Es kommt ja nicht oft vor, dass Kritiker und Publikum einer Meinung sind, aber beim "Tatort" aus Münster ist die Begeisterung einhellig. Im dreizehnten Jahr folgen die Krimis nun schon dem immer gleichen bewährten Muster, und trotzdem gelingt es Autoren und Regisseuren regelmäßig, den Figuren neue Seiten abzugewinnen und damit vermutlich auch die beiden formidablen Hauptdarsteller zu überraschen. Deren Anteil am Erfolg wiederum lässt sich in Prozent kaum beziffern. Wenn zwei Schauspieler auch nach 25 Filmen derart viel Spielfreude an den Tag legen, spricht das zwar auch für das Potenzial der Figuren, aber vor allem für die Lust von Axel Prahl und Jan Josef Liefers, den stoffeligen Thiel und den schnöseligen Boerne immer wieder neu zu entdecken.
Zwischendurch gab es mal eine Phase, in der sich die Filme allzu sehr auf das herausragende Talent des Duos verließen; die Geschichten wurden weniger wichtig als die bühnenreifen Wortgefechte, die sich Kommissar und Pathologie lieferten. Das hat man beim WDR zum Glück erkannt; dass der "Tatort" aus Münster mittlerweile fast regelmäßig über zwölf Millionen Zuschauer hat, liegt am gelungenen Gleichgewicht zwischen Dialog und Handlung. Dafür steht bei Fall Nummer 26 Dorothee Schön. Die Autorin kann sowohl Drama, wie ihre Grimme-Preise für "Frau Böhm sagt Nein" und "Der letzte schöne Tag" beweisen, aber auch Komödie ("Der Minister"). Selbst wenn der Episodentitel, "Mord ist die beste Medizin", vorwiegend heiter klingt: Die Geschichte ist durchaus tödlich.
Boerne als "Undercover"-Agent
Der Hintergrund ist ohnehin ernster Natur, und das in gleich doppelter Hinsicht: Es geht um Arzneimittelfälschung im großen Stil; und ein großer Teil der Handlung spielt sich auf der Krebsstation ab. Dort ist der bei aller Blasiertheit zu Hypochondrie neigende Boerne gelandet, weil sein Blutbild auf einen Leberdefekt hinweist; nun verspürt er den kalten Hauch des Todes im Nacken. Die nötige Untersuchung lässt er in just jener Klinik vornehmen, in die kürzlich ein Mann gebracht wurde, der nur scheinbar eines natürlichen Todes gestorben ist. Ähnlich wie in "Summ, Summ, Summ", dem Quotenknüller des Jahres 2013, ist Boerne als "Undercover"-Agent eine unschätzbare Hilfe für Thiel, der die Ereignisse bis dahin nicht recht ernst genommen hat.
Ärzte sind für ihre Kollegen gewiss die undankbarsten Patienten, und prompt legt sich der Pathologe mit der Kollegin Dr. Süßmilch an, die ihm seine Arroganz allerdings mit gleicher Münze heimzahlt; es ist daher ausgesprochen schade, dass die attraktive Anna Bederke die Filmhandlung viel zu früh verlassen muss. Mindestens so witzig wie Boernes Dialogduelle mit der Ärztin ist die Konfrontation mit seinem Bettnachbarn (Josef Ostendorf), einem lebenslustigen Staubsaugervertreter ("Kommt ein Mann zu Arzt..."), der dem Wagner-Liebhaber mit seiner Volksmusik alsbald den letzten Nerv raubt.
Regisseur Thomas Jauch hat schon einige bemerkenswerte "Tatort"-Beiträge inszeniert, darunter die Auftaktfälle des Dortmunder Teams sowie 2011 das gemischte Doppel mit den Teams aus Köln und Leipzig ("Ihr Kinderlein kommet"/"Kinderland"). "Mord ist die beste Medizin" mag in erster Linie von Schöns vielen wunderbaren Einfällen leben, doch Jauch setzt das Drehbuch im perfekten Tempo um.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die ruhige, aber sanft atmende Bildgestaltung (Rodja Kükenthal) ist bestes Handwerk, die angejazzte Musik (Stephan Massimo) passt prima zur Handlung, und die Darsteller führt Jauch ganz ausgezeichnet, wenn auch mit einer Ausnahme: Die Sätze des eifrigen kleinen Mädchens, das die Polizei überhaupt erst auf die Spur führt, klingen furchtbar aufgesagt. Umso hübscher ist die beiläufig erzählte Romanze zwischen Thiels Assistentin Nadeshda (Friederike Kempter) und dem Vater (Benjamin Braun) des Kindes. Und am Ende verblüfft Schön mit einem Bluff, auf den Täter und Zuschauer gleichermaßen reinfallen.