Thema ja mal umdrehen: Aus "Ernte-Dank" wird „Dank ernten“. Oder vielleicht, was man sonst noch ernten kann: Lob, Anerkennung, Applaus, ... Und wer soll das ernten können? Es gibt immer wieder Leute in der Gemeinde, die selten im Fokus stehen, denen Dank und Zuspruch gut tun. Zum Beispiel die Erzieherinnen und Erzieher des Gemeinde-Kindergartens. Sie, die in diesem Jahr soviel Wandel stemmen mussten. Umbau, Ausbau, Krippen-Einrichtung, neue Konzepte, Hygiene- und Brandschutz-Vorschriften, Portfolios und vieles mehr...
Da könnte ein kleiner, spontan zusammengerufener Eltern-Gemeinde-Chor doch mal ein Danklied anstimmen. Und die Predigt könnte sich vielleicht auch der Verwandtschaft von "Denken" und "Danken" widmen. Denn "Danken" geht ja nicht ohne "Denken an…". Genau Hinschauen und bedenken, ###mehr-artikel### wofür es zu danken gilt. Bei Erzieherinnen und Erziehern wären das zum Beispiel die unzähligen täglichen Handgriffe, das Anregen und Aufräumen, das Basteln und Dokumentieren, das Wischen und Trösten, Lachen und Knuddeln, Essen austeilen und Streit schlichten, auf den Arm nehmen und Windeln wechseln, ermuntern und ermahnen und nicht zu vergessen die kürzeren und längeren Beratungsgespräche mit Eltern… - ja, schon alleine die Aufzählung der vielen Tätigkeiten kann eine Predigt sein. Ein öffentliches Erkennen und Anerkennen!
Dem Nächsten danken heißt Gott danken
Natürlich sollte auch solch ein Erntedank-Familien-Gottesdienst sinnliche Elemente enthalten. Man könnte im Vorlauf die Schulkinder in der Kindertagesstätte bitten, jeweils eine Tätigkeit ihrer Erzieherin zu malen, die Bilder anschließend einscannen und im Gottesdienst projizieren.
Und wo bleibt Gott? Richtet sich Erntedank nicht hauptsächlich an Gott? Heißt es nicht: "Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt oh Gott von Dir - wir danken dir dafür"? Im Erkennen und Benennen der guten Gaben unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter danken wir Gott. Wer glaubt, dass wir Gottes Geschöpfe sind, dankt doch zugleich Gott, wenn er seinem Nächsten dankt. Denn – das gilt es immer wieder zu erinnern – wir sind schließlich nach seinem Ebenbild geschaffen.
Die Natur in die Kirche holen
Wer nun aber doch den Bezug zur Natur im Erntedank-Gottesdienst wünscht, könnte vielleicht Folgendes angehen: Man nehme einige Beutel Kresse-Samen und ein richtig großes Backblech, das gut auf den Altar passt. Dann: Saaterde auf das Blech (Achtung, nicht mogeln: nicht hygienisch einwandfreie Styropor-Watte, auf der die Kresse im Supermarkt wächst) und die Kresse einsäen. Dann sieben Tage hegen und pflegen (oder von Konfirmandinnen oder Kindergottesdienstkindern pflegen lassen) und zum Gottesdienst das Kressebeet auf den Altar stellen. Daneben zwei große Scheren. So lässt sich direkt auf dem Altar eine Handvoll Kresse ernten. Daneben könnte man auch noch eine Schale mit "Salz des Lebens" stellen – so hätte man etwas von den gegensätzlichen Elementen, die sich ergänzen und erst zusammen einen guten Geschmack ergeben.
Vom Kreislauf des Brotes und dem Segen
Wer sich schließlich näher an das symbolträchtige Grundnahrungsmittel Brot und dessen Kreislauf annähern will, könnte dieser Idee nachgehen: Im Bioladen ein Pfund Sprießkornweizen besorgen, diesen wiederum auf Saaterde auf einem großen Backblech aussäen – und nach zehn bis vierzehn Tagen ist dort ein kleines grünes Weizenfeld gewachsen, so wie im Frühjahr. Daneben beim Bio-Bauern eine Korngarbe erfragen. Und dann im Kindergarten oder in der Gemeinde herumfragen, wer vielleicht ein Brot backen möchten. Im Erntedank-Gottesdienst ließe sich dann der ganze Kreislauf - vom Säen über die Ernte bis zum Verzehr - sinnlich und buchstäblich erfahren. Dazu ein einfaches Gebet: "Brot vom Korn, Korn vom Licht, Licht von Gottes Angesicht. Amen. – und nun esset und schmecket alle davon." So könnte der Gottesdienst mit Brot und Saft des Lebens abschließen. Und alle gesammelten Garben und Gaben könnten gesegnet werden, um uns Lebenskraft zu spenden für die kommende kältere Jahreszeit.