Politik zeigt Kirchhof erneut die kalte Schulter

Politik zeigt Kirchhof erneut die kalte Schulter
Könnte es wirklich so einfach sein? Nicht mehr 200 verschiedene Steuergesetze, sondern nur noch eines? Nur noch 146 Paragrafen statt über 30.000? Je komplizierter die Dinge sind, desto größer die Sehnsucht nach einer einfachen Lösung. So gesehen ist es kein Wunder, dass Paul Kirchhof mit seinem Entwurf für ein radikal vereinfachtes Steuersystem ein wohlwollendes Echo in den Medien bekommt. Nach Kirchhofs Konzept soll es künftig nur noch vier Steuern geben: auf Einkommen, Umsatz, Erbschaften und Verbrauch.
28.06.2011
Von Jochen Neumeyer und André Stahl

Ein mittleres Wunder wäre es, wenn von den Ideen des Heidelberger Professors im Berliner Politikbetrieb viel übrig bliebe. Schon im Bundestagswahlkampf 2005 hatte sich der ehemalige Verfassungsrichter und ausgewiesene Steuerexperte eine blutige Nase geholt, als er für die Union als potenzieller Finanzminister antrat. Damals wurde er zur bevorzugten Zielscheibe von Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der ihn als "dieser Professor aus Heidelberg" verspottete. Man darf dem heute 68-jährigen Experten durchaus Leidenschaft, vielleicht auch Besessenheit abnehmen, wenn er sich nun wieder aus der Deckung traut.

"Angebot aus der Wissenschaft"

Ohne konkreten Auftrag entwarf Kirchhof in einer Arbeitsgruppe mit sechs Bundesländern in mehr als zehn Jahren sein Steuergesetzbuch. Ein, wie er es nennt, "Angebot aus der Wissenschaft", das sich in seiner Übersichtlichkeit und klaren Sprache wohltuend abhebt vom Klein-Klein der realen Reformbastelei. Doch schon bei der Vorstellung des Werks wurde deutlich, dass Kirchhof zwar viel Mühe und Liebe in seinen Entwurf gesteckt hat, sich aber keine schlagkräftige politische Unterstützung organisieren konnte oder wollte.

Da blieb ihm nur der Verweis auf die Abteilungsleiter aus den Länderministerien, mit denen er zusammengearbeitet hat. Und der Glaube daran, "dass sich der große Gedanke durchsetzt". Für wie groß er seinen Gedanken hält, wird daran deutlich, dass er zum Vergleich die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 heranzog.

Der ehemalige Lieblingsfeind

In Berlin klang das Echo am Tag danach genau so, wie es zu erwarten war und schon Jahre zuvor geklungen hatte: Interessant, aber nicht umsetzbar und viel zu teuer, lautete das Urteil auch aus den Koalitionsreihen. Dass von SPD und Grünen wenig Unterstützung für einen ehemaligen Lieblingsfeind zu erwarten war, versteht sich von selbst. Mancher Widerspruch bleibt ungeklärt: Während Kirchhof sagt, die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer würden sich nach seinem Plan verdreifachen, meint Jürgen Trittin (Grüne), sie würden sich halbieren.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Volker Wissing (FDP), äußert Sympathie für die Vorschläge, nutzt die Gelegenheit aber gleich zu einem Seitenhieb auf den Koalitionspartner. Ansonsten betont er, Steuerpolitik bedeute, "dicke Bretter bohren" - und ist dann gleich bei den Details der "kalten Progression". Der finanzpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Klaus-Peter Flosbach, äußert "höchsten Respekt" vor der Arbeit Kirchhofs - und braucht danach noch vier Zeilen zur Feststellung: "Klar ist aber auch, dass man ein über Jahrzehnte gewachsenes Steuersystem nicht so ohne weiteres gegen ein neues austauschen kann."

Dumm nur, dass Kirchhof genau das vorhat. Doch die Berliner Routine wird sich von einem Professor aus Heidelberg kaum mehr durcheinanderbringen lassen.

Kirchhofs Vorschlag im Überblick

- Für Einkommen soll generell ein Einheitssteuersatz von 25 Prozent gelten. Kleinere Abstufungen sind nur für Geringverdiener vorgesehen. Die ersten 10 000 Euro bleiben steuerfrei, dann steigt die Steuerlast in zwei Stufen an, ab 20 000 Euro werden die vollen 25 Prozent fällig. Alle Steuervergünstigungen sollen abgeschafft werden, ebenso die Unterscheidung zwischen den aktuell sieben Einkunftsarten. Auch die verschiedenen Steuersätze von 15 Prozent (Körperschaftssteuer), 25 Prozent (privates Kapitalvermögen) und 14 bis 45 Prozent (progressive Einkommensteuer) entfallen.

- Auch alle Unternehmen sollen einheitlich dieselbe Einkommenssteuer zahlen. Personen- und Kapitalgesellschaften bilden jeweils eine steuerjuristische Person, bei der die Steuer erklärt und erhoben wird. Die Weitergabe des bereits versteuerten Gewinns an Beteiligte gilt als Weitergabe von Vermögen und ist damit steuerfrei.

- Die Gewerbesteuer wird abgeschafft. Stattdessen soll ein kommunaler Zuschlag auf alle in der Gemeinde erwirtschafteten Einkommen erhoben werden, den die Kommunen selbst festlegen dürfen.

- Für Erbschaften soll nur noch ein einheitlicher Steuersatz von zehn Prozent gelten. Erbschaften unter Ehegatten bleiben generell steuerfrei. Für Kinder gibt es Freibeträge von 400 000 Euro, für alle anderen Erben 50 000 Euro. Wenn - insbesondere bei Unternehmen - das ererbte Vermögen kaum Liquidität vermittelt, kann die Steuer auf zehn Jahre in gleichen Jahresraten zinslos gestundet werden.

- Bei der Umsatzsteuer wird auf den komplizierten Vorsteuerabzug verzichtet. Leistungen zwischen Unternehmen sollen grundsätzlich steuerfrei bleiben, wenn sie über prüfbare Bankkonten abgewickelt werden und eine umsatzsteuerliche Identifikationsnummer erkennbar ist. Die Steuererhebung wird von der Soll- auf die Ist-Besteuerung umgestellt. Das heißt, der Unternehmer muss die Steuer erst dann abführen, wenn der Kunde die Rechnung auch tatsächlich bezahlt hat.

- Für den Verbrauch bestimmter Güter, die die Allgemeinheit belasten, wird eine Verbrauchssteuer erhoben. Dies betrifft Energie, Tabak und Alkohol. Die Verbrauchssteuer ersetzt eine Vielzahl von Sondersteuern, etwa auf Branntwein, Bier, Schaumwein, Kaffee und Mineralöl.

dpa