Festtagsstimmung kommt nicht so richtig auf, stelle ich morgens kurz nach dem Aufstehen fest. Dabei beginnt heute für uns Muslime das Ramadan-Fest, wie es im Deutschen genannt wird. An dieses Wort musste ich mich erst gewöhnen, denn im Türkischen werden die drei Tage nach der vierwöchigen Fastenzeit als "Ramazan bayrami" gefeiert. Es gibt noch eine Bezeichnung: "Seker bayrami" (Seker bedeutet Zucker), weil während der Feiertage, gleichsam als Wiedergutmachung für die Entsagungen in der Fastenzeit, sehr viel Süßes gereicht wird. Vom Zuckerfest sprechen im türkischem Kulturkreis vor allem jene, die nicht religiös sind. Schon an der jeweiligen, bewusst verwendeten Vokabel lässt sich also das Verhältnis des Gegenüber zum Islam erkennen.
In meiner Familie wurde und wird das Ramazan-Bayrami gefeiert. Und wie auch schon in meiner Kindheit regt sich mein Vater auch heute noch über die auf, die vom Zuckerfest sprechen. So wie er sich auch über die Leute aufregt, die nur an Feiertagen zum Gebet in die Moschee gehen. Früher ging auch er zum gemeinsamen Festtagsgebet in die Moschee. Inzwischen ist er alt und ist es ihm zu strapaziös, sich morgens um sechs Uhr auf den Weg zu machen. In diesem Jahr fiel nämlich der Ramadan auf die langen Tage, und so begann das Festgebet am heutigen Dienstag gegen 7.30 Uhr.
Familien flüchten vor der Familie in Ferienanlagen
Das Ramazan-Bayrami habe ich als ein Fest in Erinnerungen, während dessen wir volles Haus hatten. Von morgens bis abends kamen ständig Gäste. Dieses Fest ist vor allem gegenseitigen Besuchen von Verwandten und Freunden gewidmet. Ramazan steht für Geselligkeit und Versöhnung, es bietet im Klintsch liegenden die Möglichkeit, bei einem Festtagsbesuch den Streit zu beheben. Zu diesem islamischen Fest gehören Besuche und Gegenbesuche zusammen wie der Christbaum zu Weihnachten.
Gästen werden vor allem Süßspeisen gereicht, Kinder mit Naschzeug beschenkt. Doch so strikt halten sich längst nicht mehr alle an diese Gebräuche und Rituale. Das stelle ich vor allem dann fest, wenn ich um die Ramadan-Zeit in der Türkei bin. Familien, die es sich leisten können, nutzen die Feiertage für einen Kurzurlaub, sie wollen sich entspannen, statt sich dem Stress mit Gästen und Gegenbesuchen auszusetzen. So manche Familie flüchtet geradezu vor Verwandten in eine Ferienanlage.
An die Feste meiner Kindheit denke ich gerne zurück, ungeduldig wartete ich auf den Ramazan bayrami, am Abend vor dem Fest wurde ich gebadet. Vor lauter Aufregung schlief ich die Nacht zuvor schlecht und freute mich riesig auf den Morgen; dann nämlich durfte ich all meine neuen Kleidungsstücke anziehen, die wir zuvor auf dem Basar in Bursa gekauft hatten. Vor meinem geistigen Auge erscheint gerade das Paar schwarzer Lackschuhe, auf dem rote Punkte eingenähnt waren. Ich konnte es nicht abwarten, sie endlich anziehen zu dürfen.
Je größer das Geldgeschenk, desto mehr Küsse
Auch war ich ganz erpicht darauf, den Erwachsenen mit einem Kuss auf die Hand zum Fest zu gratulieren. Dafür gab es nämlich Süßes oder Geld, wobei sich die Großen in ihrer Großzugigkeit mit Geldgeschenken sehr unterschieden. Wer mich mit einer Zehn-Kurus-Kupfermünze abspeiste, der bekam ein halbherziges Dankeschön, andere hingegen einen zweiten Kuss auf die Hand.
Die Tage vor dem Fest verbrachte meine Mutter mit Putzen, Aufräumen und Zubereiten von Baklava, ein Backwerk aus hauchdünn ausgerolltem Teig, gefüllt mit gehackten Nüssen und mit Butter und Sirup übergossen. Die Vorbereitungen auf das bevorstehende Bayram beanspruchten die volle Aufmerksamkeit meiner Mutter. Wir drei Töchter achteten darauf, ihr nicht in die Quere zu kommen und tobten uns draußen aus, wiewohl ich gerne drinnen geblieben wäre, wegen des Duftes des Backwerks, der sich im ganzen Haus verteilte. Je nach Jahreszeit spielten wir entweder auf der Gasse oder im Wasser, denn unser Haus war keine 100 Meter von Meer entfernt. Da der islamische Kalender sich am Mond orientiert, verschiebt sich der Monat Ramadan und damit auch die Feiertage jährlich um elf Tage.
Hier im "christlichen Abendland" begehen Muslime das Ramadan-Fest eher unfreiwillig in abgespeckter Form. Wenn die Feiertage während der Woche liegen, wie in diesem Jahr, können sich nur die wenigsten frei nehmen. Die Besuche und Gegenbesuche werden auf die Abende oder auf das Wochenende verschoben. In diesem Jahr haben uns meine Schwestern und ich frei genommen, um uns in Hannover bei meinem Vater zu treffen. Er ist seit fünf Jahren Witwer und geht auf die 80 zu.
"Mübarek bayraminiz kutlu olsun" - "Alles Gute zum heiligen Fest"
Vielleicht ist es das letzte Ramazan, das wir alle zusammen begehen können, haben wir Schwestern uns gedacht. Nach dem gemeinsamen Mittagessen machen werden wir uns auf den Weg zum Friedhof ans Grab meiner Mutter. Wir haben sie auf dem Stöckner Friedhof, wo es ein muslimisches Grabfeld gibt, bestatten lassen, damit wir an Tagen wie diesen an ihr Grab gehen können. Denn Friedhofsgänge gehören auch zum Ramadan-Fest.
Schwer zu sagen, ob wir Schwestern, die an drei unterschiedlichen Orten leben, auch nach dem Tod des Vaters an Ramadan zusammen kommen werden. Es ist nämlich inzwischen so, dass wir die Feiertage an Weihnachten für Familientreffen nutzen.
Ein Hauch von den Feiertagen meiner Kindheit verspürte ich heute, als ich in Hannover durch Viertel ging, in dem sich türkischstämmige Geschäftsleute angesiedelt haben. Ich bekam mit, wie sich sich die Leute zum Fest mit dem aus meiner Kindheit so vertrauten Satz "Mübarek bayraminiz kutlu olsun" gratulierten. "Alles Gute zum heiligen Fest!"
Mitlerweile ist das muslimische Ramadan-Fest hierzulande bekannt. Und so gratulieren mir etliche deutsche Freunde, Bekannte und Kollegen per Email, SMS und sogar via Postkarte. Und von Jahr zu Jahr werden die Festtagsgrüße mehr.
Canan Topçu ist Journalistin und widmet sich seit vielen Jahren den Themen rund um Migration, Integration und Islam. Sie lebt in Hanau und arbeitet für unterschiedliche Medien.