US-Diplomaten sehen Russland als "Mafia-Staat"

US-Diplomaten sehen Russland als "Mafia-Staat"
Breitseite gegen Russland: Regierungschef Putin werden in den über Wikileaks veröffentlichten Depeschen von US-Diplomaten Verbindungen ins mafiöse Milieu nachgesagt. Beweise dafür gibt es zwar keine. Der Rufschaden dürfte aber groß sein.

Russland, ein "Mafia-Staat", dessen autoritäre Führung kriminelle und korrupte Strukturen fördere - so beschreiben US-Diplomaten ihre Sicht auf das größte Land der Erde. Die britische Zeitung "The Guardian" und das spanische Blatt "El País" veröffentlichten am Donnerstag mehrere Sonderseiten zu Russland auf Grundlage der Enthüllungen der Internetplattform Wikileaks. Dabei wurden auch in ungewöhnlich deutlicher Weise Verbindungen zwischen dem russischen Regierungschef Wladimir Putin und den kriminellen oder korrupten Strukturen im Land gezogen. Beweise gibt es aber keine.

Kremlchef Dmitri Medwedew und Putin stellen ihr Land öffentlich gern als eine Demokratie im Aufbau und einen wachsenden Rechtsstaat dar. Die Vorwürfe, dass es sich indes um einen von Geheimdiensten kontrollierten autoritären Staat handele, kamen bisher vor allem von der radikalen Opposition in Moskau. Dass aber sogar der in Russland gesellschaftlich bestens vernetzte US-Botschafter John Beyrle dies in seinen Depeschen an Washington so schilderte, versetzte viele Beobachter in Moskau in Schockstarre.

Moskau wird in den Einschätzungen der US-Botschaft, aus denen die "Washington Post" zitierte, als eine Stadt in den Händen der "Kleptokratie" geschildert. Die Polizei, die Sicherheitsstellen und die Behörden kassierten Schmiergelder, die immer weiter nach oben gereicht würden - teilweise bis in den Kreml. Diese Meinung stammt aus einer Zeit, in der noch der inzwischen geschasste umstrittene Bürgermeister Juri Luschkow die Stadt regierte.

Zentralisiert, brutal, korrupt

Trotz aller öffentlichen Bekundungen über ein verbessertes Verhältnis sehen die USA Russlands Führung anscheinend mit tiefer Skepsis. Das geht nach einem Bericht der "New York Times" aus den US- Diplomatendepeschen hervor. Mit "offenen und kühnen Worten" beschreiben die Diplomaten Russland als "stark zentralisiert, manchmal brutal und unabänderlich zynisch und korrupt", berichtete die Zeitung am Mittwoch (Ortszeit). Es sei erstaunlich, dass der nach außen als Russland-Versteher auftretende Beyrle die Dokumente unterzeichnet haben soll, kommentierten Medien in Moskau.

Der Kreml bilde "das Zentrum einer Konstellation offizieller und quasi-offizieller Gaunereien", hieß es in den US-Depeschen. Wie die Zeitung "El País" berichtete, sagte der für die Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens zuständige spanische Staatsanwalt José Grinda, die russische Regierung benutze die kriminellen Gruppen dazu, das zu tun, was eine Regierung nicht tun dürfe. Es sei eine "offene Frage", in welchem Ausmaß Putin mit der Mafia verknüpft sei und wie weit er die Aktivitäten dieser Gruppen kontrolliere. Nach Ansicht des Ermittlers "absorbiert" der Geheimdienst FSB nach und nach die Mafia.

Nach Grindas Informationen arbeiteten auch bestimmte politische Parteien in Russland "Hand in Hand" mit der Mafia, wie die US-Diplomaten weitergaben. Grinda, der in Spanien eine Reihe von Ermittlungen gegen russische Mafiabanden geführt hatte, bezeichnete es als besorgniserregend, dass die russische Mafia strategisch wichtige Sektoren der Weltwirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht habe. Dazu gehöre die Aluminium-Herstellung.

Wusste Putin von Mordanschlägen?

Die Londoner Zeitung "The Guardian" berichtete auf Grundlage der US-Depeschen, dass Putin auch von dem Mordanschlag auf den Ex-Geheimdienstler Alexander Litwinenko gewusst haben muss, weil er unter anderem erstaunlich viele Details dazu kenne. Litwinenko war in London mit dem Strahlengift Polonium 210 vergiftet worden.

Regierungschef Putin hatte bereits in einem CNN-Interview Stellung zu weniger aufsehenerregenden Veröffentlichungen genommen. Sollte stimmen, dass US-Diplomaten ihn und Medwedew mit der Comic-Figur Batman und seinem jungen Gehilfen Robin gleichsetzten, wäre dies "arrogant", sagte der Ex-Kremlchef. "Das dient nur dem Zweck, einen von uns zu kompromittieren." Putin hatte am Vortag überraschend eine Reise nach Zürich zur Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 abgesagt.

dpa