Plädoyer für den Kirchentag: Fromm, politisch, protestantisch

Plädoyer für den Kirchentag: Fromm, politisch, protestantisch
Für viele ist der Kirchentag ein Herzstück des deutschen Protestantismus, gleichzeitig politische Zeitansage und großes Glaubensfest. Für Matthias Matussek bedeutet das aber: "Wir basteln uns Utopien, in Malkursen für Frauen, in Backebacke-Kuchen-Veranstaltungen für Klimaretter und Gelegenheitschristen". Seine polemische Kritik an Käßmann und am Kirchentag greift allerdings zu kurz.
10.06.2011
Von Steve Henkel

In Dresden kamen am Wochenende vor Pfingsten hunderttausende Menschen zusammen, um Gottesdienste zu feiern, zu beten, Musik zu machen, aber auch, um mit Christian Wulf über Integration zu diskutieren oder Thomas de Maiziéres Haltung zu Afghanistan abzuklopfen. Wie immer schwankte die Bewertung in der Presse von "so politisch wie nie" bis "viel zu unpolitisch".

In den säkularen Medien kommt aber vor allem eine vor: der "Popstar of Protestantism", der Hallen und Kirchen füllte – Margot Käßmann. Sie sagte nichts neues, aber wie immer sagte sie es so, dass alle begeistert waren. Ihre Bücher sind in der Buchhandlung eher im Bereich "Spiritualität und Lebenshilfe" zu finden als bei "Theologie", das ist kein Geheimnis und das stört viele im Feuilleton und in der Theologie, denn es ist ihnen zu seicht. Doch der Aufreger bleibt ihre Kriegskritik. Zu wohlfeil, zu wenig durchdacht sei sie. An der hängte sich auch Spiegel-Autor Matthias Matussek auf.

Mehr wert als eine Randnotiz

Vielleicht wirkt Käßmanns Kriegskritik in einer 120-Zeichen-Notiz in der Tageszeitung tatsächlich seicht. Doch der genaue Blick empfiehlt sich. Neben "nichts ist gut in Afghanistan" beklagte sie, dass es nicht gut sei, wenn Kinder in Deutschland arm seien oder wenn Spitzensportler sich nicht trauen könnten, eine Depression behandeln zu lassen. Es war ihr rhetorisches Mittel gegen die blasse Vertröstung "Alles wird gut!". Sie prangerte nicht an, dass Soldaten in Afghanistan sind, sondern dass den Entwicklungshilfeorganisationen im Verhältnis zu den Kosten des Militäreinsatzes so kläglich wenig Mittel zum Aufbau dieses Landes zu Verfügung stehen. "Vorrang von Zivil" war ihr Motto, nicht "Make love not war".

Matussek wirft Käßmann aber vor, den Soldaten in den Rücken zu fallen, wenn sie solche Themen auf den Tisch bringt. Gerade den Soldaten, die kaum noch wissen, wieso sie ihr Leben aufs Spiel setzen, wo doch die einheimische Bevölkerung ihren Einsatz mehrheitlich ablehnt. Aber war denen etwa nicht mit der Debatte gedient, die fragte, "Was wollen wir dort?" und "Wann ziehen wir ab?".

Der Spiegel-Kolumnist wendet ein, man müsse manchmal schuldig werden, wie auch Bonhoeffer es formuliert hat. Nur: Bis zu besagter Neujahrspredigt meinten viele Deutsche, ihre Soldaten bauten lediglich Schulen und Brunnen. Von Krieg und vom "schuldig werden" war damals kaum Rede. So war diese Predigt damals doch ein Anstoß zur Abzugsdebatte und so auch eine Perspektive für die Soldaten. Damit fällt man niemandem in den Rücken.

Gerechter Krieg oder gerechter Friede?

Ohne Not stützt sich Matussek auf die Tradition der Rede vom "gerechten Krieg". Mit Augustin und Thomas Aquinus ist ein Krieg dann gerechtfertigt, wenn er dem Frieden dient. Das ist altes katholisches Gedankengut – also genau sein Lieblingsthema. Dass etwa die Kreuzzüge zweifellos in ihrer Zeit als gerechte Kriege verstanden wurden, ist allerdings auch kein Geheimnis, und lässt sich sehr schön bei dem großen katholischen Theologen Bernhard von Clairevaux nachlesen. Die Rede vom "gerechten Krieg" ist verbrannte Erde für Christen, spätestens seit auf katholischen wie evangelischen Kanzeln 1941 Hitlers Russlandfeldzug gegen den Kommunismus bejubelt wurde.

