Vater Pigol Bassili lächelt, obwohl ihm vielleicht nicht danach zumute ist. Ein grundgütiger Mann, klein von Statur und mit grauem Vollbart, der sich Zeit für ein ausführliches Gespräch nimmt, obwohl gleich der Weihnachtsgottesdienst der koptischen Gemeinde in Frankfurt am Main beginnt. Der Anschlag von Alexandria, vermutlich von Islamisten verübt, ist erst ein paar Tage her, auch Frankfurt stand auf der Liste, die Polizei ist da. Vater Pigol rechnet mit weniger Gottesdienstbesuchern als sonst: "Viele haben Angst zu kommen."
Rund 6.000 der weltweit mehr als zehn Millionen koptischen Christen leben in Deutschland, jeder sechste von ihnen gehört zur Gemeinde in der Mainmetropole. Man trifft sich in einer abgelegenen Wohngegend im Westen der Stadt. Das Käthe-Kollwitz-Haus war bis 1998 ein Bürgerzentrum, hat seinen Namen behalten und strahlt noch immer den Behördencharme der 1970er Jahre aus. Die Sankt-Markus-Kirche ist ein Gottesdienstraum mit Holzdecke und Neonlicht. Der Altarbereich ist mit einer bunt bemalten Ikonostase abgetrennt. Auch bei der Feier selbst erinnert vieles hier an orthodoxe Bräuche – obwohl die ägyptischen Kopten zu den altorientalischen Kirchen gehören, nicht zu den Orthodoxen.
Eine islamistische E-Mail
Den Gemeindemitgliedern ist die Weihnachtsfreude anzumerken, aber auch ein gewisser Trotz. "Ich bin beunruhigt, aber Angst habe ich eigentlich nicht", sagt eine Frau in die Fernsehkameras. Viele Journalisten sind gekommen – Zeichen einer neuen Aufmerksamkeit für die Situation der Christen in der islamischen Welt. Bereitwillig geben die Gläubigen Auskunft. Diakon Michele Riad berichtet von jener E-Mail, die kurz vor Jahreswechsel in islamistischen Kreisen im Umlauf war: ein Terroraufruf samt Anleitung zum Bombenbau und einer Liste mit möglichen Anschlagszielen. Frankfurt taucht dort auf Platz sechs auf.
"Das war schwer", sagt Vater Pigol mit leiser Stimme, auf das Attentat in seiner Geburtsstadt Alexandria angesprochen. "Eine Kirche, und dann kommt ein Mann mit einer Bombe." Doch was dort passiert sei, "ist keine neue Sache", fügt er hinzu. "Jeden Monat gibt es eine Katastrophe." Die Christen in Ägypten, immerhin zehn Prozent der Bevölkerung, leben schon seit Jahrzehnten in größter Bedrängnis. Der Priester stellt sich die beklemmende Frage, was den Täter wohl angetrieben hat. "Ein Kind wird geboren wie ein Engel. Mit 20 Jahren ist es ein Teufel. Was ist im Kopf dieses Menschen passiert?"
Der Innenminister erkundigt sich
Die hessische Polizei hält sich mit solchen Fragen nicht auf. Sie richtet rund um das Käthe-Kollwitz-Haus Halteverbotszonen ein, ist in Zivil und Uniform vor Ort. Nachbarn lesen auf Aushängen, es lägen "keine Gefährdungshinweise" gegen die Gemeinde vor. Ein Sprengstoffhund (Foto) schnüffelt sich vor dem Gottesdienst dennoch durch die Räume. Sicherheitskontrollen am Eingang gibt es nicht. Darauf hatten sich Bassili und Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) bei dessen Visite am Vormittag verständigt. Stattdessen stehen Gemeindemitglieder an der Tür, begrüßen die Besucher.
Vater Pigol hat seine Meinung zu den Muslimen. Er hat Islamwissenschaften studiert, kennt den Koran besser als viele andere. Von dessen 114 Suren entstanden 86 in Mekka, die friedliche Seite. Die 28 Suren aus Medina hingegen seien von Gewalt durchsetzt. "Es gibt viele Verse, in denen zum Töten aufgerufen werden", sagt der Geistliche. Die Muslime teilt er in drei Gruppen ein: die einen seien liberal und freundlich, die anderen extrem und fundamentalistisch bis zum Terror. Die allermeisten Gläubigen hingegen kümmerten sich eher um das tägliche Brot als um die Religion.
Evangelium in drei Sprachen
Die Weihnachtsfeier beginnt, sie wird mehr als drei Stunden dauern. Männer und Frauen sind getrennt, die zahlreichen Helfer im Altarbereich tragen bis zum Kleinkind Priestergewänder. Ägyptisch, Deutsch und die alte Kirchensprache Koptisch, die dem Griechischen ähnelt, erklingen quer durcheinander. Manches an den Gesängen und Gebeten erinnern an einen Synagogengottesdienst, doch der Ablauf ist unverkennbar christlich: Kyrie, "Ehre sei Gott in der Höhe", Glaubensbekenntnis, viele Lesungen und Psalmen. Das feierliche Weihnachtsevangelium nach Matthäus. Der Friedensgruß, das Abendmahl.
"Bei allem, was ihr durchmacht, denkt positiv, denn alles wird sich zum Guten wenden", heißt es im Grußwort von Papst Shenouda III. an die Auslandsgemeinden, das von Vater Pigol verlesen wird. Die koptische Kirche ist die einzige neben der katholischen, die einen Papst hat. In Frankfurt werden seine Worte gut aufgenommen, die Feier wird je länger je heiterer. Und immer mehr Gäste treffen ein, am Ende ist der Raum prall gefüllt. Der ägyptischer Generalkonsul ist da, aber auch katholische und evangelische Freunde, ein griechisch-orthodoxer Priester. Am Ende erklingt der Ruf "Nofri schai", frohes Fest auf koptisch.
Ein spätberufener Priester
Positiv zu denken, das hat sich Vater Pigol Bassili (Foto) zum Lebensmotto gemacht. Er ist ganz beseelt von seinem Glauben, von der koptischen Sprache, die auch seine Muttersprache ist. Dass er vor kurzem ein Dreivierteljahrhundert alt wurde, sieht man ihm nicht an. 1935 in Alexandria geboren, studierte er zunächst Elektrotechnik und arbeitete als Diplomingenieur in Kairo. 1981 dann die Wende zum Priestertum, "spätberufen", würde man in Deutschland sagen. Dorthin kommt Bassili im Jahr 1988, nachdem er zunächst in Kairo und Heliopolis als Geistlicher tätig war.
"Ich habe viele Kontakte zu Muslimen in Frankfurt", sagt der Geistliche noch. Unter ihnen gebe es viele Liberale, aber auch Fundamentalisten. Aber: "Komm nach Ägypten, dann siehst du die Wahrheit. Wo die Muslime in der Mehrheit sind, ist es eine andere Sache." Eine Islamisierung Deutschlands scheint ihm eine reale Gefahr. Unterdessen meldet die Polizei, die den koptischen Weihnachtsgottesdienst beschützt: keine besonderen Vorkommnisse. Immerhin, ein Kind ist geboren. Christ, der Retter, ist da. Nofri schai!
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.