Die Bundesarbeitsministerin warb dafür, Spitzenkräfte aus dem Ausland zu holen. Insgesamt sicherten hoch qualifizierte Kräfte Arbeitsplätze "in der Breite, nicht nur in der Spitze", erklärte sie. Sie sorgten auch für Arbeitsplätze für Geringerqualifizierte. Konkret entfällt ab Mittwoch die Vorrangprüfung für Ärzte, Maschinenbau- und Elektroingenieure. Nach einer Anweisung aus dem Bundesarbeitsministerium müssen die Arbeitsagenturen damit nicht mehr prüfen, ob es für die Stelle einen inländischen oder einen Bewerber aus der EU gibt, bevor ein Drittstaaten-Angehöriger eingestellt werden darf.
"Unqualifizierte brauchen wir nicht"
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, dies sei ein wichtiger erster Schritt. In den nächsten Wochen werde auch die Frage der Gehaltsgrenze für hoch qualifizierte Zuwanderer neu diskutiert, kündigte sie an. Derzeit müssen diese mindestens 66.000 Euro im Jahr verdienen, um sich niederlassen zu können. In EU-Kreisen werde derzeit über eine Verdienstschwelle des anderthalbfachen des Durchschnittsverdienstes diskutiert, sagte von der Leyen. In Deutschland seien dies rund 40.000 Euro. Von der Leyen betonte, dass es vor allem um Spitzenleute aus dem Ausland gehe. "Unqualifizierte brauchen wir nicht, wir haben genug damit zu tun, unsere Geringqualifizierten weiterzubilden."
Die Regierung will verstärkt in den osteuropäischen Ländern um Fachkräfte werben. Arbeitnehmer aus den Ost-EU-Ländern können seit Mai uneingeschränkt in Deutschland arbeiten. Das Fachkräftekonzept beinhaltet außerdem die ohnehin geplante gesetzliche Regelung der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und die Absicht, es ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen zu erleichtern, im Anschluss in Deutschland zu arbeiten.
Verdi-Chef Frank Bsirske forderte Maßnahmen besonders für die Pflegebranche: "Gerade in der Alten- und Krankenpflege ist der Mangel an Fachpersonal derzeit besonders akut", erklärte er in der "Rheinischen Post".
DGB und SPD fordern mehr Aus- und Weiterbildung
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, sagte, der Kabinettsbeschluss sei nicht mehr als ein erster Schritt. Wer die inländischen Potenziale an Fachkräften ausschöpfen wolle, müsse mehr Geld für die Förderung von Langzeitarbeitslosen und Alleinerziehenden auch im Hartz-IV-System bereitstellen, statt wie geschehen die Förderung von Langzeitarbeitslosen zu kürzen.
Der SPD-Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann bemängelte, hinter dem Konzept stehe keine nachhaltige Strategie, sondern es würden nur akute Lücken geschlossen. Aus- und Weiterbildung blieben die besten Instrumente im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, sprach sich ebenfalls für mehr Investitionen in die Ausbildung aus. Hier müssten Unternehmen in die Pflicht genommen werden, anstatt dass ausländische Fachkräfte als "ökonomisch nützliche Arbeitsmarktpuffer dienten".
Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, erneuerte die Forderung nach einem Punktesystem. Damit könnten klare Kriterien zur Zuwanderung von Fachkräften nach eigenem Bedarf festgesetzt werden.
Schlummernde Potentiale bei Frauen und Älteren wecken
Parallel zur Zuwanderung müssten aber auch die schlummernden Potentiale bei Frauen und Älteren im Inland besser genutzt werden, sagte Ursula von der Leyen. 6,3 Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter sind nicht berufstätig, 45 Prozent der berufstätigen Frauen arbeiten in Teilzeitjobs, durchschnittlich 18 Stunden in der Woche. Die Bundesregierung will daher die Erwerbstätigenquote unter den Frauen auf 73 Prozent steigern und die Kinderbetreuung verbessern, damit mehr Mütter ihre Arbeitszeit erhöhen können - was dem Wunsch jeder dritten berufstätigen Frau entgegenkäme. Allein durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindern könnten 1,2 Millionen häufig gut qualifizierte Frauen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden; weitere 500.000 kämen dazu, so die Berechnungen, wenn es eine Nachmittagsbetreuung für Schulkinder gäbe.
Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre sichert eine Million ältere Arbeitskräfte, eine weitere Million käme hinzu, wenn es gelänge, die Erwerbstätigenquote der über 55-Jährigen von heute 56 auf 70 Prozent anzuheben, so das Konzept. Das EU-Ziel und das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung liegen allerdings nur bei 60 Prozent.