Ngoc Lan Nguyen streichelt ihrer Mutter immer wieder über den Rücken. Nach fast drei Monaten hat die 20-Jährige ihre Familie endlich wieder. Neben ihr treten der Vater und die beiden kleinen Geschwister André (6) und Esther (9) durch die Tür in den Ankunftsbereich des Flughafens Hannover-Langenhagen. Abseits vom großen Trubel, der sie dort erwartet, konnten sie einander schon umarmen. Jetzt stimmen ihre Freunde das Lied "Freude schöner Götterfunken" an und überreichen Tulpen, Rosen und Nelken - soweit sie am Tross der Filmkameras und Mikrofone vorbeikommen.
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Die Familie, die 19 Jahre in Deutschland lebte, war Anfang November aus dem niedersächsischen Hoya bei Nienburg nach Vietnam abgeschoben worden. Weil die Nguyens als gut integriert gelten, löste ihr Fall Wirbel und ein großes Medieninteresse aus. Nach heftigen Protesten von Kirchen, Flüchtlingsorganisationen und Privatpersonen beugte sich Landesinnenminister Uwe Schünemann (CDU) schließlich dem Druck und setzte sich für ihre Rückkehr ein. Zunächst mussten sie aber noch wochenlang auf ihre Reisepässe warten.
"Herzlich Willkommen Esther, Deine Klasse"
Ngoc Lan, die ein Aufenthaltsrecht besitzt, blieb allein zurück. "Das war schwer, aber ich habe nie aufgegeben", sagt sie. Mehr als 40 Menschen haben sie jetzt zum Flughafen begleitet. Unter ihnen sind Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde Hoya, die seit Jahren mit den Nguyens für ein Bleiberecht in Deutschland kämpfen. Die Kirchenvorstandsvorsitzende Renate Paul drückt glücklich die kleine Esther an sich.
Die Grundschülerinnen Celina (8), Duyen (9) und Viktoria (9) recken dem Mädchen ein Schild mit der Aufschrift "Herzlich Willkommen Esther, Deine Klasse" entgegen. "Wir sind gute Freundinnen und haben nicht geschlafen, weil wir so aufgeregt waren", sagt Celina. Auch Walter Schmidt hat ein Plakat gemalt: "Endlich zurück in Hoya, endlich zurück aus dem Zwangsurlaub." Ihm und seiner Lebensgefährtin Monika Finkbeiner sind die Nguyen-Kinder wie Enkel ans Herz gewachsen, seit sie sie vor fünf Jahren im Kirchenasyl kennengelernt haben. "Es ist ergreifend, dass wir sie wieder haben", sagt er bewegt.
"Ich bin sehr froh, dass wir wieder in Deutschland sind", sagt Vater Tuong Nguyen. Zwar sei es schön gewesen, dass er in Vietnam seine Familie wieder gesehen habe. "Aber dort ist das Leben so anders, wir konnten uns einfach nicht einleben." Vor allem die Kinder hätten gelitten, ergänzt seine Frau unter Tränen. Und schließlich weinen alle, als Ngoc Lan anfügt: "Es hat ihnen so wehgetan, dass sie nicht zur Schule gehen konnten und kein normales Leben hatten wie in Deutschland." Der Vater habe ein schlechtes Gewissen gehabt. "Aber er ist der beste Vater, den man sich wünschen kann."
Gesicherter Aufenthaltsstatus für drei Jahre
Am Rande des Trubels steht Jürgen Krebs, Chef der Baumschule, in der die Nguyens arbeiten. "Ein guter Mitarbeiter ist durch nichts zu ersetzen", bemüht er sich, in der emotionalen Situation nüchtern zu bleiben. Unter die Freunde mischt sich auch Kritik. Die rigide Flüchtlingspolitik in Niedersachsen hat es nach der Meinung vieler zu verantworten, dass eine Familie auseinandergerissen und gut integrierte Flüchtlinge abgeschoben wurden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Knoerig und der Landtagsabgeordnete der Grünen in Niedersachsen, Helge Limburg, fordern mehr Spielraum für die Härtefallkommission im Land. Im Fall der Nguyens sei ein Antrag an die Kommission gar nicht erst zugelassen worden, weil bereits ein Abschiebetermin festgelegt gewesen sei.
Jetzt hat die Familie zunächst für drei Jahre einen gesicherten Aufenthaltsstatus, erläutert Pastor Andreas Ruh. Und alle hoffen, dass sie für immer bleiben kann. Tochter Ngoc Lan dankt dafür ihren Unterstützern überschwänglich. "Wir sind eine perfekte Gruppe mit einem perfekten Zusammenhalt." Und jemand aus der Menge ihrer Freunde ruft: "Eine Familie."