Die ersten beiden Krimis mit Anna Loos als Düsseldorfer LKA-Kommissarin Helen Dorn hat Matti Geschonneck inszeniert; die Drehbücher stammten von Magnus Vattrodt. Zu den gemeinsamen Werken dieses Duos gehören so herausragende Fernsehfilme wie der vielfach ausgezeichnete Thriller "Das Ende einer Nacht" oder zuletzt das Nachkriegsdrama "Das Zeugenhaus". Beim dritten Fall der von Anna Loos mimisch extrem sparsam verkörperten Ermittlerin hat das Team hinter der Kamera gewechselt. Der Qualität hat das keinen Abbruch getan, zumal Regisseur Markus Imboden, dessen beste Arbeiten nach Drehbüchern von Holger Karsten Schmidt entstanden sind ("Mörder auf Amrum"), ebenfalls ein Meister seines Fachs ist. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist "Bis zum Anschlag" ein anderer Film geworden.
Eine arrangierte Entführung
Am offenkundigsten ist der Wechsel des Genres (Buch: Nils-Morten Osburg): Anders als bisher liegt der Reiz der Geschichte nicht in der Fahndung nach einem Mörder, sondern in dem Versuch der Polizei, ein Verbrechen zu verhindern; der Film ist also eher Thriller als Krimi. Der Täter ist von Anfang an bekannt, was die Spannung jedoch keinen Deut schmälert: Ising (Joachim Król), ein bis dahin völlig unbescholtener Arzt, hat eine Entführung arrangiert. Mit diesem Verbrechen beginnt die Handlung, und obwohl der Mann jedes Detail akribisch geplant hat, gibt es innerhalb weniger Filmmomente zwei Tote. Die Opfer des Kidnappings sind ein Lehrer (Barnaby Metschurat) und seine elfjährige Tochter. Der Mann ist Schießsportler und in seinem Club einer der besten Schützen für lange Distanzen; Ising will ihn ähnlich wie in dem John-Badham-Thriller "Nick of Time" (1995) dazu zwingen, jemanden zu erschießen.
Es sind vor allem zwei Aspekte, die "Bis zum Anschlag" sehenswert machen. Zum Einen verteilen Imboden und Osburg die Spannung geschickt auf mehrere Ebenen: Dorn sucht Ising, ihr Kollege Georgi (Matthias Matschke) sucht das Mädchen; derweil bereiten sich der Arzt und sein Entführungsopfer auf den Anschlag vor. Zwischendurch schaut der Film immer wieder mal bei dem Kind vorbei, dass drauf und dran ist, sich aus der Gewalt seines Aufpassers (Oliver Broecker) zu befreien. Erst recht sehenswert aber wird der Thriller durch die Besetzung des Gegenspielers. Es ist ja ohnehin reizvoll, wenn ein Darsteller wie der freundliche Joachim Król einen Schurken verkörpert; von seinen diversen Kommissarsrollen der letzten 15 Jahre (Donna Leons Brunetti, Luther aus Essen, "Tatort") ganz zu schweigen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hier passt er ganz wunderbar zu dem freundlichen und höflichen Biedermann aus dem Vorort, der nach dem Drogentod seiner Tochter nichts mehr zu verlieren hat, was ihn aus Sicht der Polizei natürlich umso gefährlicher macht. Außerdem verkörpert Król ganz großartig, wie dem Arzt mehr und mehr die Kontrolle entgleitet, obwohl sein Plan eigentlich perfekt war. Die handwerkliche Umsetzung des Films (Bildgestaltung: Stéphane Kuthy) ist im besten Sinne routiniert, die Musik (Martin Probst) passt perfekt, und dass die beiden Ermittler diesmal ganz ohne Privatleben auskommen, schadet der Geschichte nicht; auch wenn die Gastauftritte von Ernst Stötzner als Dorn Senior eine Bereicherung waren.