Charlotte Knobloch: Die Anständigen sind eingeschlafen

Charlotte Knobloch: Die Anständigen sind eingeschlafen
Vor der großen Demonstration gegen Antisemitismus am Sonntag in Berlin hat die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den Juden beklagt.

"Die Anständigen scheinen eingeschlafen zu sein", sagte sie dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel am Sonntag". Sie fühle sich von der deutschen Bevölkerung im Stich gelassen.

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Nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge am 2. Oktober 2000 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen "Aufstand der Anständigen" angemahnt. Dies zielte vor allem auf ein gesellschaftliches Engagement gegen die Ausgrenzung von Minderheiten.

Momentan stoße in Deutschland alles auf Zustimmung, was sich gegen Israel richte, sagte Knobloch. Viele Juden hätten das Gefühl einer Entfremdung zwischen der jüdischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft. "Dieser Judenhass, der uns in ganz Europa entgegenschlägt, belastet mich sehr", bekundete die 81-Jährige, die die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern leitet.

Unter dem "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" werden am Sonntag am Brandenburger Tor in Berlin rund 5.000 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung mit den deutschen Juden erwartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält die Hauptrede. Knobloch begrüßte die Demonstration, wies aber darauf hin, dass der Aufruf vom Zentralrat kam. "Warum kommt die Initiative dazu nicht aus der Mitte der Gesellschaft?"

"Mir wird manchmal schlecht"

Der Militärkonflikt im Gazastreifen hatte im Juli und August zu einer Welle von Judenfeindschaft in Deutschland geführt. Bei propalästinensischen Kundgebungen ertönten antisemitische Parolen, Gegendemonstranten und Menschen, die als Juden erkennbar waren, wurden körperlich angegriffen. Anschläge auf Synagogen und jüdische Friedhöfe wurden verübt. Politiker und Kirchenvertreter verurteilten den neuen Antisemitismus scharf.

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Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, rief die Behörden auf, schärfer gegen antijüdische Hassparolen im Internet vorzugehen. "Mir wird manchmal schlecht bei Ausmaß und Unverfrorenheit der Hetze in den Blogs", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Samstagsausgabe). Viele der Verfasser schrieben heute unter ihrem richtigen Namen. "Es wäre gar nicht so schwer, sie zu belangen. Hier müssen die Ermittler konsequenter eingreifen."

Zur Abgrenzung zwischen Israelkritik und Antisemitismus betonte Graumann, Israels Politik werde stets kontrovers diskutiert. "Die größten Kontroversen darüber gibt es übrigens in Israel selbst." Doch wenn man das Land dämonisiere und ihm das Existenzrecht abspreche, sei eine Grenze überschritten. "Wir Juden stehen nun mal zu Israel! Wir wollen uns für diese Haltung unserer Herzen sicher auch nicht entschuldigen müssen!"