Filmkritik: "Diplomatie"

Jerome Prebois
Filmkritik: "Diplomatie"
Krieg der Worte: Nach "Das Meer am Morgen" beschäftigt sich Volker Schlöndorff in "Diplomatie" wieder mit dem deutsch besetzten Frankreich. Der schwedische Diplomat Nordling will den deutschen General von Choltitz davon abbringen, Paris dem Erdboden gleichzumachen.
27.08.2014
epd
Rudolf Worschech

Es ist der 25. August 1944, die Alliierten haben den deutschen Riegel vor Paris durchbrochen und stehen vor der Stadt. Adolf Hitler hat zwei Tage zuvor den Befehl erlassen, dass Paris dem Feind "nicht oder nur als Trümmerfeld" in die Hand fallen dürfe. Die Truppen des Generals von Choltitz, der noch nie einen Befehl infrage gestellt hat, haben die ganze Stadt vermint und warten auf das Kommando, zu sprengen. Notre Dame, der Louvre, die Brücken über die Seine, sie alle sollen in die Luft gehen, wenn die Wehrmacht abrückt.

Am Morgen dieses schicksalhaften Tages schleicht sich der schwedische Diplomat Raoul Nordling ins deutsche Hauptquartier und versucht, den General von Hitlers Plan abzubringen. Mittels einer Geheimtreppe übrigens und durch eine Tapetentür, die, wie er dem verdutzten General enthüllt, für die Geliebte eines französischen Königs eingerichtet wurde. Ganz nonchalant beginnt dieses Kammerspiel von Volker Schlöndorff nach einem Theaterstück von Cyril Gély, bei dem es später um Leben und Tod geht. Kontakt zwischen den beiden Protagonisten hat es gegeben, aber natürlich ist ihr Konflikt, auf den sich Schlöndorff konzentriert, Fiktion. Die Realität war komplexer, die Résistance hatte bereits die Polizeipräfektur gestürmt, es gab laufend Straßenkämpfe. Und wir wissen ja, wie es ausgegangen ist: Choltitz hat sich dem Befehl widersetzt.

Aber dahin ist es ein weiter Weg. Nordling argumentiert in den teils witzigen Rededuellen mit Vernunft und Menschlichkeit, Choltitz verschanzt sich hinter Pflichterfüllung und Gehorsam. Aber natürlich ist ihm, dem Strategen, klar, dass die Zerstörung von Paris militärisch sinnlos ist. Er hat den Glauben an den "Führer" verloren.

Der Film funktioniert auch als Duell zweier großer Schauspieler: Niels Arestrup, der den General wie ein Monument gibt, und der viel agilere André Dussollier als fast verschlagen wirkender Nordling.

Die Freiheit der Entscheidung

Im Verlauf der Geschichte entwickelt sich so etwas wie eine Bindung zwischen den beiden: Als Choltitz plötzlich einen Asthmaanfall hat, reicht ihm Nordling die Medikamente. Eine Geste der Menschlichkeit? Oder nur eine vertrauensbildende Maßnahme? Das lässt Schlöndorff ebenso offen, wie er Blicke nach draußen vermeidet, die etwa die Schönheit der Stadt als Grund für von Choltitz Entscheidung bemühen könnten. Am Ende führt er nur noch seine persönliche Verstrickung ins Feld: Sollte er Paris kampflos übergeben, wäre durch die "Sippenhaft" seine Familie in Gefahr.

Schlöndorff und Gély haben mit von Choltitz eine neue Facette eines deutschen Generals im Film geschaffen: Choltitz ist eher ein Realist, vor allem aber ein Rationalist. Natürlich gehören die Sympathien der Zuschauer dem viel eloquenteren Nordling. Aber dass er am Ende doch nicht alles hält, was er verspricht, gehört zu den Stärken dieses - trotz seines bekannten Ausgangs - spannenden und intensiven Films über die Freiheit der Entscheidung.

Frankreich, Deutschland 2014. Regie: Volker Schlöndorff. Buch: Cyril Gély. Mit: André Dussollier, Niels Arestrup, Burghart Klaußner, Robert Stadlober, Charlie Nelson, Jean-Marc Roulot, Stefan Wilkening. Länge: 88 Min. FSK: ab12 Jahren. FBW: Besonders wertvoll.