Filmkritik der Woche: "The Descendants"

Filmkritik der Woche: "The Descendants"
Alexander Paynes neuer Film "The Descendants - Familie und andere Angelegenheiten" zeigt George Clooney als Familienvater in existenzieller Krise. Schauplatz der Melange aus Melodram und skurriler Komödie ist Hawaii.
24.01.2012
Von Hans Schifferle

Als letzte Grenze betrachtet man Kalifornien und die US-Westküste. Dort endet das Land, der Pazifische Ozean beginnt oder auch das Reich der Träume und des Todes. Doch weit draußen gibt es einen Außenposten. Wo der Westen gleichsam auf den Osten trifft, liegt Hawaii, Schauplatz von Alexander Paynes neuem Film, der auf dem Debütroman "Mit deinen Augen" der Autorin Kaui Hart Hemmings beruht. Wie immer bei Payne spielt der Schauplatz eine Hauptrolle: Hawaii als eine Gruppe von Vulkaninseln bleibt eine Welt mit unsicherem Untergrund.

[reference:nid=56735]

George Clooney als Matt King ist der heimliche "König von Hawaii". Seine Familie besitzt den letzten unberührten Landstrich an der Küste von Kauai. Ihn trifft ein Schicksalsschlag mit gnadenloser Härte. Seine Frau liegt nach einem schweren Speedbootunfall im Koma. Die Ärzte geben ihr keine Chance mehr. Lebenslust und Todesnähe, Paradies und Schattenreich: Dies alles ist oft nur durch einen Wimpernschlag voneinander getrennt, wie uns Payne gleich zu Beginn in einer beeindruckenden Montage aufzeigt. Die sterbende Frau bleibt allgegenwärtig im Film, gerade auch wenn sie nicht im Bild erscheint.

Einen zurückhaltenden Star präsentiert Payne, einen auf den ersten Blick unspektakulären Clooney. Als Matt King ist er durch den Unfall seiner Frau in eine unmittelbare Krise geworfen. Zum ersten Mal muss er sich um seine beiden Töchter kümmern, um die aufmüpfige und altkluge Scottie und die rebellische 17-jährige Alexandra. Payne hat bereits in Filmen wie "About Schmidt" und "Sideways" Männer in der Krise gezeigt: Er hat sie dabei als geradezu skurrile Figuren porträtiert. Und auch jetzt lässt er einen glamourösen Star wie Clooney als tragisch-lächerlichen Mann erscheinen.

Das Tragische wird mit dem Lächerlichen verknüpft, als Matt King von Alexandra erfährt, dass ihn seine Frau vor dem Unfall mit einem anderen Mann betrogen hat. Als King, der ironischerweise als Treuhänder tätig ist, den Treuebruch seiner Frau realisiert, gibt es eine merkwürdige Szene, beinahe untragbar für einen Hollywood-Mainstream-Film. Clooney läuft leicht bekleidet und mit losem Schuhwerk zu Freunden, um sich den Ehebruch bestätigen zu lassen. Ein unendlicher, grotesker Lauf ist dies, als würde Clooney als Matt King seinem eigenen Leben hinterherrennen.

Insel-Hopping und Läufe am Strand

Es gibt Momente in Paynes Film, die auf eine Dekonstruktion amerikanischer Männlichkeit verweisen. Matt King scheint sich auf komische und schmerzliche Weise neu erfinden zu müssen. Er muss seine Lebensweise überdenken, so wie auch Hawaii neu entdeckt werden muss angesichts von Tod, Täuschung und Selbsttäuschung. "The Descendants" wird dabei wie viele Payne-Filme zu einem Roadmovie. Was auf Hawaii bedeutet: Insel-Hopping und Läufe am Strand. Matt King macht sich mit seinen Töchtern auf die Suche nach dem Liebhaber seiner Frau.

Der Weg aus der Krise liegt für Matt King und seine Familie in einem neu gewonnenen Gefühl der Verantwortung - auch für das Land, das King auf Hawaii besitzt. Verantwortung, verknüpft mit neuer, märchenhafter Lässigkeit: Den schönsten, berührendsten Abschied von Kings Frau nimmt ihr alter Vater, toll gespielt von Robert Forster, wohl auch, weil Payne keine Love Story erzählt auf Hawaii, dem Außenposten der Sehnsüchte, sondern eine Geschichte von Vätern und Töchtern, von Generationen.

USA 2011. Regie: Alexander Payne. Buch: Nat Faxon, Jim Rash, Alexander Payne. Mit: George Clooney, Shailene Woodley, Beau Bridges, Robert Forster, Judy Greer, Matthew Lillard. Laufzeit: 110 Min. FSK: ab 6

epd