Syrien kündigt Rückzug des Militärs bis Sonntag an

Syrien kündigt Rückzug des Militärs bis Sonntag an
Ein syrischer Regierungsvertreter hat einen Rückzug der Streitkräfte aus Wohngebieten noch an diesem Wochenende angekündigt. Bisher ist jedoch kein Ende der Gewalt in Sicht: Entgegen der Abmachung mit der Arabischen Liga sind Sicherheitskräfte wieder hart gegen Demonstranten vorgegangen. Menschenrechtler melden Tote und Verletzte. Die USA rieten Aktivisten davon ab, sich dem Regime zu ergeben.

In Syrien geht das Blutvergießen weiter. Regierungstruppen töteten nach Angaben einer syrischen Menschenrechtsorganisation am Samstag neun Zivilisten. Allein in Homs, einer Hochburg der Proteste, seien drei Menschen erschossen worden. In der nördlichen Provinz Idlib wurden nach Angaben der Menschenrechtler vier Mitglieder einer regimetreuen Miliz getötet.

Kurz vor dem erneuten Ausbruch der Gewalt hatte ein hochrangiger syrischer Regierungsvertreter einen Rückzug der Streitkräfte aus Wohngebieten noch an diesem Wochenende in Aussicht gestellt. Der Vize-Außenminister Abdel Fattah Ammura sagte der britischen Tageszeitung "Daily Telegraph" in einem am Samstag veröffentlichten Interview, er hoffe, dass dies noch vor dem islamischen Opferfest (Eid l-Adha) geschehe. Das wichtigste Fest im Islam beginnt am Sonntag.

Die Arabische Liga hatte Syrien am Mittwoch zwei Wochen Zeit gegeben, um das Militär aus den Städten abzuziehen und politische Gefangene freizulassen. Bisher hat die syrische Regierung ihre Versprechungen an die Opposition so gut wie nie eingehalten. Die syrische Opposition rief deshalb für Sonntag zu einem Generalstreik auf.

Assad-Regime ignoriert weiter eigene Zusagen

Trotz der Vereinbarung mit der Arabischen Liga, die Militärkampagne gegen die Protestbewegung zu beenden, gingen Truppen von Präsident Baschar al-Assad nach Angaben von Aktivisten auch am Freitagabend wieder gewaltsam gegen Demonstranten vor. Den Angaben zufolge starben an diesem Tag insgesamt mindestens 23 Menschen. Die USA raten Oppositionellen in Syrien davon ab, einem Aufruf des Regimes zu folgen und sich freiwillig zu stellen.

Syrische Menschenrechtler berichteten im Internet von abendlichen Protesten in mehreren Städten des Landes. Regierungstruppen und Milizen hätten dabei Demonstranten auch mit schweren Maschinengewehren angegriffen und mehrere Menschen getötet.

USA raten Regimegegnern in Syrien: Ergebt euch nicht

Das Innenministerium in Damaskus forderte stattdessen am Freitag alle Bürger auf, ihre Waffen binnen einer Woche bei der nächsten Polizeistation abzugeben. Wer sich freiwillig stelle, werde dann - sofern er niemanden getötet habe - bald wieder freigelassen, hieß es. Die USA rieten Oppositionellen in Syrien davon ab, diesem Aufruf zu folgen. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, verwies auf die "lange Liste gebrochener Versprechen" seitens des Assad-Regimes. So sei die Gewaltanwendung gegen Zivilisten entgegen der Vereinbarung mit der Arabischen Liga weitergegangen. "Nicht einer einzigen Verpflichtung" im Rahmen dieser Übereinkunft sei die Führung in Damaskus bisher nachgekommen. "Ich würde zu diesem Zeitpunkt niemandem raten, sich den Regimebehörden zu stellen", sagte Nuland.

