Total lokal global: Der Reporter und das Internet

Total lokal global: Der Reporter und das Internet
Der kleine Lokalreporter ist gegenüber dem großen Internet machtlos - es sei denn, er nutzt es. Die Lokalpresse kann durchaus von den Entwicklungen im world wide web profitieren. Beim Zeitungskongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin ging es um das Lokale, das Globale und die Verbindung beider zur Lokalzeitungs-Communitiy im Netz.
20.09.2011
Von Thomas Klatt

Der Hamburger Werbefachmann Michael Trautmann rief die verängstigten Zeitungsmacher auf dem Kongress auf, sich aus ihrer jammernden Defensivhaltung zu lösen und die audiovisuellen wie auch neuen Internet-Medien nicht als Konkurrenz, sondern als Chance zu begreifen. "Die digitale Welt erwartet nicht, dass sie alles richtig machen. Misserfolge werden verziehen", versprach Trautmann. Aber wenn Zeitungen sich allein auf ihr Printprodukt konzentrieren statt virtuell zu experimentieren, dann werden sie auf dem multimedialen Markt gerade der jungen Nutzer kaum eine Überlebenschance haben. Zeitungen müssen kooperieren. Als Beispiel nannte Trautmann etwa die Initiative für vermisste Kinder "Deutschland findet Euch!"

Wie tickt die lokale Community? 

Über Facebook wurde innerhalb eines halben Jahres mit über 100.000 Helfern die größte Suchcommunity Deutschlands versammelt. Eine interaktive Google-Map zeigt die letzten Aufenthaltsorte vermisster Kinder. Eine spezielle App informiert die Suchmannschaft, wenn ein neues Kind vermisst wird. Es wäre auch eine gute Gelegenheit für eine Zeitung, sich daran zu beteiligen und so gleichzeitig multimedial viele Menschen zu erreichen, die nicht direkt zu Lesern der Printausgabe gehören, regte Trautmann an.

"Das ist die Zukunft! Ein joint venture mit Bloggern ist zum Beispiel ein interessanter Ansatz. Wir haben ein 'digital breakfast' gemacht, um zu wissen, wie die community tickt. Wieso machen das nicht auch Zeitungsredaktionen?", fragte der Werbefachmann. Gerade die social media-Idee könne bei Lokalzeitungen funktionieren. "Es nützt nichts, wenn eine Zeitung irgendwie bei Twitter oder facebook vertreten ist, sondern es muß immer sehr konkret und zielgerichtet sein.

Wenn es zum Beispiel eine Fitness-Kompetenz etwa durch Sportvereine gibt, wieso sollte die Lokalzeitung dann nicht eine Art Fitness-community betreiben? Wo kann ich gut laufen? Wo gibt es gute Nahrung? Niemand kennt sich in einer Stadt so gut aus wie die lokale Zeitung. Man muss die Leute so neugierig machen, dass sie es auch in der Zeitung nachlesen wollen", weiß Trautmann.

Beispiel aus der Schweiz: Die "Jungfrau Zeitung"

Der Schweizer Verleger Urs Gossweiler von der "Jungfrau Zeitung" aus Interlaken geht noch weiter. Er setzt ausschließlich auf lokale Themen, um so gegen alle globalen Online-Angebote einzigartig und damit konkurrenzfähig zu sein. Für Gossweiler ist die Gegend unter dem Jungfrau-Gebirge ein Mikrokosmos. Dort leben mit rund 45.000 Einwohnern etwa 0,3 Prozent der Schweizer Bevölkerung. "Aber wir machen bei einem Umsatz von 4 Millionen Schweizer Franken rund eine Million Gewinn. Wenn wir das auf die ganze Schweiz umrechnen, dann sind wir das größte Medienhaus", gibt Gossweiler selbstbewusst an. Nur was sich aus dem Makrokosmos des Weltgeschehens dort widerspiegelt und durch ein lokales Raster passt, ist berichtenswert.

So tauchten Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe in seiner Zeitung erst auf, als die lokale Bevölkerung eine Solidaritätsveranstaltung für Japan organisierte. Auf einen Rumpfmantelteil, der sich wie bei vielen anderen Zeitungen meist nur aus Agenturmeldungen speist, kann man hier verzichten. "Weltnachrichten machen andere viel besser und professioneller, da müssen wir nicht hinterherhecheln", bekennt Gossweiler. Bei der "Jungfrau-Zeitung" laufe es aber ähnlich wie bei den großen überregionalen Flaggschiffen, etwa bei der FAZ.

Auch bei der "Jungfrau Zeitung" gebe es Ressort-Fachredakteure allein für Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Service. Deshalb gebe es auch keine Lokaljournalisten, die irgendwie für alles zuständig sind, sondern eben nur Spezialisten auf lokaler Ebene. Natürlich arbeite man auch hier crossmedial. "Wir können uns aber nicht pro Gefäß - press, online, apps - eine je eigene Redaktion leisten. Und dann schreiben sie noch voneinander ab. Bei uns ist alles integriert", schwärmt Gossweiler.

Lokale Stärke in Kooperation mit Online-Angeboten

So gebe es einen ständigen Newsfluß auf iPad, iPhone und ins Web. Hinzu komme die gedruckte Ausgabe und eine tägliche Spezialausgabe für spezielle VIPs am Ort und für die lokalen smartphones. Dann seien die Redakteure auch noch multimedial tätig. Interviews werden als Audio- und Videodateien auf die Online-Plattform der Zeitung gestellt. Sämtliche Photos würden als Bildergalerie aufgearbeitet. Das System sei so gemacht, dass diese vielfältigen Produkte mit einer redaktionellen Eingabe automatisch entstehen.

"Das ist ein Komplett-Paket! Bei uns kann kein Kunde nur Print oder nur App oder nur Web abonnieren. Die Werbung wird auf allen Kanälen implementiert", verrät Gossweiler das Geheimnis des Erfolgs einer Nur-Lokalzeitung. Auch die große Konkurrenz aus den USA, Suchmaschinen wie google, brauche man nicht zu fürchten. "Wir haben Papier, google nicht! Und wir können eine Anzeige gestalten, google nicht! Google hat keine Design-Abteilung. Wir sollten diese Vorteile nutzen", rät der Schweizer Zeitungsverleger Urs Gossweiler. Auch deutsche Zeitungen könnten somit eine große Zukunft haben, wenn sie sich auf ihre lokalen Stärken besinnen und die Kooperation mit Online-Angeboten nicht scheuen, sondern nutzen.


Thomas Klatt arbeitet als freier Journalist in Berlin.