Viele Kinder und Migranten würden benachteiligt, es fehle an einem umfassenden Armutsbekämpfungsprogramm - das sind zwei zentrale Kritikpunkte in einem vorläufigen Bericht, aus dem der Berliner "Tagesspiegel" (Mittwochausgabe) und die Nachrichtenagentur dpa zitieren. Das Bundessozialministerium wies die Kritik als "in weiten Teilen nicht nachvollziehbar" zurück.
Der Bericht ist nicht ganz neu: Bereits im Mai hatte der Evangelische Pressedienst (epd) über die Kritik des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte berichtet. Moniert wurde eine anhaltende Diskriminierung von Zuwanderern und ihren Nachkommen in Deutschland. Migranten müssten bis in die zweite Generation erhebliche Benachteiligungen in Beruf und Ausbildung erdulden, hieß es.
Weit verbreitete Vorurteile stünden einer Gleichberechtigung der Einwanderer im Weg. Oft fehle es Migranten aber auch an Wissen über ihre Rechte. Laut den Untersuchungen sei die Politik zur Überwindung der Vorurteile gescheitert. Deutschland sollte die Migranten besser in die Gesellschaft integrieren, die bestehenden Gesetze gegen Diskriminierung müssten konsequenter umgesetzt
werden.
Wachsende Zahl von Armen bereitet Sorge
Der UN-Ausschuss bemängelte den neuen Medienberichten zufolge überdies, dass in Deutschland jedes vierte Kind ohne Frühstück zur Schule geht. Nachdrücklich fordern die UN-Experten "konkrete Maßnahmen", damit "Kinder, besonders aus armen Familien, richtige Mahlzeiten erhalten", ohne dass die Kinder "stigmatisiert" werden.
Der Ausschuss registriert "mit Sorge", dass 13 Prozent der deutschen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt - darunter 2,5 Millionen Kinder - und 1,3 Millionen Menschen trotz Arbeit staatliche Unterstützung benötigen. Notwendig sei ein nationales Programm gegen Armut.
Asylsuchenden würden sogar ausreichende Sozialleistungen versagt, beklagten die UN-Experten. Dabei müssten sie "im Einklang mit internationalen Normen" den gleichberechtigten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen, zur Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt erhalten.
Empfehlungen nicht umgesetzt
Besorgt ist das UN-Gremium auch, dass die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland immer noch doppelt so hoch ist wie im Westen. Positiv hervorgehoben werde in dem Bericht, dass die Arbeitsmarktreformen den niedrigsten Stand der Arbeitslosen in den vergangenen 20 Jahren ermöglicht hätten. Beim Zugang zu Jobs sehen die UN Frauen wegen "klischeehafter Vorstellungen der Geschlechterrollen" benachteiligt.
Erheblich ausgebaut werden müssten in Deutschland Angebote für Kinder, Behinderte, Ältere und Kranke. So würden in Pflegeheimen viele Bewohner "in menschenunwürdigen Bedingungen leben". Viele frühere Empfehlungen seien nicht umgesetzt worden, moniert der UN-Ausschuss.
Weiter kritisieren die Experten die Subventionen für die deutsche
Landwirtschaft. Durch den Export subventionierter Agrarerzeugnisse würden Bauern in den Entwicklungsländern geschädigt. Zudem warfen die Fachleute deutschen Filmen vor, bei ihren Investitionen im Ausland die Menschenrechte oft nicht zu beachten.
"Keine soziale Gerechtigkeit"
Das Bundessozialministerium wies die Kritik als "nicht durch wissenschaftliche Fakten belegt" zurück. Deutschland habe in den vergangenen Jahren auch im Sozialbereich eine positive Entwicklung genommen, die weltweit hoch anerkannt sei, sagte eine Sprecherin in Berlin. "Es ist schade, dass der UN-Unterausschuss nahezu keine Fakten aus der umfangreichen Stellungnahme der Bundesregierung im Bericht berücksichtigt hat."
Der Sprecher des Erwerbslosen Forums Deutschland, Martin Behrsing, kritisierte: "Die Bundesregierung gaukelt seit Jahren den Menschen eine soziale Gerechtigkeit vor, die in Wahrheit eine dramatische Verarmung und Diskriminierung von Menschen ist."
Memet Kilic, Sprecher für Migrations- und Integrationspolitik der Grünen, erklärte: "In Deutschland gibt es keine Integrationsmisere, sondern eine Bildungs- und Chancengleichheitsmisere."
Nur "Empfehlungen" möglich, keine Sanktionen
Der UN-Ausschuss wurde 1985 eingerichtet, um die Umsetzung der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu überwachen. Die Unterzeichnerländer müssen dem Ausschuss alle fünf Jahre Bericht erstatten. Zweimal jährlich - im Frühjahr und Herbst - tagen die 18 Experten für mehrere Wochen in Genf, zuletzt im Mai. Auch der UN-Menschenrechtsrat hatte in früheren Jahren schon die unzureichende Schulbildung für Kinder aus armen und ausländischen Familien kritisiert.
Der UN-Sozialausschuss erhielt Daten und Berichte über Deutschland von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Zudem stellte die Bundesregierung Material zur Verfügung. Der Sozialausschuss kann keine Sanktionen verhängen, sondern nur Empfehlungen an die Vertragsstaaten aussprechen.