Die "Sternstunde des Parlamentarismus" hat an diesem Donnerstag überraschend wenig Anziehungskraft. Als am grauen Novembermorgen der Bundestag in Berlin zur Debatte über Sterbehilfe zusammenkommt, ist rund die Hälfte der Plätze im Plenum unbesetzt. Offene Debatten über ethische Grenzfragen sind selten. Von Respekt geprägt, sehr persönlich und ohne Angriffe auf den politischen Gegner tauschen sich die Abgeordneten aus. Das gilt auch heute. Anders ist aber das Ergebnis: Selten gibt es so viel Einmütigkeit bei einer schwierigen Gewissensfrage. Der Bundestag will mindestens kommerzieller, wahrscheinlich auch organisierter Hilfe zum Suizid ein Ende bereiten, so viel scheint klar.
Quer durch alle Parteien verurteilte eine Mehrheit der rund 50 Redner in der fast fünfstündigen Debatte Sterbehilfevereine wie den des früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch. Sterbewillige bekommen - gegen einen nicht geringen Beitrag - dort tödlich wirkende Medikamente, um sich damit das Leben zu nehmen. Verboten ist das nicht, weil die Beihilfe zum Suizid in Deutschland nicht unter Strafe steht.
Frage nach der Rolle der Ärzte
Das könnte sich nun ändern. Sterbegleitung gehöre nicht in die Hände dieser Vereine, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Er wolle diese Vereine nicht in Deutschland haben, sagt Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU). Kathrin Vogler (Linke) will nicht in einer Gesellschaft leben, "in der Menschen ihren Lebensunterhalt damit verdienen, anderen den Tod zu bringen". Im demografischen Wandel wäre die Legitimation der Vereine "ein katastrophales Signal", zeigt sich die Grünen-Gesundheitspolitikerin Elisabeth Scharfenberg überzeugt.
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Anstelle konkreter Gesetzentwürfe liegen bisher nur Positionspapiere vor. Eine Gruppe um den CDU-Abgeordneten Michael Brand spricht sich für ein strafrechtliches Verbot organisierter Sterbehilfe aus, ebenso die SPD-Politikerinnen Kerstin Griese und Eva Högl sowie die Grünen-Abgeordneten Scharfenberg und Harald Terpe. In den Details unterscheiden sie sich, wenn überhaupt, in der Frage, welche Rolle sie dem Arzt zubilligen, dem das Standesrecht die Suizidbeihilfe verbietet. Am Donnerstag wird auch dieser Unterschied Makulatur. Vertreter der Gruppen appellieren an die Ärzte, Freiräume für Mediziner im Standesrecht bundesweit einheitlich klar zu regeln, was momentan nicht der Fall ist. Der Gesetzgeber wäre dann aus dieser Frage raus.
Bei den vielen Stimmen für ein Verbot von Sterbehilfe-Vereinen ist fraglich, welche Chancen die anderen Initiativen noch haben, wenn im nächsten Frühjahr über konkrete Gesetze beraten werden soll. Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) werben in der Debatte nochmals eindringlich für ihren Vorschlag, den ärztlich assistierten Suizid im Bürgerlichen Gesetzbuch zu erlauben. Dies sei die notwendige andere Seite der Medaille eines Verbots für Vereine, sagt Lauterbach. Es sei unvereinbar mit der Menschenwürde, "wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod wird", sagt Hintze. Diese Position vertritt auch die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU).
Klare Haltung der Kirchen
Widerspruch von vielen, aber auch deutlichen Applaus in den Reihen der Grünen und Linken erhält im Parlament die Position von Renate Künast (Grüne), die Sterbehilfevereine weiter erlauben, aber Kriterien dafür schaffen will. Auch beim Tod gelte das Recht auf Selbstbestimmung, argumentiert sie.
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Besonders die Kirchen wenden sich gegen eine gesetzliche Regelung, die die Möglichkeiten zur Suizid-Assistenz erweitert und in ihren Augen zu einer normalen Möglichkeit macht. Joachim Ochel, theologischer Referent beim EKD-Bevollmächtigten in Berlin, zeigte sich mit der Richtung der Debatte am Donnerstag denn auch "total zufrieden". "Organisierte Sterbehilfe lehnen wir ab", sagt Ochel, der die Debatte von der Besuchertribüne verfolgt. Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Christiane Woopen, und Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery lauschen dort konzentriert.
Dort vernehmen die Zuhörer auch einen Konsens zwischen allen Parteien. Nahezu alle Abgeordnete fordern einen zügigen Ausbau der Hospiz- und Palliativmedizin, um Schwerkranken eine würdevolle Versorgung beim Sterben zu ermöglichen und damit - so die Hoffnung - viele auch vom Suizidwunsch abzubringen. Denn das, sagt die SPD-Kirchenbeauftragte Kerstin Griese, müsse Ziel der politischen Bemühungen sein: "Am Ende soll niemand mehr sagen: Ich will in die Schweiz, hier hilft mir keiner."