Seine Ermordung war nicht geplant. Ursprünglich wollte die SS den evangelischen Pfarrer Paul Schneider (1897-1939) "nur" demütigen, um seinen widerständigen Geist zu brechen. Im November 1937 war er aus dem Rheinland in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar überstellt worden. Gedacht war an seine Entlassung als innerlich gebrochener Mann, was andere abschrecken sollte. Doch das Kalkül der Lagerleitung scheiterte an Schneiders Unbeugsamkeit.
"Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen"
Die Kraft dazu habe ihm sein christlicher Glaube gegeben, ist die pensionerte Theologin Elsa-Ulrike Ross überzeugt. Sie war bis 2005 Pastorin am Evangelischen Gemeindezentrum "Paul Schneider" in Weimar und ist heute Vorsitzende der Pfarrer-Paul-Schneider-Gesellschaft. Seine Lebensmaxime fand Schneider in einem Wort aus der biblischen Apostelgeschichte: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen."
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Mit dieser Grundüberzeugung rief er aus dem Fenster seiner Einzelhaft-Zelle im Torgebäude des KZ Buchenwald den Häftlingen auf dem Appellplatz Worte der Ermutigung zu. Zugleich klagte er trotz schwerer Misshandlungen immer wieder auch die Verbrechen der SS-Männer an. In kaum einem Zeitzeugenbericht von Häftlingen aus der frühen Zeit des Konzentrationslagers fehlt denn auch ein Hinweis auf die mutigen Zwischenrufe. Diesen setzte die SS mit der Ermordung des knapp 42-Jährigen am 18. Juli 1939 durch eine Überdosis des Herzmittels Strophanthin ein Ende.
Der spätere Journalist und Springer-Vorstand Ernst Cramer (1913-2010) etwa, der nach dem Novemberpogrom von 1938 für sechs Wochen nach Buchenwald verschleppt worden war, erinnerte sich an Schneiders "laute und wehklagende Stimme" über dem Appellplatz. Die von ihm zitierten Bibelworte aus der Bergpredigt von der Seligpreisung derer, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, seien ganz deutlich zu hören gewesen.
Gewaltsamer Tod des unbeugsamen Pfarrers
Für den Mithäftling Alfred Leikam (1915-1992), später Notar und in der evangelischen Männerarbeit in Süddeutschland aktiv, war Schneider "wahrscheinlich der Einzige in Deutschland", der gegenüber der SS unerschrocken den christlichen Glauben bekannte. Auch den anderen Häftlingen habe er seinen Beruf als Pfarrer nie verschwiegen: "Er versuchte, durch christlichen Zuspruch, Mahnung, Bitte, tätige Mithilfe seine Mitgefangenen für Christus zu gewinnen", resümierte Leikam.
Auf Leikams Erinnerungen an das Konzentrationslager konnte sich schon Schneiders Witwe Margarete für ihre Lebensbeschreibung über den "Prediger von Buchenwald" stützen. Zum 75. Todestag liegt die Neuausgabe der Biografie vor. Sie ergänzt das 1953 erstmals in West-Berlin erschienene Buch um zahlreiche Erläuterungen, Fotos und Dokumente. Herausgeber sind Elsa-Ulrike Ross und Paul Dieterich, ein Neffe von Margarete Schneider. Die kommentierte Neuausgabe zeichnet den Werdegang Schneiders vom Gemeindepfarrer zum Widerständler in den historischen Zusammenhängen nach.
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Dem gewaltsamen Tod des unbeugsamen Pfarrers waren wiederholte Konflikte mit der NSDAP und mehrere Verhaftungen vorausgegangen. Aber auch seine rheinische Landeskirche hatte Schuld auf sich geladen: Während Schneider in Buchenwald inhaftiert war, betrieb die damalige Kirchenleitung zusammen mit der Gestapo seine Versetzung in den Wartestand.
Mittlerweile sei der Blick auf Schneider und seine Zeit durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten deutlich differenzierter geworden, sagt Pastorin Ross. Zugleich wendet sie sich gegen eine Einengung des christlichen Widerstands in der NS-Zeit auf den noch kurz vor Kriegsende ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Die Erinnerung an Pfarrer Schneider gehöre ebenso zum Gedenken an die Nazi-Opfer - und dies weit über Buchenwald hinaus.