Libyen: Lieber wahr als schön berichten

Libyen: Lieber wahr als schön berichten
In Libyen überschlagen sich die Ereignisse. Ist Gaddafi geflohen oder nicht? Steht das Regime tatsächlich vor dem Ende? Die Aufgabe der Medien ist es, so wahrhaftig wie möglich zu berichten. Bei mancher Berichterstattung bleibt jedoch ein ungutes Gefühl zurück. Denn es scheint so, als würde der ein oder andere Journalist etwas herbeiwünschen, was noch gar nicht das ist.
22.08.2011
Von Maike Freund

Es war ein turbulentes Medien-Wochenende. Und die Turbulenzen haben sich nicht beruhigt. Libyen steht im Nachrichten-Mittelpunkt: Die Rebellen sollen, so melden die Agenturen, nach eigenen Angaben 95 Prozent der Hauptstadt Tripolis unter Kontrolle haben. Die Menschen feiern. Die Meldungen überschlagen sich. Merkwürdig sind nur manche Quellenangaben und der Umgang der Medien damit.

Am Wochenende zum Beispiel lief die Nachricht über die Ticker, der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi sei geflohen. Die Nachrichtenagentur dpa meldete, er habe die Hauptstadt angeblich in Richtung algerische Grenze verlassen. Die Meldung stammt "aus gut informierten Kreisen in Tripolis". Eine Bestätigung für die Nachricht von der Flucht Gaddafis aus Tripolis hatte gab es zunächst aber nicht - weder von den Rebellen noch von algerischer Seite", berichtet dpa.

Gaddafi ist wohl doch nicht geflohen. Und wenn, dann ist es nicht bekannt, denn es gibt keine verlässlichen Informationen darüber, wo sich der Machthaber aufhält. Die angebliche Flucht war also nur ein Gerücht. Gerüchte um seine Flucht gab es schon mehrfach. Zum Beispiel berichteten auch mehrere Medien, er sei nach Südafrika ins Asyl geflohen. Im Nachhinein wurde auch diese Meldung zurückgenommen: "Die südafrikanische Außenministerin Maite Nkoana-Mashabane dementierte die Meldung. Schon im Mai hieß es, Gaddafi sei verletzt und geflohen. Eine weitere Spekulation, die sich als falsch erwies.

"Finale in Tripolis" berichtet die "Frankfurter Rundschau". Foto: evangelisch.de

Journalisten wissen selbst nichts Genaues

Ist es schlimm, dass es Falschmeldungen rund um Gaddafi gibt? Nein, schlimm ist das nicht. Einerseits ist die Nachrichtenlage unübersichtlich. Nur wenige Korrespondenten berichten direkt aus Tripolis. Bestätigte Informationen sind also schwer zu bekommen. Gleichzeitig stehen die Medien in Konkurrenz zueinander, jeder will als erster die neuen Nachrichten bringen. Da bleibt keine Zeit zum Abwarten. Und so werden eben auch unbestätigte Meldungen veröffentlicht. Solange jedoch der Leser durch die Wortwahl einschätzen kann, dass die Journalisten selbst nichts Genaues wissen, ist Transparenz geschaffen.

Schlimm ist jedoch, dass an machen Stellen eben nicht mehr unterschieden wird, ob es sich um eine Vermutung, ein Gerücht handelt oder nicht. Heute sind die Zeitungen voll von Zuspitzungen. Zuspitzung gehört zum journalistischen Handwerk, wenn sie nicht die Wahrheit verwischen. Die "Frankfurter Rundschau" zum Beispiel titelt "Finale in Tripolis". Auch die "taz" schreibt: "Endspiel um Gaddafi". Eine Feststellung. Ein Fakt. Die Realität. Woher aber nehmen die Kollegen diese Gewissheit? Vielleicht liegt es am Optimismus der Politiker: Der britische Premier David Cameron ist überzeugt, dass das Regime von Muammar al-Gaddafi in "vollem Rückzug" sei. Und US-Präsident Barack Obama sieht Libyen vor dem Wendepunkt. Tripolis entgleite dem "Griff eines Tyrannen", sagte er.

Trotzdem. Die Aufgabe der Medien ist es, so wahrhaftig wie möglich zu berichten. Und kenntlich zu machen, wenn es Unsicherheiten gibt. Am Sonntagabend konnte bis Redaktionsschluss noch nicht klar sein, dass es um das "Finale" geht, dass also Schluss ist mit Gaddafi und seinem Regime. Noch immer ist es es nicht klar – auch wenn man es hoffen mag. Zurück bleibt ein unbehagliches Gefühl: Da wünschen sich Journalisten was, was noch gar nicht eingetreten ist. Das dürfen sie auch. Aber bitte mit einer deutlichen Kennzeichnung, sonst hinterlässt es das Gefühl der Propaganda. Es gibt Medien, die genauer formuliert haben: "Die libyschen Aufständischen scheinen ihrem Ziel ganz nahe gekommen zu sein", berichtet tagesschau.de und relativiert damit. Klingt nicht so schön, kommt der Wahrheit aber deutlich näher.


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de