Es gibt in Deutschland aktuell wohl nur einen Schauspieler, der das Format und die Statur für diese Rolle mitbringt: Götz von Berlichingen ist wie geschaffen für Henning Baum. Der kernige Westfale, durch die Sat.1-Serie "Der letzte Bulle" zu einem der größten deutschen TV-Stars geworden, ist der ideale Darsteller für diese mythisch verklärte Figur. Getreu der Kinomaxime, mit historischen Details großzügig umzugehen und sich lieber an die Legende zu halten, ignoriert Autor Christian Schnalke das gleichnamige Goethe-Drama und reduziert die äußerst komplexe Biografie des in unzähligen Fehden verstrickten und 1562 im biblischen Alter von über achtzig Jahren friedlich verstorbenen Franken weitgehend auf ihre filmreifen Aspekte. Der Burgherr mag seinen Lebensunterhalt mit Raubzügen bestreiten, aber er repräsentiert auch eine Epoche, die dem Untergang geweiht ist. Ähnlich wie Mick Brisgau, der letzte Bulle, ist Götz von Berlichingen ein Fossil, ein Mann der alten Schule, der bereit ist, für andere den Kopf hinzuhalten, wenn sie zu ihrem Wort stehen: der letzte Ritter.
Geschick einer Heilerin
Schon die erste Szene des Films lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass die Verpackung alles andere als altmodisch ausfällt: Götz und seine Kumpane eilen, obwohl zahlenmäßig unterlegen, Frauen zu Hilfe, die einer Schar Soldaten in die Hände gefallen sind. Die blanken Brüste und das spritzende Blut sind der richtige Vorgeschmack auf die folgenden gut hundert Minuten, in denen es noch mehr nackte weibliche Haut und vor allem viel mehr Gewalt geben wird; Serien wie "Game of Thrones" oder "Borgia" lassen ebenso grüßen wie die mehrteilige Sat.1-Saga über die "Wanderhure". Wie dort, so ist auch in "Götz von Berlichingen" eine Intrige der Handlungsmotor: Der skrupellosen Adelheid von Walldorf (Natalia Wörner) ist jedes Mittel recht, um dem französischen König den Weg zum deutschen Kaiserthron zu ebnen. Götz kommt ihr auf die Schliche, als er bei einem seiner Raubzüge nicht nur einen Goldschatz, sondern auch das für Adelheid bestimmte Siegel des Königs erbeutet. Allerdings ahnt er nicht, dass die schöne Intrigantin sogar seinem besten Freund Adelbert (Johann von Bülow) den Kopf verdreht hat. Seine Gutgläubigkeit kostet ihn den rechten Unterarm und somit beinahe das Leben. Allein das Geschick einer Heilerin (Dennenesch Zoudé) bewahrt ihn vor dem Tod. Sein erfinderischer Gefolgsmann Eugen (Lars Rudolph) bastelt ihm eine eiserne Hand, mit der er sogar wieder ein Schwert führen kann, doch es ist noch ein weiter Weg, bis er Kaiser Karl (Nikolai Kinski) unter vier Augen von dem Komplott berichten kann. Nach dem Verlust des Siegels hat er allerdings keinerlei Beweise für seine Behauptung.
Allen Schauwerten zum Trotz wäre der Film ohne Henning Baum vermutlich nur halb so sehenswert. Er verleiht dem Titelhelden allein durch seine Ausstrahlung jene Tiefe, die eine derart überlebensgroße Figur braucht. Einige Gefechtsszenen sind Regisseur Carlo Rola, der unter anderem Schnalkes Drehbücher zu "Familiengeheimnisse", "Krupp" und "Afrika, mon amour" verfilmt hat, schlicht zu lang geraten. Bei der Belagerung von Berlichingens Burg zum Beispiel erfreut sich der Film ein paar mal zu oft daran, wie die Pfeile der Verteidiger kunstvoll ihren Weg durch die Hälse der gepanzerten Angreifer finden. Die verschwendete Zeit fehlt an anderer Stelle: Nachdem aufständische Bauern Götz zu ihrem Befehlshaber erklärt haben, führt er sie im Kampf in einen von schlauen Adelbert ausgeheckten Hinterhalt. Gerade noch regnete es Frösche, da ist die Schlacht auch schon geschlagen und die getreuen Gefolgsleute des Ritters samt und sonders gemartert, gerädert und gemeuchelt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auch der Schluss kommt überraschend und ist als Finale zudem etwas kraftlos. Aber Rolas Stammkameramann Frank Küpper sind großartige Bilder gelungen; gerade die vielen Nachtaufnahmen mit Kaminfeuer und Kerzenschein beeindrucken durch eine kunstvolle Lichtsetzung. Reizvoll in jeder Hinsicht ist auch die Idee, die Rolle der geheimnisvollen Heilerin mit der dunkelhäutigen Zoudé (Rolas Frau) zu besetzen. Viel zu kurz kommt dagegen die Ironie. Baum trägt seine Dialoge zwar mit einiger Süffisanz vor, aber Szenen wie jene, als sich Götz bei seinem berühmten Arschleckzitat verspricht und den johlenden Kameraden versichert, es werde schon nicht in die Geschichte eingehen, haben Seltenheitswert.