Deutscher Pfarrer in Paris: "Wir beten für Opfer und Täter"

Blick in die deutsche Christuskirche in der rue Blanche (9. Arrondissement) in Paris
Foto: Martin Beck
Blick in die deutsche evangelische Christuskirche in der rue Blanche (9. Arrondissement) in Paris
Deutscher Pfarrer in Paris: "Wir beten für Opfer und Täter"
Terrorwarnungen gab es in Paris schon lange, auch für die Deutsche Evangelische Christuskirche. Deswegen war Pfarrer Martin Beck am Mittwoch nicht besonders überrascht über den Anschlag auf "Charlie Hebdo". Gleichwohl ist er - wie seine Gemeindeglieder - schockiert über die Gewalt. Am selben Abend hatte der Gemeindegesprächskreis zufällig die Jahreslosung zum Thema: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zum Lob Gottes."

Wie haben Sie gestern von diesem fürchterlichen Anschlag erfahren und wie verlief der Tag dann für Sie?

Martin Beck: Ich bin nicht so stark elektronisch vernetzt wie manche meiner Mitmenschen. Ich hab's am Nachmittag durch Erzählungen im Haus erfahren. Später habe ich dann meine Tochter von der Schule abgeholt. Dabei war verkehrstechnisch alles unproblematisch. Im Gegenteil: in der Metro war spürbar weniger los als sonst – es war also eine gewisse Vorsicht in der Stadt zu spüren, eine gewisse Anspannung lag in der Luft, das konnte man auf jeden Fall sagen. Schockiert haben mich die Anschläge wie alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, aber trotzdem nicht völlig überrascht. Wir sind seit Monaten vorgewarnt worden von der Präfektur, dass eine Bedrohungslage existiert. Die entsprechenden Aufrufe zur Vorsicht sind überall in öffentlichen Einrichtungen, Schulen und so weiter, präsent. Auch wir als Gemeinde wurden informiert, dass wir vorsichtiger sein sollen als bisher, das haben wir auch bei Großveranstaltungen so gemacht.

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Was bedeutet "vorsichtiger"?

Beck: Das bedeutet zum Beispiel, dass man die Haustür öfter geschlossen lässt und dass man bei größeren Veranstaltungen genau hinschaut, wer kommt. Wir hatten zum Beispiel am Ersten Advent unseren jährlichen Adventsbasar, und da hatten wir in abwechselnden Schichten Personen an der Tür postiert, die mit wachem Auge aufmerksam schauten, wer da eintritt, mit welchen Taschen oder Rucksäcken, und die gegebenenfalls die Leute dann auch ansprachen oder darum baten, ihre Taschen zu öffnen. Es handelte sich also um zusätzliche, aber einfache Sicherheitsmaßnahmen. Hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben, das ist ja klar, aber wir waren eben aufmerksam. Ich habe mit älteren Gemeindegliedern darüber gesprochen - vor Monaten schon - und die sagten: Naja, was soll's, wir können uns doch jetzt nicht verrückt machen, Angst haben oder in Panik geraten. Wir wissen, dass Paris schon immer ein Ziel gewesen ist, es gab auch früher Anschläge, wir leben damit.

Wie hat Ihre Gemeinde dann gestern auf den Anschlag reagiert?

Beck: Sie müssen sich vorstellen, wir sind eine Auslandsgemeinde. Viele leben weit verstreut, sind in ihrem französischen Umfeld gut integriert, wir sind kein deutsches Ghetto. Einige Gemeindeglieder haben lange Anfahrtswege zu uns und kommen in der Regel vor allem am Sonntag. Wir haben unter der Woche schon auch einzelne Gemeindegruppen hier, aber die werden dann von weniger Menschen besucht, zuletzt gestern Abend, aber in einem größeren Rahmen treffen wir uns erst wieder am Sonntag, und da wird man dann spüren, wie Einzelne reagieren.

"Es sollte uns Christen auszeichnen, dass wir andere Menschen - egal welcher Herkunft und Prägung - respektieren und annehmen"

Wurde der Anschlag denn gestern Abend thematisiert? Was haben die Gemeindeglieder gesagt?

Beck: Interessanterweise hat sich dieser Gesprächskreis völlig unabhängig von den gestrigen Attentaten um die Jahreslosung gedreht. Und die lautet ja nun: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob" (Römer 15,7). Das hat also gestern leider, leider ganz hervorragend gepasst! Hochaktuell, dieses Bibelwort, angesichts der Anschläge. Die gegenseitige Akzeptanz, der Respekt vor dem Mitmenschen, die Annahme eines Menschen in seiner Andersartigkeit, das entspricht Gottes Inkarnation in der Welt in Jesus Christus. Und das führt dann auch zum Lob Gottes – und nicht etwa "Groß sei Allah" aufgrund irgendwelcher Brutalitäten. Und letzteres sehen muslimische Verbände zum Glück ganz genauso.

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Was wurde zu der Jahreslosung noch in dem Gesprächskreis gesagt? Wer ist denn konkret aufgerufen, wen "anzunehmen"?

Beck: Dieses Bibelwort richtet sich ja im ursprünglichen Kontext an die christliche Gemeinde zu Rom, in der es intern gewisse Streitereien gab, und die sich in einem heidnischen Umfeld behaupten musste. Aber dieses Wort besitzt jetzt aufgrund der geschichtlichen Entwicklung eine größere Tragweite über den Gemeindekreis hinaus. Wir leben ja in einer christlich geprägten Gesellschaft, und insofern hat das Bibelwort nicht nur seine Zielrichtung innerhalb der Gemeinde. Allen Beteiligten des Gesprächskreises war klar, dass uns das gesamtgesellschaftlich betrifft und auch auszeichnen sollte, uns Christen, dass wir andere Menschen - egal welcher Herkunft und Prägung - respektieren und annehmen. Diese Worte der Jahreslosung wollen ihre Kraft auch in Bezug auf das Zusammenleben mit Nichtchristen, mit anderen Religionen und so weiter, entfalten.

Welche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach der Anschlag auf das Verhältnis der Religionsgemeinschaften in Paris?

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Beck: Das ist im Moment schwer zu sagen. Man kann nur hoffen, dass sie näher zusammenrücken. Und die Äußerungen muslimischer Verbände, die ja diesen Anschlag verurteilen und ganz klar sagen: "Das hat nichts mit Islam zu tun" lassen darauf hoffen, dass man sich eben nicht auseinanderdividieren oder gegeneinander aufhetzen lässt, wie das diese extremistischen Wahnsinnigen vielleicht hofften, sondern dass man im Gegenteil zusammensteht zu den Werten der Demokratie. Von diesen profitieren auch die Muslime. Gerade wir Protestanten hier in Frankreich wissen das, denn der Protestantismus in Frankreich ist jahrhundertelang verfolgt worden. Erst die Werte, die im Zuge der französischen Revolution zum Tragen gekommen sind und danach weiter fundiert wurden, haben dazu geführt, dass auch für evangelische Christen letztlich Religionsfreiheit hergestellt wurde.

Wenn nächsten Sonntag wieder Gottesdienst ist in Ihrer Gemeinde …

Beck: … den werde ich halten, und da werden wir sicherlich in unser Fürbittengebet die Opfer und auch die Täter mit einschließen. Meistens gehe ich auch in meinen Predigten auf aktuelle Geschehnisse ein, wenn es passt. Das wird sich zeigen, wenn ich den Gottesdienst vorbereite.