Das Großereignis 500 Jahre Reformation am 31. Oktober 2017 rückt näher. Und in den Reihen der Evangelischen Kirche wird gerade angesichts des unmittelbar bevorstehenden Besuches von Papst Benedikt XVI. in Deutschland intensiv darüber gesprochen, ob man das Gedenken an Martin Luthers Publikation seiner 95 Thesen nicht ökumenisch begehen sollte. Schließlich habe der Theologieprofessor und Augustinermönch Luther ja nicht die Absicht gehabt, die Kirche zu spalten, er wollte sie lediglich erneuern.
Wenn unter "ökumenisch" zu verstehen sein sollte, dass es einer gemeinsamen Konstruktion der Festivitäten zwischen der organisierten Evangelischen Kirche einerseits und der römischen Papstkirche andererseits bedürfe, sollte man dies getrost und rasch ad acta legen. Auch nach 500 Jahren sind weite Teile des römischen Episkopats nicht bereit, Person und Leben Martin Luthers, seinen reformatorischen Ansatz und seine Ziele vorbehaltlos zu würdigen.
Und zu ihrer Entschuldigung muss man sagen: Wie sollten sie das auch? Die eindeutige Aussage Luthers, dass ein päpstlicher Primat sich nicht aus der Heiligen Schrift erklären lasse und dass nicht nur der Bischof von Rom, sondern alle Christen das Amt der Apostel, unter ihnen Petrus, inne hätten, ist mit dem Selbstverständnis der Papstkirche so unvereinbar wie vor 500 Jahren.
Die katholische Kirche in ihrem Selbstverständnis getroffen
Es ist nur wahrhaftig, wenn zum Beispiel der Regensburger Bischof Gerhard Müller - wohlgemerkt der Ökumene-Beauftragte der deutschen Bischofskonferenz - fordert: "Es ist an der Zeit, dass man sich auf evangelischer Seite ganz offiziell von der Behauptung Luthers distanziert, dass der Papst der Antichrist sei. Denn damit war nicht der Papst als einzelner Christ gemeint. Damit sollte die katholische Kirche in ihrem sakramentalen Selbstverständnis getroffen sein. Das kann man nicht als zeitbedingte Polemik abtun." Recht hat er!
Luthers Kirchenbild, niedergeschrieben 1528, liest sich so: "Danach glaube ich, dass eine, heilige, christliche Kirche ist auf Erden, das heißt die Gemeinde, Menge oder Versammlung aller Christen in aller Welt, die eine Braut Christi und sein geistlicher Leib, dessen einziges Haupt er ist. Die Bischöfe oder Pfarrer sind nicht ihre Häupter noch Herren noch Bräutigame, sondern ihre Diener, Freunde. [...] Diese Christenheit findet sich nicht allein unter der römischen Kirche und dem Papst, sondern in aller Welt, wie die Propheten verkündigt haben, dass das Evangelium von Christus werde in alle Welt kommen, [...] dass also unter Papst, Türken, Persern, Tataren und allenthalben die Christenheit zerstreut ist leiblich, versammelt geistlich, in einem Evangelium und einem Glauben unter einem Haupt, das Jesus Christus ist."
Und ein Paar Zeilen weiter schreibt Doktor Luther, dass die Idee eines "Oberhauptes" der Kirche neben oder in der Stellvertretung Jesu Christi "widerchristlich" sei oder "antichristlich".
Alle als Gäste willkommen heißen
Man kann darüber streiten, ob man diesen Satz so scharf formulieren musste. Nicht zu streiten ist aus evangelischer Sicht darüber, dass eine unsichtbare Kirche überall dort ist, wo Christen sind, und ihr Oberhaupt alleine Jesus Christus sei. Das macht Ökumene (zu deutsch: Gemeinschaft im Haus) nicht nur möglich - das ist Ökumene pur. Deswegen sollten die Evangelischen als Gastgeber alle Christen zur Reformationsfeier 2017 einladen, ob sie Orthodoxe, römische Katholiken, Freikirchler oder – ja, natürlich auch – Pfingstkirchen-Mitglieder sind.
Um Gast zu sein, müssen die Römer nicht evangelisch werden. Und die Gastgeber können als Kirche der Freiheit gar nicht anders als alle Christen, alle Schwestern und Brüder, egal, wo sie leben und wie sie sich organisiert haben, herzlich willkommen zu heißen.
Arnd Brummer ist Chefredakteur des evangelischen Magazins chrismon und evangelisch.de. Im September erscheint sein Buch "Unter Ketzern" (edition chrismon), in dem er über den ebenso unsterblichen wie surrealen Traum von der Ökumene und die überflüssige Angst vor einem Ende der Kirche sinniert.