Journalisten in der Japan-Krise: Gehen oder bleiben?

Journalisten in der Japan-Krise: Gehen oder bleiben?
Die deutschen Reporter in Japan haben die Gefahrenzone verlassen, in den deutschen Medien spielt die deutsche Atompolitik eine wichtige Rolle. Der japanische Deutschland-Korrespondent Shogo Akagawa findet das schade, Krisenjournalismus-Forscher Schwarz typisch.
17.03.2011
von Miriam Bunjes

Shogo Akagawa sitzt in seinem Berliner Büro und lässt sein Handy nicht aus den Augen. „Ich rufe nicht bei japanischen Behörden an, das ist der Job meiner Kollegen“, sagt der Europa-Korrespondent der japanischen Wirtschaftszeitung "Nihei Keizai Shimbun", kurz Nikkei. Er verfolgt dennoch alle Informationen der japanischen Medien, spricht mit seinen Kollegen in Tokio über die Lage im Katastrophengebiet im Norden Japans. Und schreibt über die europäischen Reaktionen auf die japanische Krise.

Jetzige Situation wichtiger als Atomdebatte 

Gerade hat er einen Artikel über die neue deutsche Atomdebatte nach Tokio geschickt. "Ich kann verstehen, dass die Deutschen jetzt so intensiv über ihre eigenen Atomanlagen debattieren", sagt der 39-jährige Journalist, der seit vier Jahren für Nikkei in Deutschland arbeitet und auch als Jugendlicher eine Weile in Frankfurt wohnte – zur Zeit des Super-GAUs in Tschernobyl. "Die Deutschen reagieren wegen ihrer schlechten Erfahrungen vor 25 Jahren sehr empfindlich auf Themen rund um Radioaktivität." Und die Atompolitik der europäischen Länder und der EU hätte sicher auch Einfluss auf die japanische – später. "Die Debatte darüber wird auch in Japan kommen. In der Berichterstattung sind aber jetzt reale Fakten wichtiger: Wie gefährlich ist es jetzt gerade an welchem Ort, wie ist die Straßenlage, wo gibt es Benzin?"

Dass die deutschen Medien ihre Berichterstatter aus Nordjapan und die meisten sogar komplett aus Japan abgezogen haben, findet Akagawa schade. "Sie können jetzt nur noch aus zweiter Hand berichten und sich kein eigenes Bild mehr machen." Vom Gefahrenpotential her hält er den Rückzug für zu schnell. "BBC und CNN sind ja auch noch da. Ich wäre länger geblieben, wenn in Deutschland so etwas passiert wäre."

Auch Andreas Schwarz, Medienforscher an der Universität Ilmenau, findet den Rückzug der Korrespondenten problematisch. "Die Sicherheit der Berichterstatter hat natürlich Priorität", sagt Schwarz, der mit einer internationalen Forschergruppe Krisenberichterstattung weltweit verfolgt.

Internet ermöglicht schnellere Berichterstattung

"Die Berichterstattung der deutschen Medien verläuft nach einem sehr ähnlichen Schema wie die Berichterstattung über Tschernobyl vor 25 Jahren", sagt der Forscher: Zunächst standen die Ereignisse im Vordergrund und dann sehr schnell die innenpolitische Debatte über Atomenergie. "Der Informationsfluss war diesmal schneller", sagt Schwarz. "Die Sowjetunion hat ja damals die Information über den Unfall in Tschernobyl zwei Tage komplett geheim gehalten." Das sei im Zeitalter des Internets natürlich unmöglich und von einem Staat wie Japan sowieso nicht zu erwarten. Dass die Informationen über die Vorgänge in den Atomreaktoren in Fukushima nur scheibchenweise flossen, sowohl von Betreiberseite als auch von der Regierung – auch das thematisierten und kritisierten westliche Journalisten schnell.

