Filmkritik: "Wie der Wind sich hebt"

Foto: epd/Universum Film
Filmkritik: "Wie der Wind sich hebt"
Der Traum von der Luft: Mit "Wie der Wind sich hebt" nimmt der japanische Meister des Animationsfilms, Hayao Miyazaki, Abschied vom Kino. Der Film über den Flugzeugkonstrukteur Jiro Horikoshi zeigt diesen als arglosen Träumer in den hochpolitischen 30er und 40er Jahren.
16.07.2014
epd
Gerhard Midding

Im Genre des Animationsfilms lässt sich nur bedingt improvisieren: Die langwierigen Arbeitsprozesse verbieten es, der Eingebung eines Augenblicks oder kurzfristig auf aktuelle Ereignisse einzugehen. Die Produktionszeit von Hayao Miyazakis Filmen beträgt in der Regel fünf Jahre. In die vergangenen fünf Jahre fielen 2011 der Tsunami und die Katastrophe von Fukushima. Es fällt schwer, beim Sehen von Miyazakis jüngsten Werk "Wie der Wind sich hebt" nicht daran zu denken.

Der Film, der die Biografie des japanischen Flugzeugingenieurs Jiro Horikoshi (1903-1982) nacherzählt, schildert unter anderem auch das große Erdbeben von Kanto im Jahr 1923. Die Katastrophe war für Miyazaki sicher von Anfang an ein unverzichtbares Handlungselement. Aber womöglich erhielt sie eine neue Färbung und Dringlichkeit. Miyazakis Filme ("Chihiros Reise ins Zauberland", "Das wandelnde Schloss", "Ponyo") waren bislang oft märchenhafte Warnungen, nun musste er eine ökologische Katastrophe als reale Erfahrung einbeziehen.

Im Zentrum steht diesmal keine kindliche Heldin, sondern ein Junge (später ein Mann), der die Naturgesetze wissenschaftlich erforscht. Jiro Horikoshi träumt als Kind davon, Pilot zu werden. Allein, seine Augen sind zu schlecht dafür. Seinen Traum verwirklicht er dennoch, indem er Flugzeugkonstrukteur wird. Das Drehbuch nimmt sich historische Freiheiten, kommt einer biografischen Wahrheit aber offenkundig nahe, indem er seinen Helden als einen arglosen Ikarus zeichnet, der nicht begreift, dass er in einem hoch politischen Kontext agiert. Horikoshi entwickelte das Jagdflugzeug Mitsubishi A5M, den sogenannten "Zero Fighter", der erstmals im japanisch-chinesischen Krieg zum Einsatz kam und während des Pazifikkrieges von den Alliierten gefürchtet wurde.

Das Unsichtbare greifbar machen

Die Wahl dieser Erzählperspektive ist riskant. Die ideologischen Scheuklappen seines Helden sind eine Hypothek, von welcher der glühende Pazifist Miyazaki seinen Film poetisch zu entlasten trachtet. So hingebungsvoll wie hier hat er sich zuvor allenfalls in "Porco Rosso" seinem liebsten Element, der Luft, zugewandt. Mit akribischer Verve studiert er das Verhalten des Windes, lässt ihn durch Blätter streichen und allerorten Hüte fortwehen. Die berührendste Einstellung widmet er den Schneeflocken, die leise auf Nahoko, Jiros an Tuberkulose erkrankte Frau herunterschweben, als sie bis zum Kopf eingepackt auf der Terrasse eines Sanatoriums ruht. Miyazaki versucht, das Unsichtbare auf der Leinwand greifbar zu machen.

Auch in den Zugszenen führt er den Zauber der Aerodynamik vor Augen. Jiros Kindheitstraum besitzt für ihn in seiner Unbeirrtheit große Unschuld. Ihn fasziniert die Magie, die aus dem Zusammenspiel von Technik und Natur entsteht. Dass aus ihm die zerstörerische Kraft des Krieges erwächst, kann der Regisseur nicht verschweigen. Er dreht ja seine Filme für Kinder wie für Erwachsene. Letztere werden in seinem Abschiedsfilm auch eine Warnung vor dem erstarkenden Nationalismus unter Premier Shinzo Abe lesen.

Regie und Buch: Hayao Miyazaki. Länge: 126 Minuten. FSK: ab 6 Jahre.