Spendenwerbung ist eine Frage der Menschenwürde

Spendenwerbung ist eine Frage der Menschenwürde
Um möglichst große Betroffenheit herzustellen, bildete man vor 40 Jahren skrupellos halbverhungerte Kinder auf Plakaten ab. Heute bemühen sich sie Hilfsorganisationen, die Würde der abgebildeten Menschen nicht zu verletzten. Statt dessen wird häufig gezeigt, wie die Hilfe wirkt.
08.08.2011
Von Thomas Klatt

Die Beine sind streichholzdünn, der Bauch ist prall gefüllt, so dass die Adern deutlich heraustreten, nicht etwa weil das Kind zu viel gegessen hätte, sondern weil sich Wasser statt Nahrung zu einem riesigen den Körper fast zu zerreißen drohenden Hungerödem ausgebildet hat. Das afrikanische Kind schaut den Zeitungsleser der 60er Jahre an. "Dieses Bild ist grausam. Aber noch grausamer ist es, Millionen Kinder sterben zu lassen", steht daneben.

Mit diesen und ähnlichen Motiven und Texten hat nicht nur die Caritas vor 50 Jahren die Deutschen zu Spenden aufgerufen. Noch heute können sich Ältere an die damals oftmals gezeigten "Biafra-Kinder" erinnern. Der Kontrast zwischen den dicken deutschen Bäuchen im Wirtschaftswunderland und den afrikanischen Hungerbäuchen hätte damals kaum größer sein können.

Doch das ist längst Werbegeschichte. Nicht nur, dass die meisten Deutschen heute bewusst auf ihre Linie achten. Auch Hungerbilder scheinen heute kein probates Fotomotiv mehr zu sein, um die Geldbeutel für Spenden öffnen zu helfen. Längst ist man etwa bei Caritas-International von jeglicher konfrontativen Spendenwerbung abgerückt. "Das namenlose Kind wurde damals vom Subjekt zum Objekt gemacht, ohne Wissen um seine Familie und seinen Lebensweg.

Foto nur mit Einverständnis

Die Würde des Kindes wurde auf diesen alten Plakaten nicht gewahrt", erläutert Achim Reinke von Caritas-International den Sinneswandel in Sachen Außenwerbung. Heute würden alle Caritas-Mitarbeiter dazu angehalten, bei Dokumentationen und Besuchen eigener Projekte in Entwicklungsländern, die Menschen zu fragen, ob diese überhaupt fotografiert werden möchten. Und dann sei es wichtig, immer auch den Namen zu wissen, damit deutsche Leser und Betrachter ein gleichberechtigtes Gegenüber hätten, erläutert Reinke, der bei Caritas-International für die Werbung zuständig ist.

"Es gibt bis heute immer noch diese Klischees, die den lange eingeübten Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen entsprechen. Afrikanische Kinder werden überwiegend nackt dargestellt. Als hätten afrikanische Kinder keine Kleidung und seien vor allem auf unsere Kleiderspenden angewiesen. Man stelle sich einmal eine ähnliche Darstellung mit weißen Kindern vor. Sofort würde etwa eine Diskussion um Pädophilie einsetzen. Bei schwarzen Kindern scheint es eine solche Problematik nicht zu geben. Es fehlt oftmals das Gespür für diese Grenzverletzung und für die Würde der Fotografierten", mahnt Reinke. 

Eine Kampagne aus dem Jahr 1969 zur Biafra-Krise: Bewusst wurde den Menschen in Deutschland vor Augen geführt, wie ein hungerndes Kind aussehen kann. Foto: Caritas

Bei Kindermotiven steigt die Betroffenheitskurve

Andererseits ständen Hilfsorganisationen immer noch in dem Dilemma, dass sie einerseits die Würde der Betroffenen und Opfer wahren wollen, andererseits aber die Not bewusst machen wollen und müssen.

"Wir kommen auch heute bei aktuellen Katastrophen nicht ganz ohne Kinderbilder aus. Zum Beispiel zeigen wir ein Kind mit einem Hungerband am Handgelenk, mit dem man den Status der Unterernährung messen kann. Die Betroffenenheitskurve der Betrachter steigt bei Kindermotiven höher als bei Motiven mit Alten, Kranken oder Behinderten, obwohl diese von Hunger und Durst mindestens genauso betroffen sein können", gibt Reinke zu.