Ein Sprecher der Protestbewegung sagte in einem Telefoninterview der Nachrichtenagentur dpa: "Seit der Einigung mit der Arabischen Liga ist es - und das kann ich ohne Übertreibung sagen - sogar noch schlimmer geworden". Die Vorsitzenden der "Revolutionskomitees" hofften darauf, dass die Arabische Liga das Syrien-Dossier - wenn sich das Regime nicht an die getroffene Vereinbarung hält - demnächst den Vereinten Nationen übergeben werde. Der Sicherheitsrat könne dann ähnlich wie im Fall Libyen eine Flugverbotszone sowie ein sicheres Gebiet einrichten, in dem Deserteure Zuflucht finden könnten, fügte der Sprecher hinzu.

Syrische Opposition nutzt kreative Taktik gegen Assad

Die Opposition lässt sich von dem brutalen Vorgehen des Regimes nicht einschüchtern und setzt auf kreative Taktiken. Wie Aktivisten der Nachrichtenagentur dpa am Freitag in Beirut berichteten, wollen sie mit auffälligen Aktionen Assad "zeigen, dass wir überall sind, auch in seiner Bastion Damaskus". Sie hätten beispielsweise rote Farbe auf dem wichtigsten Platz der Hauptstadt verschüttet. Dazu seien Flugblätter verteilt worden mit der Aufschrift: "Dies ist das Blut der Menschen, die Baschar al-Assad in der Provinz Homs tötet."

Syrischen Aktivisten sei es außerdem gelungen, eine Assad-Puppe an einer Brücke in der Stadt aufzuhängen - neben einem Banner, auf dem stehe: "Das Volk wird Dich hängen." Einwohner der Hauptstadt bestätigten der dpa, dass Oppositionelle nachts Parolen wie "Lass uns in Ruhe, wir wollen Freiheit!" an Wände in den Hauptstraßen schrieben. Einigen sei es sogar gelungen, in Regierungsgebäude einzudringen, wo sie Tonaufnahmen mit Musik und Protestrufen von Regimegegnern platziert hätten.

IKRK: Syrien verweigert Behandlung von Kranken

In Syrien wird nach Informationen des Roten Kreuzes vielen bei den Unruhen verletzten Menschen eine ärztliche Hilfe verweigert. Das erklärte der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, in einem Gespräch mit der "Basler Zeitung" (Freitagausgabe). Er habe den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bei seinem Besuch in Syrien im September daran erinnert, dass jede verwundete Person Anrecht auf medizinische Hilfe habe.

Doch trotz gegenteiliger Zusicherung gebe es aus Syrien weiterhin "sehr beunruhigende Meldungen", sagte der IKRK-Präsident. Verwundete und Kranke hätten keinen Zugang zu Krankenhäusern. Immerhin habe er während seines zweitägigen Besuches erreicht, dass das IKRK erstmals in seiner Geschichte Zugang zu einem Gefängnis erhalten habe. Damit erfüllte Syrien eine langjährige Forderung des IKRK. Kellenberger bezeichnete dies damals als wichtigen ersten Schritt - machte aber auch klar, dass die "Ansprüche des IKRK höher" seien.

Denn die Organisation führe Gefangenenbesuche nur unter gewissen Bedingungen durch - so dürfen etwa bei den Gesprächen keine Zeugen dabei sein. "Syrien ist nicht das erste Land, das damit Probleme hat", sagte Kellenberger.

Bei einem ersten Besuch in Damaskus im Juni hatte das Regime Kellenberger einen besseren Zugang zu den Unruhegebieten versprochen. Diese Versprechen seien eingehalten worden. "Man hat uns nachher mehr Spielraum gelassen", sagte der IKRK-Präsident, der Mitte kommenden Jahres von dem Schweizer Diplomaten Peter Maurer abgelöst wird.

Das IKRK ist seit 40 Jahren in Syrien präsent. Es ist laut Kellenberger die einzige humanitäre Organisation, die während der gegenwärtigen Unruhen mit ausländischen Mitarbeitern im Land arbeiten kann. Die Proteste gegen Assad dauern seit Mitte März an. Über 3.000 Menschen sollen nach Schätzungen der Vereinten Nationen seither getötet worden sein. Die Opposition spricht von mehr als 4.000 Toten.

dpa