Die Geschichte des kleinen Felix steht für die Hoffnung, dass sich auch für seltene Krankheiten erfolgreiche Therapien entwickeln lassen. Am Montag erhielten sein Arzt Christoph Klein und sein Team nach dem renommierten Leibniz-Preis 2010 eine weitere Auszeichnung: 50.000 Euro aus der "Eva Luise und Horst Köhler Stiftung".
Horst Köhler ist nicht mehr Bundespräsident und seine Frau keine First Lady mehr. Doch das Engagement für Menschen mit seltenen Erkrankungen setzt das Paar fort. Noch immer ist es nicht einfach, Wissenschaftler und Pharmaunternehmen für die Erforschung dieser Leiden zu begeistern. Sie treffen weniger als fünf von 10.000 Menschen. Rein wirtschaftlich gesehen ist das Bemühen deshalb weniger profitabel. Ein 50.000-Euro-Preis gilt schon als große Hilfe.
Vier Millionen Deutsche leiden unter seltenen Krankheiten
Man kann aber auch anders rechnen: Mehr als 5.000 Krankheiten gelten als selten. In Deutschland treffen sie zusammen vier Millionen Menschen. Viele Leiden sind chronisch und lebensgefährlich. Da die meisten durch angeborene Genfehler ausgelöst werden, treffen sie vor allem Kinder.
Oft kommen sie schon mit rätselhaften Krankheitsbildern auf die Welt. Felix sah bei seiner Geburt aus wie ein Pumababy - seine Haut war überall mit dunklen Flecken übersät. Sein erstes Zuhause war die Intensivstation. Sein Immunsystem war sehr schwach und Felix' Blut gerann nicht richtig. Die Gefahr innerer Blutungen war groß. Als der Junge später anfing zu krabbeln, polsterten seine besorgten Eltern ihre Wohnung in Koblenz (Rheinland-Pfalz) überall mit Kissen aus. Keine harte Ecke oder Kante sollte Felix umbringen. "Wir haben ein Schloss aus Watte gebaut", erinnert sich sein Vater Oliver Ott.
Das Familienleben stand Kopf. Oliver Ott wurde Hausmann und betreute Felix und seine zwei Jahre ältere Schwester Maike rund um die Uhr. Felix' Gesundheit war so angegriffen, dass er nicht mit anderen Kindern spielen konnte, draußen schon gar nicht. Bei Infekten und Verletzungen wurden Fahrten zur Notaufnahme zur Routine.
Diagnose nach drei Jahren: Felix hat WAS
Erst als Felix dreieinhalb Jahre alt war, bekamen seine Eltern die richtige Diagnose: Wiskott-Aldrich-Syndrom, benannt nach den beiden Ärzten, die diese Erbkrankheit entdeckten. Die nächste Information war niederschmetternd: Kinder mit WAS haben eine Lebenserwartung von zehn Jahren. Es gab nur einen kleinen Hoffnungsschimmer. An der Medizinischen Hochschule Hannover forschte der Kinderarzt Christoph Klein an einer Gentherapie gegen WAS. Doch er hatte sie zu diesem Zeitpunkt fast nur an Tieren und Zellkulturen ausprobiert. Felix war weltweit der vierte Patient - ein enormes Risiko.
WAS ist eine seltene, angeborene Immunkrankheit, die nur Jungen trifft. Auf ihrem X-Chromosom ist ein einziger Buchstabe in einem von rund 25.000 Genen verändert. Mädchen gleichen diesen winzigen Fehler mit ihrem zweiten X-Chromosom aus. Jungen, die ein X- und ein Y-Chromosom besitzen, können das nicht. Ist der Gen-Bauplan durch WAS verändert, wird ein wichtiges Protein nicht richtig gebildet. Folgen sind Blutungen, Hautausschläge und Immunschwäche.
Manipulierte Blutzellen sorgen für Gerinnung
Bis vor kurzem bestand die einzige Chance für ein Überleben mit WAS in einer Blutstammzell-Transplantation. Geeignete Spender sind schwer zu finden, für Felix gab es keinen. Auch deshalb wurde der kleine Junge sofort Kleins Patient. Er entnahm Felix Blutstammzellen und schleuste außerhalb seines Körpers gesunde Kopien des WAS-Gens ein. Dann bekam Felix die manipulierten Blutzellen zurück. Bei ihm und sieben anderen Kindern hat diese List funktioniert. Innerhalb eines Jahres normalisierte sich die Mehrzahl ihrer Blutzellen. Die Gerinnung funktioniert wieder, das Immunsystem arbeitet korrekt.
Felix ist heute ein lebhaftes, normal entwickeltes Kind, das sich auf den ersten Schultag im Sommer freut. Um von einem Durchbruch zu sprechen, ist es aber viel zu früh. "Felix gibt uns Hoffnung. Doch die Entwicklung der Gentherapie steht noch ganz am Anfang", betont Klein. Denn perfekt ist die List der Ärzte nicht. Einer von Kleins Patienten entwickelte als Nebenwirkung Blutkrebs.
Auch bei einer langfristigen Heilung sind Felix - und indirekt auch seine Schwester - noch nicht ganz aus dem Schneider. Sie können den Gendefekt weitervererben. Ausschließen könnte das nur die Präimplantationsdiagnostik (PID) - und Diskussion um die PID ist noch in vollem Gange.