Wenige Tage vor dem orthodoxen Weihnachtsfest riecht es in der Kirche des heiligen Nikolaus von Myra im historischen Zentrum von Moskau kräftig nach Fensterputzmittel. Freiwillige Helfer polieren die großen Glasscheiben vor den Gemälden und Ikonen, damit zur festlichen Messe in der Nacht zum 7. Januar alles blitzt. Weihnachtliche Dekoration sucht man allerdings vergebens.
Die Tannenbäume würden stets erst kurz vor dem eigentlichen Fest aufgestellt, erklärt Swetlana Michailowna, die Rentnerin, die am Eingang der Kirche Postkarten und Bienenwachskerzen verkauft. "Und die Bäume werden auch nicht geschmückt", betont sie. "Wir lassen sie grün und natürlich." Das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest ist ein ernstes Fest, vom Glitzerwerk der westlichen Weihnachtsindustrie distanzieren sich viele Gläubige. In manchen Gemeinden sind sogar schmucklose Tannen verpönt. Wenn in der Nacht zum Freitag in Russlands Kirchen die Messe gefeiert wird, sollen sich alle auf die Liturgie konzentrieren.
Gottesdienst bis in die Morgenstunden
Bis in die frühen Morgenstunden dauert der Weihnachtsgottesdienst der Orthodoxen, eine Prozession um das Kirchengebäude gehört, wie auch beim Ostergottesdienst, dazu. Zahlreiche Russen aller Altersklassen schauen an diesem langen Abend zumindest kurz herein. In russischen Kirchen gibt es keine Sitzbänke, bis zum Ende der Messe halten nur die Wenigsten durch.
Oleg Koslow, der an diesem Nachmittag gekommen ist, um innezuhalten und eine Kerze anzuzünden, gehört zu der Mehrheit der russischen Bevölkerung, die seit dem Zerfall der Sowjetunion auch wieder das orthodoxe Weihnachtsfest feiert. Jahrzehntelang war es verboten gewesen, stattdessen machten die Kommunisten das Neujahrsfest zum wichtigsten Familienfest. Am letzten Tag des alten Jahres stellen Russen reich geschmückte Tannen in ihre Wohnungen und Väterchen Frost, der sowjetische Ersatzweihnachtsmann, bringt Geschenke.
60 Prozent der Russen feiern Weihnachten
An dieser Tradition halten bis heute auch viele Gläubige fest, wie der Familienvater Koslow. "Wir feiern beide Feste", erklärt der Bankangestellte. Die Geschenke gebe es traditionell am Neujahrstag. Nach einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada wollen in 2011 immerhin 61 Prozent der befragten Russen das orthodoxe Weihnachtsfest feiern, etwa genauso viele wie sich in Umfragen zum orthodoxen Glauben bekennen. Von den mehr als 140 Millionen Russen begehen 93 Prozent das Neujahrsfest.
Wladimir Wigilianski, Leiter der Presseabteilung des Moskauer Patriarchats, ist überzeugt, dass das Weihnachtsfest seinen alten Platz als wichtigstes Fest langsam aber sicher zurückerobern wird. Schon jetzt gebe es bei vielen Gläubigen die Geschenke am Weihnachtsfest, wenigstens teilweise. "Die lange Sowjettradition lässt sich natürlich nicht auf einen Schlag durchbrechen, aber ich glaube, dass Weihnachten in ein oder zwei Jahrzehnten wichtiger sein wird als das Neujahrsfest", sagt Wigilianski.
Polizeischutz in den Kirchen
Mindestens eine halbe Millionen Menschen erwartet der Kirchensprecher zu Weihnachten allein in den Gotteshäusern der russischen Hauptstadt. So hohe Sicherheitsvorkehrungen wie zum Osterfest werde es nicht geben, kündigte er an. Damals waren, kurz nach den Bombenanschlägen in der Moskauer U-Bahn, sogar vor kleineren Kirchen Metallscanner aufgestellt worden. Diesmal werde es den zu hohen Feiertagen üblichen Polizeischutz geben. Nur an Moskaus Christus-Erlöser-Kathedrale, in der der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill persönlich die Messe hält, werden wie immer Scanner bereitstehen.
Russlands Orthodoxe feiern das Weihnachtsfest traditionell 13 Tage nach den katholischen und evangelischen Christen. Sie richten sich wie auch die weißrussischen, ukrainischen, serbischen und georgischen Orthodoxen nach dem julianischen Kalender, der unter dem römischen Kaiser Julius Cäsar eingeführt worden war. Dieser Kalender wich jedoch leicht vom natürlichen Jahr ab, weshalb Papst Gregor XIII. 1582 eine Kalenderreform vornahm. Den neuen, gregorianischen Kalender nahmen in der Folge katholische und protestantische Christen an.