Die Zeit des Wartens auf die Geburt

Die Zeit des Wartens auf die Geburt
Sie schwankt zwischen Ungeduld und Gelassenheit: Kathrin van Dijk erwartet ihr erstes Kind. Die Tage vor dem errechneten Geburtstermin kurz vor Weihnachten könnte für sie eine Zeit der Entspannung, der Einkehr, der Vorbereitung sein – so wie der Advent die Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Christi ist. Wäre da nicht die Ungewissheit.
23.12.2010
Von Maike Freund

Vom Wohnzimmerfenster der Bensberger Wohnung könnte man den Kölner Dom sehen. Wäre da nicht der Schnee. Die Flocken tanzen, bringen das Gefühl von Ruhe und Festtagsstimmung mit sich. Aber da sind ihre Sorgen: Hochschwanger vor die Tür zu müssen. Mit einsetzenden Wehen auf den verschneiten Straßen ins Krankenhaus fahren zu müssen. Dass es ihr Mann wegen des Wetters vielleicht nicht pünktlich schaffen könnte. Verdammter Schnee.

Kathrin van Dijk ist mit ihrem ersten Kind schwanger. Ein Mädchen wird es werden, es ist ein Wunschkind. Ausgerechnet ist es für den 18. Dezember – für Freitag. Heute ist der Dienstag davor. Und schon seit ein paar Nächten hat Kathrin van Dijk nachts Schmerzen, so dass die 32-Jährige denkt: Jetzt ist es bald soweit. Aber Nike (Name geändert) lässt noch auf sich warten.

"Ich habe jetzt echt keine Lust mehr"

"Gestern hat die Frauenärztin auf dem Ultraschallbild gesehen, dass Nike Fettrollen ansetzt." Kathrin van Dijk lacht. Und schüttelt ungläubig den Kopf. Nike macht es sich gemütlich. "Sie kommt, wann sie kommt", sagt sie. Sie hat keinen Einfluss darauf. Ihr bleibt nur das Warten. Und das ist das Schwierige.

"Ich hab jetzt echt keine Lust mehr", sagt sie dann. Und gleich darauf beschwichtigend: "Man sagt ja, das Kind kommt, wenn die Mutter bereit ist." Ihr Mann meint, sie könne nicht loslassen, wolle alles kontrollieren. Sie weiß, dass das stimmt. Und dass sie sich deshalb unruhig fühlt. Weil das Warten so fremd ist.

Der Kinderwagen steht im Flur in einer Nische, als wäre dort schon immer sein Platz gewesen, bereit, das neue Kind endlich zu beherbergen. In den Schubladen der Wickelkommode im Kinderzimmer liegen Babystrampler parat; in mini, in etwas größer, in weiß, in rosa. Sie müssen nur noch angezogen werden. Die Taschen sind gepackt. Eine fürs Krankenhaus, eine für den Kreissaal: Mit einem Buch, einem Power-Riegel und "was man sonst noch so braucht, falls die Zeit lang werden sollte". Noch länger, als sie sich jetzt schon zieht.

Ein Kaiserschnitt, eine "Geburt auf Termin", um dem Stress zu entgehen, kam für Kathrin van Dijk nicht in Frage. Sie glaubt, dass der Schock fürs Kind zu groß wäre, von jetzt auf gleich plötzlich auf der Welt zu sein. Und sie glaubt auch, dass der natürliche Vorgang der Geburt, dass das, "was der Schöpfer sich ausgedacht hat" der richtige Weg ist, solange keine Komplikationen auftreten. Nur in ganz egoistischen Momenten denkt sie: Mit einem Kaiserschnitt wäre Nike schon da.

Die Ungewissheit und Vorfreude überlagert das Weihnachtsfest

Die van Dijks haben Weihnachten dieses Jahr abgesagt. Nicht gedanklich. Aber sie wissen ja nicht, ob sie vielleicht im Krankenhaus sein werden. Oder vielleicht sogar – hoffentlich! – schon wieder zu Hause. Also haben sie alles abgeblockt. Kathrin van Dijk hat keine Plätzchen gebacken, keine Geschenke verpackt, keine Pakete verschickt. Sie findet, sie hat die beste Ausrede der Welt. Auch einen Weihnachtsbaum wird es nicht geben. "Eigentlich ist es ganz praktisch", sagt sie.