Ein Krieg bringt immer großes Unrecht mit sich, so hehr auch die Motive sind, mit denen er geführt wird – eine Frage, die für Afghanistan je nach Sichtweise ganz unterschiedlich beantwortet wird. Deshalb spricht die Evangelische Kirche vom gerechten Frieden. Das heißt nicht nur die Abwesenheit von Gewalt, sondern auch sozialer Friede.

Mit alten Kirchenlehrern zieht der Kampf-Katholik Matussek also gegen die "heilige Margot" zu Felde. Naiv sei sie, und gefällig wie wohlfeil ihre Predigt. Nun, was kann man über Käßmanns Themen sagen? Den Frieden predigt sie, soziale Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit. Klingt das seltsam von einer Kirchenfrau oder gar anrüchig? Haben wir ähnliches nicht schon von anderen Christen, Bischöfen und auch vom Papst gehört? An Käßmanns Themen ist nichts neues für einen Christen, auch nicht für einen Katholiken, gar nichts.

Zölibat ja, Frieden vielleicht?

Man fragt sich also was Bruder Matussek so empört – der Gedanke, es könnte darum gehen, dass Käßmanns Bücher im Gegensatz zu seiner antireformatorischen Streitschrift "Das katholische Abenteuer" Monate lang  Bestsellerlisten anführten, sei jedoch ferne.

Matthias Matussek vertritt vehement, dass die Kirche nicht in der Gesellschaft aufgehen dürfe, vielmehr müsse sie andere Maßstäbe setzen und mutig auch für provokante Positionen einstehen. Gerne bemüht er hierfür die sexualisierte Gesellschaft und stellt ihr den Zölibat als "herrliche Einrichtung" entgegen. Hier setzte die Kirche glaubwürdig ein Zeichen, dass die Maßstäbe Gottes andere sind als die der Welt. Das ist eine These die man sicher vertreten kann, wenn man den Zölibat als biblische Randerscheinung und kirchenpolitische Satzung des 12. Jahrhunderts für Gottes Maßstab hält.

Der radikale Pazifismus provoziert

Und wie sieht es mit dem Frieden aus? Das Wort "Frieden" kommt in der Bibel 182 mal vor. Es steht immer in Zusammenhang mit dem Reich Gottes, ist zentrale Verheißung und Anspruch Gottes an die Menschen. Wann ist die Kirche also die mutige, die provozierende, die Matussek fordert?

Wenn sie sagt, "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein", wie es nach dem zweiten Weltkrieg der neu gegründete Weltkirchenrat schrieb oder wenn sie sich darauf einlässt, das eine Töten gerechter erscheinen zu lassen als das andere? Ist die Mutter, die durch ein fehlgeleitetes deutsches Geschoss stirbt, einen gerechteren Tod gestorben als die, die von Taliban erschossen wird?

Möglicherweise ist es ja die Radikalität dieses Pazifismus, die so provokant ist. Es ist geradezu grotesk, dass Margot Käßmann, die nach Frieden ruft, sich von einem Mann naiv nennen lassen muss, der im Jahr 2011 ernsthaft das Verbot der Priesterweihe für Frauen verficht. Ich bin froh, einer Kirche anzugehören, die darum ringt, der biblischen Verheißung von Frieden zu folgen anstatt viel Energie in den Erhalt mittelalterlicher Kirchengesetze zu stecken.

Wir müssen reden!

Eben weil wir als Protestanten uns mit der Bibel und der Welt immer wieder neu ins Benehmen setzen müssen, ist eine Veranstaltung wie der Kirchentag so wichtig für uns. "Wir müssen reden" hat Kirchentagspräsidentin Göring-Eckardt zur Eröffnung gesagt. Protestanten leben mit der Bibel in der einen Hand und der Tageszeitung in der anderen. Das macht es nicht immer einfach.

Wir wissen seit 1989, dass ein friedlicher Umsturz auch im Kerzen und Gebeten seinen Anfang nehmen kann, aber die Frage bleibt, ob man bei Taten wie solchen, die mit dem Namen Srebrenica verbunden sind, nicht einschreiten muss. Wir haben geredet, und ja, vielleicht muss man einschreiten. Aber am Ende bleibt ein großes Fragezeichen hinter vorschneller Gewalt und eine Absage an "gerechte" Kriege. Und dabei sind wir überzeugt, weder zu fromm noch zu politisch gewesen zu sein. Wir sind immer beides.


Steve Henkel ist Theologiestudent aus Bonn, aktiv im Studierendenrat Evangelische Theologie (SETh) und war Jugenddelegierter zur EKD-Synode 2010.