Die niederländischen Behörden hätten zu wenig Augenmerk auf den Schutz des Familienlebens gelegt, urteilte eine Große Kammer des Straßburger Gerichtshofes am Freitag. Die heute 47-Jährige war 1997 mit einem Besuchervisum ein- und später nicht wieder ausgereist. Sie heiratete 1999 einen niederländischen Bürger mit surinamischen Wurzeln und bekam mit ihm drei Kinder. Die Behörden verweigerten ihr jedoch den Aufenthaltstitel und ordneten letztlich die Abschiebung an.
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Der Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) verwies auf seine umfassende frühere Rechtsprechung im Bereich irreguläre Migration. Laut dieser könnten Personen, die in einer "prekären" aufenthaltsrechtlichen Situation eine Familie gründeten, nur in Ausnahmefällen ein Recht auf Familienleben gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention geltend machen. In diesem Fall liege aber eine Ausnahmesituation vor, erklärte die Große Kammer. So besitze die ganze Familie außer der Frau die niederländische Staatsbürgerschaft. Auch sei Surinam eine frühere niederländische Kolonie, weshalb die Frau in ihrer Kindheit Niederländerin gewesen sei. Drittens hätten die niederländischen Behörden 16 Jahre lang nichts hinsichtlich einer Abschiebung unternommen - die Frau habe so eine starke Bindung zu ihren Kindern und zur niederländischen Kultur entwickelt.
Die Große Kammer verurteilte die Niederlande wegen Verletzung des "Rechtes auf Respekt des Familienlebens". Drei der 17 Menschenrechts-Richter äußerten in der sensiblen Frage indessen eine abweichende Meinung. Der Gerichtshof überschreite seine Befugnisse und greife zu tief in nationales Recht ein, kritisierten sie unter anderem. Die Entscheidung ermutige zu irregulärer Einreise und zum Überziehen eines Visums. "Der Gerichtshof hat sich wohl eher von Menschlichkeit als vom Recht leiten lassen." Die europäischen Staaten sind an die EGMR-Urteile nicht unmittelbar gebunden - sie haben sich aber im Grundsatz verpflichtet, ihnen Folge zu leisten.