Trotzdem: Schon lange hat sie den Advent nicht mehr so ruhig und bewusst erlebt wie in diesem Jahr. Sie zündet Kerzen an, liest ein Buch, hört den Adventskalender auf evangelisch.de. "Ein bisschen ist es wie das Warten auf Weihnachten, als man noch ein Kind war", sagt sie. Dieselbe Spannung, dieselbe Vorfreude, dieselbe Aufregung. Nur warten Kathrin van Dijk und ihr Mann nicht aufs Christkind, sie warten auf ihre Tochter.

Freundinnen, die schon ein Kind haben, sagten ihr: Geh noch mal in Ruhe zum Friseur. Genieße die Tage vorher, die Muße, die Entspannung, so wird es nie wieder werden, wenn Nike erst da ist. Und Kathrin van Dijk entspannt sich: Sie schaut ein bisschen Fern zu Zeiten, in denen sie normalerweise arbeiten würde. Gönnt sich die Ruhe und schaut dem Schneetreiben zu. Am Anfang hatte sie ein schlechtes Gewissen: "Andere arbeiten und du hängst hier rum", dachte sie. Jetzt kann sie sich sowieso nicht mehr lange ablenken. Denn ihre Gedanken wandern immer wieder zurück zu der bevorstehenden Geburt. Noch geht sie zwei Mal pro Woche zum Schwimmen: "Würde das Wehen auslösen, wäre das auch O.K.."

Spazieren gehen, um nicht durchzudrehen

Dann kommt der Freitag, der ausgerechnete Tag der Geburt: nichts. Noch immer nicht. Wenigstens hat ihr Mann nun Urlaub und kann sie ablenken. Kathrin van Dijk spürt, dass es nicht mehr lange dauern kann. Das sagen ihr die Schmerzen. Auch wenn sie natürlich nicht genau weiß, ob es die richtigen sind. Die Frauenärztin sagt: "Wir sehen uns am Montag noch mal zum Kontrolltermin." Kathrin van Dijk glaubt das nicht.

Ob sie Angst hat? "Ja", sagt sie. Über die schlimmsten Schmerzen im Leben hat sie viel gelesen. Eine Freundin sagte: Es fühlt sich an, als würde jemand auf deinem Becken stehen. Auch seit dem Vorbereitungskurs ist alles näher gerückt. Trotzdem. Noch immer ist es abstrakt. Deshalb geistern Bilder durch ihre Phantasie, von denen sie nicht weiß, ob sie zutreffen werden. Also sehnt sie die Geburt herbei, damit sie endlich weiß, wie es sich anfühlt und nicht nur, was andere davon erzählen.

Mittwoch vor Weihnachten: keine Wehen. Die Frauenärztin hat ihr die Aufgabe verpasst, spazieren zu gehen, damit Nikes Kopf sich senkt. Und nicht durchzudrehen. Was soll sie auch anderes tun? Es ist die Zeit des Wartens.

"Die Schwangerschaft ist ein Geschenk Gottes"

Wie es werden wird, wenn Nike erst da ist? Vieles weiß sie nicht. Gerne möchte Kathrin van Dijk irgendwann in ihren Beruf zurück, sie arbeitet mit Suchtkranken. Ob es aber vielleicht eine andere Richtung sein soll, eine, die nicht ganz so belastend ist, ist noch nicht klar. Sie möchte ihre Tochter im christlichen Glauben erziehen, auch, wenn ihr Mann nicht gläubig ist. Nike soll getauft werden und sie fände es toll, wenn ihre Tochter einmal in einer kirchlichen Jugendgruppe aktiv würde. Aber auch das weiß sie nicht. Sie wird es Nike überlassen.

Was sie genau weiß, ist: "Die Schwangerschaft ist ein Geschenk Gottes, das größte Wunder, der größte Schöpfungsbeweis." Und ist Nike erst einmal da, wird es sich noch viel mehr nach einem Wunder anfühlen. Wäre sie nur schon da.

Am 23. Dezember um 6.06 Uhr ist Nike gesund zur Welt gekommen. Kathrin van Dijk und ihr Mann sind wahnsinnig dankbar und freuen sich sehr auf das neue Leben.


Maike Freund ist freie Journalistin in Dortmund und schreibt für evangelisch.de.