1995 sah Spendenwerbung bei der Caritas ganz anders aus: Eine Mutter gibt ihrem Kind zu trinken, die Darstellung wahrt die Würde beider. Foto: Caritas

Aber man wolle auf jede Art von Provokationen wie auch jede bedrängende Werbung in Wort und Bild verzichten. Damit folgt Caritas-International den Richtlinien für seriöse Hilfsorganisationen, die das Deutsche Zentralinstitut für Soziale Fragen, DZI, aufgestellt hat. "Misstrauen ist angebracht bei Spendenaufrufen, die viele Emotionen wecken, aber wenig Informationen über die konkret geplanten Hilfsmaßnahmen bieten. Spender sollten sorgfältig darauf achten, dass dem Spendenaufruf genau zu entnehmen ist, wie und für wen die gesammelten Spenden eingesetzt werden sollen", heißt es in der aktuellen DZI-Spendeninformation zur Ostafrikahilfe.

Nachdenken statt Abstumpfen

Auch die evangelische Diakonie-Katastrophenhilfe und "Brot für die Welt" halten sich an diese seriösen Werberichtlinien. "Wir verzichten schon lange auf die Darstellung emotional anrührender Kinderportraits. Die Gefahr ist groß, dass die Dauerbetrachtung eher zu einer Abstumpfung führt", erläutert der Producer Rainer Götz, der von Stuttgart aus für beide Hilfswerke arbeitet. Nicht selten mit Unterstützung professioneller Werbeagenturen werden sowohl Motive für Außenwerbungsplakate, die schnell erfasst werden müssen, als auch Aktionsplakate für den Einsatz im Gottesdiensten oder Gemeindeschaukästen entwickelt.

In der Regel unterstützen Werbeagenturen die kirchlichen Hilfsorganisationen unentgeltlich, können sich aber mit geglückten Kampagnen für andere Aufträge präsentieren. Die Motive werden meist zwei bis drei Jahre eingesetzt, dann gelten sie als veraltet. Es geht vor allem um Werbung, die für eine dauerhafte und nachhaltige Hilfe wirbt. So etwa mit der Schale, auf der nur wenige Reiskörner liegen. Der Text "weniger ist leer" soll mit ironischem Wortwitz zur Nachdenklichkeit anregen. Die ganze Welt als ein Brotlaib mit dem Text "Jedes Stück zählt" nennt Götz einen außerordentlichen Glücksgriff kongenialer Zusammenarbeit mit einer Profi-Agentur für "Brot für die Welt".

Starker Appell mit Wortwitz: Mit dieser fast leeren Reisschüssel machte Brot für die Welt 2006/7 darauf aufmerksam, dass viele Menschen tatsächlich nicht mehr haben. Foto: Brot für die Welt

Der "CNN-Effekt"

Auch bei Caritas-International setzt man heute auf Motive und Texte, die zur Nachdenklichkeit anregen sollen und vor allem auf langfristige und nachhaltige Hilfe hin angelegt sind. Bei den Werbekampagnen in Deutschland könne man da noch selbst bestimmen. In Nachrichtensendungen aber stehe man etwa bei großen Katastrophen oftmals in Konkurrenz zu sehr vielen Hilfsanbietern, deren vordergründiges Ziel es sei, sich zuerst mediengerecht darzustellen, weiß Reinke. Der berüchtigte "CNN-Effekt"! Ziehen die Kamerateams zu den nächsten Krisenherden weiter, verlassen meist auch viele Hilfsorganisationen mit ihren werbewirksamen Emblemen und Plakaten wieder den Unglücksort und ziehen nicht selten mit dem Medientross gleich mit.

Viele Hilfsaktionen folgten eher der Medienlogik, als dass die sinnvoll wären. "Wenn ein Flugzeug von Frankfurt am Main voll Hilfsgüter gen Afrika aufbricht, dann ist das toll für die Fernsehkameras. Ein Flugzeugbauch voll guter weißer Hilfe für die Schwarzen. Wer kann da schon etwas dagegen haben. Das entspricht der Sehgewohnheit der Fernsehzuschauer. Besser wäre aber die Zusammenarbeit mit den regionalen Partnern vor Ort. Gute Hilfe ist in der Regel die, die man nicht so ohne weiteres sieht und den Medien vermitteln kann", weiß Achim Reinke von Caritas-International.


 Thomas Klatt arbeitet als freier Journalist in Berlin.