"Die Politisierung des Ereignisses ging noch schneller als in Tschernobyl", sagt Schwarz. "Sicherlich, weil gerade erst eine hitzige gesellschaftliche Debatte über den Ausstieg vom Atomausstieg geführt wurde. Das und auch der Castor-Transport vor kurzem hat die Menschen auf die Straße gebracht." Und daher sei es ihnen und auch den Journalisten noch sehr gut in Erinnerung.

Über allem schwebt das Schlüsselereignis Tschernobyl. Die Berichterstattung darüber wurde im Nachhinein als unkritisch und verwirrend angesehen. "Sehr schnell kamen nun auch die Experten von damals zu Wort", sagt Schwarz. "Die politisierten Experten der Umweltbewegung, die Atomlobby und – schneller als beim Tschernobyl-GAU – auch unabhängige Forscher." Ein großer Unterschied sei jetzt der europäische Blick: "Man schaut auch darauf, was in den Nachbarländern diskutiert wird." Deutschlands hitzige Atomausstiegsdebatte sei aber einzigartig in ihrer Breite und Intensität. "Die Umweltbewegung war hier schon immer stark und die Akteure haben sich inzwischen professionalisiert", sagt Schwarz. "Die Medien verstärken die Debatte derzeit."

Medien berichten zu wenig über Hilfe

Ein Druck, der wirkt: Mit Aussicht auf kommende Wahlen ändert die schwarz-gelbe Regierung ihren Atomenergiekurs – anders als nach Tschernobyl. Andreas Schwarz fehlt vor allem ein wesentlicher Aspekt in der Berichterstattung. "Über deutsche Hilfe für Japan wird sehr wenig berichtet. Wie viel ist möglich, wie wird das koordiniert, wird alles getan? Darüber erfährt man kaum etwas", sagt er.

Dinge, die aus japanischer Sicht entscheidender sind. "Den japanischen Journalisten wird jetzt häufig vorgeworfen, sie seien so unkritisch", sagt Shogo Akagawa. "Sie müssen aber anders an die Krise herangehen. Wir berichten jetzt mehr über die Realität als über Verantwortung. Es gibt 500.000 Obdachlose, die Versorgung mit Lebensmitteln, Strom und Benzin in Nordjapan ist katastrophal." Zum Teil würden Zeitungen gar nicht ausgeliefert: "Zu Recht haben Hilfsgüter Vorrang." Es fehle an Prognosen, kritisiert Akagawa: "Wie groß die Gefahr für welche Personen ist, darüber gibt es keine verlässlichen Informationen."

Schuld daran ist seiner Einschätzung nach das Krisenmanagement des Reaktor-Betreibers Tepco im Zusammenspiel mit der Regierung. "Offenbar gab es keinen richtigen Krisenplan", sagt der Korrespondent. "Ich glaube nicht, dass Informationen unterdrückt werden, die Verantwortlichen haben sie auch nicht."

Russische Katastrophe hat sensibilisiert

Informationen wollen zurzeit auch viele Bürger und Journalisten von Christina Hacker vom privaten Umweltinstitut in München, gegründet nach Tschernobyl – um nicht von staatlichen Informationen abhängig zu sein. Das Institut misst die Strahlenbelastung der Luft und von Waldprodukten wie Pilzen und Wild, die in Süddeutschland durch den Tschernobyl-Regen noch immer strahlenbelastet sind. Seit dem Wochenende der Katastroph stehen die Telefone nicht mehr still.

"Die Leute machen sich Sorgen, dass ihnen Gefahren in Deutschland verschwiegen werden", sagt Hacker. "Diese Angst kommt durch die Informationspolitik nach Tschernobyl. Damals hieß es erst, die Nahrungsmittel seien unbedenklich – und später waren sie doch gefährlich." Dieses Mal ist Hacker mit der Berichterstattung zufrieden. "Es ist richtig, dass die deutsche Atompolitik nach Japan in Frage gestellt wird." Die Journalisten hätten aus Tschernobyl gelernt und hätten schneller unterschiedlichen Experten die richtigen Fragen gestellt. 


Miriam Bunjes ist freie Journalistin und arbeitet in Dortmund.