Geld soll sich nicht aus sich selbst heraus vermehren, sondern für Waren ausgegeben werden und so in der realen Wirtschaft kursieren und sie erhalten. Eine Welt ohne Zins ist eine Welt ohne unkontrolliertes Wachstum, Spekulationen, Finanzkrisen - diese Idee steht hinter dem sogenannten Regiogeld, das es in Variationen in inzwischen 28 Regionen in Deutschland gibt und das laut Dachverband Regiogeld e.V. in 30 weiteren vorbereitet wird.
Eine Idee, die seit der Finanzkrise ab 2008 mehr Anhänger gewinnt und jetzt durch die Eurokrise im Internet für hitzige Diskussionen sorgt. "Freiwirte" nennen sich ihre Verfechter, die sich zum Teil in der "Initiative für eine natürliche Wirtschaftsordnung" organisiert haben. Auch in Kirchengemeinden und Sozialverbänden wird kontrovers und grundsätzlich über Zinsen diskutiert.
Es gibt viel mehr Geld als Waren
"Die ständig positiven Zinsen führen dazu, dass die Geldmenge immer weiter wächst. Überproportional wächst, denn es gibt viel mehr Geld als Waren", sagt Helmut Creutz, gelernter Architekt und die Galionsfigur der deutschen Zinskritik. "Das führt zu Instabilität, wie wir aktuell wieder sehen."
Eine Analyse mit Geschichte. Ihren Ursprung hat sie in den Theorien des Kaufmanns und Finanztheoretikers Silvio Gesells (1862-1930). Die Logik dahinter: Unternehmen verkaufen Produkte und Dienstleistungen. Dafür geben Kunden das Geld aus, das sie als Lohn erhalten. Fast alle Unternehmen leihen sich Geld für die Produktion. Das Geld gehört den Sparern, verliehen wird es gegen Zinsen. Die Kosten der Zinsen werden beim Verkauf auf die Produkte aufgeschlagen.
"Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer"
Die Zinsen zahlen also die Käufer - auch die, die kein oder kaum Vermögen haben, das ihnen selbst Zinsen einbringt. "Eine gewaltige Umverteilungsmaschine", nennt Helmut Creutz den Zins. "Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer." Gesells Therapievorschlag: Zinsloses Geld, dessen "Horten" sich nicht lohnt, weil es durch eine Umlaufgebühr Wert verliert - ein Negativzins quasi, wie ihn der Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, 2009 vorschlug und damit für viel Aufregung sorgte.
"Die Kritik am Zins ist nur eine Kritik an den Symptomen", sagt Klaus Müller, emeritierter Professor der TU Chemnitz. Es sei abwegig, Krisen, Wachstumszwang und soziale Ungleichheit nur auf eine Ursache zurückzuführen - "genauso abwegig wie die im ökonomischen Mainstream verbreitete Ansicht, der Lohn sei die Ursache aller Übel." Die Wirtschaftswelt sei komplexer und Gesell habe entscheidende Denkfehler gemacht: Geld aufzubewahren - zu "horten", wie Gesell es nannte - sei notwendig, um die Schwankungen im Geldbedarf auszugleichen. "Warum sollte man investieren oder Waren kaufen, wenn gerade alles gegen einen Kauf spricht?"
Über das Leihen und Schulden erhalten die Banken Macht
Auch Wirtschaftsprofessor Thomas Huth von der Uni Lüneburg hält Gesells Lösungen für zu einfach für die große Geldwirtschaft. "Die Zinskritik hat jedoch einen Kern, über den es sich lohnt, nachzudenken", sagt der Ökonom: "Das Leihen und Schulden verleiht den Banken große Macht über die Staaten und damit die Gesellschaften. Das hat durchaus mit dem Zinssystem zu tun - auch wenn es sich nicht einfach durch eine Umlaufsteuer lösen lässt."
In der etablierten Wirtschaftswissenschaft herrsche aber in Bezug auf die Theorien von Silvio Gesell quasi ein Denkverbot. "Die meisten Ökonomen haben sich in ihren Thesen festgelegt und weichen nicht mehr ab", kritisiert Huth. Hinzu komme, dass Gesell und die Zinskritik zum Teil als antisemitisch kritisiert würde, da Juden historisch bedingt in der Zinswirtschaft arbeiteten. Huth: "Wer über Gesell arbeitet, gilt daher schnell als Spinner oder Sektierer."