Herr Matussek und der Glaube als Zweifrontenkrieg

Herr Matussek und der Glaube als Zweifrontenkrieg
Wie viel Kulturpessimismus darf es sein? "Die Zeichen der Zeit stehen gegen den Glauben", so Matthias Matussek. Ohne das Religiöse gehe es aber nicht. So drischt der papsttreue "Spiegel"-Mann fröhlich auf alles ein, was ihm nicht in den Kram passt: zum Beispiel Islam, Medienbranche, Protestanten.
08.12.2010
Von Bernd Buchner

Wenn sich der Vater seinen Berufswunsch erfüllt hätte, wäre Matthias Matussek nie geboren: Statt katholischer Priester wurde er CDU-Kommunalpolitiker, ging zum Rednerpult statt auf die Kanzel. "Er hat nie aufgehört zu predigen", sagt der heute 56-Jährige augenzwinkernd über seinen Erzeuger. Dem Sohn liegt die Eigenschaft nicht ganz fern. Aber die salbungsvolle Ansprache ist nicht der Stil des Ex-"Spiegel"-Kulturchefs, der seinen Posten wegen schlechter Umgangsformen verlor und nun für "Spiegel Online" und als Buchautor arbeitet. Was Matussek über den Glauben in Deutschland sagt, ist knackig, kantig und anstößig.

Überzeugen konnten sich davon die Zuhörer der Frankfurter "Domgespräche", zu denen der neue "Focus"-Chef Wolfram Weimer am Dienstagabend erstmals eingeladen hatte. Das Thema, schön sarrazinesk formuliert: "Ist Deutschland noch christlich?" Natürlich eine Steilvorlage für Matussek, der den Glauben in einen "Zweifrontenkrieg" verstrickt sieht. Auf der einen Seite dräut der Islam, dessen religiöser Intensität die Christen nichts mehr entgegenzusetzen hätten. Die andere Front ist für den "Spiegel"-Mann der wissenschaftliche Atheismus, der sich in der "Bestsellerei" eines Richard Dawkins oder Christopher Hitchens äußert und einen "Großangriff auf das religiöse Gefühl" gestartet hat.

"Man möchte nicht ungetröstet sein"

Angesichts dieser Bedrohungslage klingt das Bekenntnis des Katholiken und regelmäßigen Beichtgängers Matussek merkwürdig matt. "Man möchte nicht ungetröstet sein", sagt er und säkularisiert den Glauben zum Alltagsvertrauen – jeder fährt Fahrstuhl, ohne die Konstruktionspläne zu kennen, ein Kind vertraut auf die Liebe der Eltern. Dass der Glaube zur "kulturellen Identität eines Volkes" gehört? Geschenkt. Dass ein großes Kunstwerk wie Mozarts Krönungsmesse nicht Produkt einer Zusammenballung von Enzymen und Proteinen ist? Mag sein. Woran Matussek denn nun eigentlich glaube, ruft ein genervter Zuhörer nach einer Dreiviertelstunde dazwischen und verlässt kurz darauf empört den Raum.

Dabei hatte der Gast des Abends, von Moderator Weimar (Foto) durch behutsame Einwürfe ermuntert, kurz zuvor sogar die Erdgeschichte herangezogen: "Ich halte es für unlogisch, dass aus nichts etwas wird – ohne Anstoß." Da war es nicht mehr weit bis zur Versöhnung von Glaube und Vernunft, die sich Papst Benedikt XVI. auf die Fahnen geschrieben hat. Doch die metaphysische Grundierung des Professors auf dem Stuhl Petri ist nicht Matusseks Ding, eher kehrt er den "versehentlichen Linken" hervor, für den er sich hält, und meint: "Das materialistische Triumphgeheul der Konservativen geht mir auf dem Keks." Ein Skandal sei es, wie der Reichtum verteilt sei und die Menschen mit der Schöpfung umgingen.

Der kirchenfeindliche Medienbetrieb

Herrlich provokant redet der "Spiegel"-Journalist über die eigene Branche. "Unser Gewerbe ist grundsätzlich kirchenfeindlich", sagt er und spricht von "einer Art Kulturkrieg". Die Medien benutzten die Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche, "um eine angestaute Aggressivität loszuwerden. Die Branche läuft sich im Moment heiß. Das wird turbulent werden." Auch bei Kollegen spart Matussek nicht mit Sottisen, etwa über Henryk Broder, der ihn neuerdings liebe ("Der Feind meines Feindes ist mein Freund"), oder über den "Feuermelderkopf" Hans-Ulrich Jörges, der in Talkshows über die Päderasten im Talar herziehe und hinterher über das schlechte Image der Kirche lamentiere.

Und die Ausgangsfrage? Ist Deutschland noch christlich? Matussek spricht von einer "gewissen Entzauberung, Vergewöhnlichung des Heiligen". Er beschreibt Europa als religiös unterkühlten Kontinent und fährt zugleich eine Breitseite gegen die Protestanten: "Sie haben die christliche Botschaft so weit verdünnt, dass sie nicht mehr wehtut, dass sie nur noch ein religiöses Gemurmel ist." Der Beitrag der Christen in der Gesellschaft müsse aber unbequem sein, manchmal auch wehtun. Man darf gespannt sein, wie der Mann vom "Spiegel" das in seinem Buch "Standpauken und Stoßseufzer – Warum es ohne Glauben nicht geht" antextet, das im Mai nächsten Jahres erscheint.

Irgendwie ist Energie draußen

"Focus"-Mann Weimer vertrat in seinen raren, aber stets fundierten Einwürfen übrigens die Gegenthese: "Vielleicht sind wir ja enorm christlich, sind uns dessen nur nicht mehr bewusst?" Die Wucht bei der Rückkehr des Religiösen, so der Moderator, werde noch überraschen. "Ihr Wort in Gottes Ohr", so Matusseks Replik. "Ich bin da skeptischer." Gleichwohl stimmte er dem Wort von der Sublimierung der Religion zu: "Es ist irgendwie Energie draußen, die Leute sind spirituell nicht mehr ausgelastet." Ganz nach dem Motto: Der Glaube ist verdunstet, das Weihwasserbecken leer – aber die Luft ist feucht.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.