Deutschland prüft Militärhilfe für Irak-Flüchtlinge

Deutschland prüft Militärhilfe für Irak-Flüchtlinge
Die Bundesregierung steht vor einer Kehrtwende: Sie will das Flüchtlingselend im Nordirak offenbar auch mit militärischen Mitteln bekämpfen. Heftig wird über Waffenlieferungen an die Kurden diskutiert. Helfer warnen weiter vor einem "Völkermord".

Angesichts der Massenvertreibungen im Nordirak denkt die Bundesregierung nun auch an militärische Hilfe für die Flüchtlinge. Man werde zwar keine Waffen liefern, prüfe aber im europäischen Rahmen die Bereitstellung "nicht-tödlicher" Ausrüstung, teilte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Dienstag in Berlin mit. Sie nannte Helme, Schutzwesten und "geschützte Fahrzeuge". Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwochsausgabe), man müsse über humanitäre Hilfe hinaus sehen, "ob wir nicht mehr tun können und mehr tun müssen".

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Er werde schnellstmöglich mit den europäischen Partnern weitere Schritte besprechen, sagte Steinmeier: "Ich bin angesichts der dramatischen Lage dafür, bis an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren zu gehen." Diejenigen, die sich gegen den Terror zur Wehr setzten und wehrlosen Menschen Schutz böten, haben deshalb unsere volle Unterstützung verdient", sagte er weiter, "es ist in unserem ureigenen Interesse, dass ISIS Einhalt geboten und sein Vorrücken in der Region gestoppt wird."

Bisher hatte Deutschland jeden militärischen Beitrag abgelehnt. Vor der brutalen Gewalt der radikal-sunnitischen Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) ist inzwischen mindestens eine halbe Million Menschen auf der Flucht. Die Miliz hat weite Teile des Nordirak erobert. Sie verfolgt vor allem Christen und Jesiden, aber auch schiitische und moderate sunnitische Muslime. Die EU stockte ihre Nothilfe am Dienstag um fünf Millionen Euro auf. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte angesichts der verzweifelten Lage die Hilfen jüngst um 1,5 auf 4,4 Millionen Euro erhöht.

SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte am Dienstag in Berlin, notfalls werde Deutschland noch mehr Geld bereitstellen. Zu Waffenlieferungen an die Kurden äußerte er sich skeptisch. Er widersprach damit Forderungen aus der CDU sowie vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland. Deren Vorsitzender Telim Tolan hatte zuvor dem epd gesagt: "Jede Waffe, die in den richtigen Händen ist, verhindert im Moment, dass das Massenmorden weiter voranschreitet." Gabriel hatte sich erst in jüngster Zeit für striktere Regeln bei deutschen Waffenexporten ausgesprochen.

Für eine Aufrüstung der Kurden hatte zuvor überraschend auch Linken-Fraktionschef Gregor Gysi geworben. Die IS-Kämpfer könnten nur militärisch zurückgedrängt werden, erklärte er. In der eigenen Partei erntete Gysi damit heftige Proteste, unter anderem von seiner Stellvertreterin Sahra Wagenknecht sowie dem Linken-Verteidigungsexperten Jan van Aken.

Weitere Hilfsappelle für Verfolgte im Nordirak

UN-Menschenrechtsexperten warnten eindringlich vor einem Völkermord. Berichten zufolge sind hunderttausende Menschen auf der Flucht. Die in Deutschland lebenden Jesiden begrüßten die US-Luftangriffe auf die Terroristen, die am Freitag begonnen hatten. Dadurch habe sich die Hälfte der rund 80.000 in der Schingal-Region eingekesselten Jesiden durch einen Fluchtkorridor retten können, sagte Tolan. Die USA versorgten weitere 40.000 Menschen auf dem Luftweg mit Medikamenten, Lebensmitteln und Wasser. Die Berichte aus dem Nordirak seien grauenvoll, so der Vorsitzende. "Wir hören von Massenvergewaltigungen, dass Menschen verbrannt oder lebendig begraben werden."

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Nach UN-Angaben sind binnen 48 Stunden rund 200.000 Menschen in Richtung der nordirakischen Stadt Dohuk geflohen. Die Diakonie Katastrophenhilfe versorgt nach eigenen Angaben vertriebene Familien in mehreren kurdischen Städten mit Nahrungsmitteln, Wasser und Hygieneartikeln. Auch die Organisation "Help" begann mit der Verteilung von Lebensmittelpaketen. "Die Flüchtlingsfamilien haben ihre Häuser in Todesangst verlassen und auf ihrer Flucht nach Dohuk nur wenige Habseligkeiten retten können", sagte ein Mitarbeiter. Viele campierten im Freien.

Die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheitenrechte, Rita Izsàk, verlangte, die Zivilbevölkerung in der Region müsse "aus den am schlimmsten betroffenen Gebieten evakuiert werden". Dafür seien sowohl die irakische Regierung als auch die internationale Gemeinschaft verantwortlich. Gabriel verlangte die Einrichtung von Schutzzonen für die Jesiden. Eine Beteiligung der Bundeswehr schloss er aber aus. Die EU-Hilfe erreicht mit der jüngsten Aufstockung eine Höhe von 17 Millionen Euro in diesem Jahr. "Die humanitäre Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag", warnte die zuständige Kommissarin Kristalina Georgiewa.