Rund 35.000 Menschen haben am Samstag in Dresden für Weltoffenheit und Toleranz demonstriert. Zu der Kundgebung auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche hatten unter anderem Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (beide CDU) aufgerufen. Sie reagierten damit auf die seit Wochen anhaltenden Demonstrationen der islam- und asylkritischen "Pegida"-Bewegung in der sächsischen Landeshauptstadt.
Demonstration startet mit Schweigeminute für Pariser Terroropfer
Zum Auftakt der Kundgebung gedachten die Demonstranten mit einer Schweigeminute der Terroropfer von Paris. Auf Plakaten stand unter anderem "Keine Toleranz der Intoleranz" und "Ich bin Charlie", in Erinnerung an den Anschlag auf das französische Satire-Magazin "Charlie Hebdo". An der Demonstration vor der Frauenkirche nahmen auch die beiden Dresdner Bischöfe Jochen Bohl und Heiner Koch teil.
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Tillich sagte auf der Kundgebung, "wir werden uns durch feige Angriffe von Terroristen unsere gemeinsamen Werte und Rechte nicht nehmen lassen". Es gelte "null Toleranz gegenüber politischen und religiösen Extremisten und Gewalt".
Mit Blick auf die Montagsdemonstrationen von "Pegida" sagte Tillich: "Manche nutzen ihre Freiheit, um gegen etwas zu sein. Wir nutzen unsere Freiheit heute hier, um für etwas einzutreten." Für Montag ist eine weitere Demonstration der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" angemeldet. Deren Anhänger vereinten zuletzt rund 18.000 Teilnehmer. Auch eine Gegenkundgebung ist geplant.
"Es ist wichtig, dass von Dresden, vom Platz an der Frauenkirche, der Kirche, die weltweit als Zeichen der Versöhnung und der Verständigung wahrgenommen wird, eine eindeutige Botschaft ausgeht", sagte Tillich. Orosz betonte mit Blick auf "Pegida", die Stadt sei mehr als ein Ort, in der Menschen aus Angst vor anderen Religionen auf die Straße gehen: "Wir stehen hier für Dresden, für Sachsen und alle die hier leben. Wir lassen uns durch keinen Hass spalten", sagte die CDU-Politikerin.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warf der "Pegida"-Bewegung vor, die Terroranschläge von Paris politisch zu missbrauchen. "Die Instrumentalisierung eines so schrecklichen Mordanschlages für die eigenen Zwecke ist schäbig", sagte de Maizière der Zeitung "Bild am Sonntag". Er warf "Pegida"-Anhängern vor, Islam mit Islamismus gleich zu setzen: "Das ist infam."
De Maizière fügte hinzu: "Wir müssen unterscheiden zwischen Islamisten, die sich zu Unrecht auf die Religion berufen, um Straftaten und Morde zu begehen oder sich radikalisieren - und den Muslimen, die verfassungstreu in Deutschland ihren Glauben leben. Sie haben mit den Terroristen nichts zu tun und wollen es auch nicht."
An der Demonstration für Weltoffenheit vor der Frauenkirche nahmen auch die beiden Dresdner Bischöfe Jochen Bohl und Heiner Koch teil.
Wissenschaftler: Hinter "Pegida" steckt mehr als Islamfeindlichkeit
Hinter den "Pegida"-Demonstrationen steckt nach Auffassung von Hildesheimer Wissenschaftlern mehr als Islamfeindlichkeit. Das Spektrum reiche von der Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation über die grundsätzliche Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt bis hin zur Frustration über das demokratische System, sagte der Politologe und Migrationsforscher Hannes Schammann am Samstag. Gemeinsamer Nenner und eine Art "Marketing-Werkzeug" für "Pegida" sei aber die Ablehnung des Islam.
Aktuelle Studien zeigten, dass die Islamfeindlichkeit in den zurückliegenden Jahren massiv gestiegen und in Deutschland auch im internationalen Vergleich bedrohlich hoch sei. Sie sei überdies nicht nur ein ostdeutsches Phänomen: "Auf die Ablehnung des Islam können sich also viele Personen mit ansonsten sehr unterschiedlichen Interessen einigen." Nach einer aktuellen Bertelsmann-Studie empfinden 57 Prozent der nichtmuslimischen Bevölkerung den Islam als bedrohlich.
Die Erziehungwissenschaftlerin Viola Georgi ergänzte, die Angst vor einer "Überfremdung" und der mit ihr einhergehende Rassismus sei besonders dort verbreitet, wo interkulturelle Kontakte fehlen. Daraus erkläre sich auch der Zulauf von "Pegida" in den Regionen, in denen kaum Einwanderer lebten. In städtischen Räumen wie Stuttgart, Köln, Frankfurt oder Berlin sei soziale, kulturelle, sprachliche und religiöse Vielfalt Teil des gelebten Alltags.