Gegen den Lokführer des verunglückten Güterzuges in Sachsen-Anhalt werden harte Vorwürfe laut: Nach einem Bericht des Bundesverkehrsministeriums hat der Mann vor dem frontalen Zusammenstoß mit einem Regionalexpress ein Haltesignal ignoriert und eines überfahren. Der Fahrdienstleiter im Stellwerk Hordorf habe daraufhin über Funk einen Nothalt angeordnet, heißt es in dem Papier, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.
Trauerfeier im Halberstädter Dom
Demnach ignorierte der Lokführer ein Vorsignal, das ihn auf das nahende Hauptsignal hätte aufmerksam machen und zum Bremsen veranlassen müssen. Das wenig später folgende Hauptsignal, das den Lokführer endgültig zum Anhalten hätte bringen müssen, wurde ebenfalls passiert.
Zehn Menschen starben bei dem Unglück auf der eingleisigen Strecke. Für sie wird es an diesem Samstag im Halberstädter Dom eine Trauerfeier geben. Im Hauptbahnhof in Halberstadt liegt ein Kondolenzbuch aus. Drei Tage nach dem Zusammenprall fuhren auf der Strecke Magdeburg-Halberstadt am Dienstag wieder die ersten Züge des Harz-Elbe-Expresses (HEX).
Alle Todesopfer sind identifiziert
Die Bahn kündigte Konsequenzen aus dem Unglück an: Sie will die Sicherheitsvorkehrungen auf eingleisigen Strecken verbessern. "Da ist Handlungsbedarf", sagte BahnchefRüdiger Grube am Montagabend in der ARD. Der Konzern wolle alle eingleisigen Strecken analysieren und - wo nötig - den Einbau eines automatischen Bremssystems aus eigenen Mitteln finanzieren. Er wolle nicht auf Bundesministerien warten, sagte Grube. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer hatte der Bahn nach dem Unfall eine falsche Investitionspolitik vorgeworfen.
Die Opfer des Unglücks sind nun alle identifiziert. Unter ihnen sind neben dem aus Schwerin stammenden Lokführer des Personenzuges drei Frauen, fünf Männer und eine Zwölfjährige aus dem Landkreis Harz. Unter den 23 Verletzten sind zwei in weiterhin kritischem Zustand. Darunter ist eine Zehnjährige, sie ist die Schwester der toten Zwölfjährigen. Auch die Mutter der beiden Mädchen und deren Lebensgefährte kamen ums Leben. Am Dienstag wurden noch sieben Verletzte in Krankenhäusern behandelt.
Bericht: Güterzug überfuhr vor Unfall zwei Haltesignale
Die Staatsanwaltschaft in Magdeburg zeigte sich erstaunt über den Bericht des Bundesministeriums. "Es befremdet uns ein wenig, dass Ergebnisse bekanntgegeben werden, die den Ermittlungsbehörden noch nicht vorliegen", sagte Behördensprecherin Silvia Niemann der dpa. Indizien deuteten aber darauf hin, "dass es so gewesen sein könnte". Gegen den 40 Jahre alten Lokführer des Güterzugs wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Dem Bericht zufolge hatte der 35 Jahre alte Lokführer des Personenzugs den Regionalexpress nach dem Notruf von 98 Kilometern pro Stunde bis zum Zusammenstoß auf Tempo 66 abgebremst. Ob auch der Güterzug vor dem Unfall gebremst hat, müsse noch ausgewertet werden.
Experten erläuterten der dpa, der 40-Jährige hätte nach dem ersten Einfahrvorsignal "Halt erwarten" abbremsen müssen, um vor dem 700 Meter entfernten zweiten Hauptsignal zum Stillstand zu kommen. Der Zug fuhr aber in dem eingleisigen Bereich weiter und prallte dort mit dem Regionalzug zusammen.
Der Lokführer des Güterzugs, der bei dem Unfall Prellungen und einen Schock erlitt, äußerte sich bisher nicht zum Geschehen. "Er hat den Status des Beschuldigten. Er muss sich nicht äußern", sagte Oberstaatsanwältin Niemann. Mit einem schnellen Ende der Ermittlungen sei nicht zu rechnen, die Analyse der Fahrtenschreiber der Züge und weiterer Beweismaterialien könne Monate in Anspruch nehmen.
Die Salzgitter AG bestätigte unterdessen Informationen der "Bild"-Zeitung, wonach der Güterzug mit zweistündiger Verspätung unterwegs war. "Das ist ein normaler Vorgang, der mit der DB Netz abgestimmt war", sagte Konzernsprecher Bernd Gersdorff. Der 2.700 Tonnen schwere Zug der Salzgitter-Tochtergesellschaft VPS war in Blankenburg mit Kalk beladen worden und sollte über Magdeburg nach Salzgitter fahren.