Landesbischof Weber: Papst zeigt Beweglichkeit

Landesbischof Weber: Papst zeigt Beweglichkeit
Das jüngst erschienen Gesprächsbuch "Licht der Welt" von Papst Benedikt XVI. hat wegen der vermeintlichen Lockerung des Kondomverbots für Schlagzeilen gesorgt. In dem Band wird Joseph Ratzinger aber auch als Mensch sichtbar. Er durchdenkt die großen Fragen der Menscheit und verbindet Glaube und Vernunft. Natürlich äußert er sich in dem Buch auch zum Stand der Ökumene. Eine Analyse aus evangelischer Sicht bietet der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber, einer der führenden lutherischen Ökumeniker in Deutschland, im Interview mit evangelisch.de.
02.12.2010
Die Fragen stellten Bernd Buchner und Ralf Peter Reimann

Sie haben das Buch gelesen – wie ist Ihr erster Eindruck?

Weber: Kirchengeschichtlich ist das Buch eine Premiere. Es hat zwar auch mit Benedikts Vorgängern schon Interviewbände gegeben, aber das waren schriftliche Anfragen, die beantwortet und als Buch herausgegeben wurden. Dass sich der Papst stundenlang den Fragen eines Journalisten stellt, ist neu. Für mich zeigt sich damit eine Öffnung und Beweglichkeit – der Papst ist bereit, sich auf eine breite Themenstellung einzulassen und Antworten zu geben.

Welche Verbindlichkeit haben die Äußerungen des Papstes, gerade in der Ökumene?

Weber: Die lehramtliche Verbindlichkeit wie beispielsweise in einer Enzyklika fehlt zwar, dennoch handelt es sich um autorisierte Äußerungen des Oberhaupts der katholischen Kirche. Auch wenn der Papst an einer Stelle in dem Buch ausdrücklich sagt, dass er in diesem Punkt nicht lehramtlich spreche, so lässt sich in der Außenwirkung eine solche Unterscheidung schwer durchhalten. Wenn ein Papst sich äußert und dies in Schriftform herausgebracht wird, dann hat dies Bedeutung auch für die Ökumene.

"Verdienstvoll ist, dass sich der Papst

in eine positive Auseinandersetzung mit

Homosexualität, Prostitution und Aids begibt."

 

In den Medien konzentriert sich die Berichterstattung hauptsächlich auf den Gebrauch von Verhütungsmitteln. Sehen Sie eine Öffnung der katholischen Kirche?

Weber: Der Absatz dazu im Buch ist ein sehr kleiner und kommt weit hinten vor. Der Papst sagt dazu auch nichts revolutionär Neues, wenn man sich ansieht, wie in der Enzyklika Humanae vitae das Kondomverbot begründet wird. Die katholische Moraltheologie lehnt das Kondom als Mittel der Empfängnisverhütung ab. Hier geht es jedoch um etwas anderes: Der Papst hat deutlich gemacht, dass im Kampf gegen Aids ein Kondom Schutz gegen Krankheit ist. Verdienstvoll ist, dass sich der Papst in eine positive Auseinandersetzung mit Tabuthemen wie Homosexualität, männliche Prostitution und Aids begibt.

In der katholischen Kirche gibt es verschiedene Stimmen, die Verpflichtung der Priester zum Zölibat zu überdenken.

Weber: Durch Äußerungen verschiedener Bischöfe ist etwas Bewegung in die Diskussion gekommen. Dies mag auch den Missbrauchsfällen und dem Priestermangel geschuldet sein. Der Papst konzediert zwar in seinem Buch, dass man über den Pflichtzölibat nachdenken könne, stellt aber gleichzeitig fest, dass diese Diskussionen durch die „Verwirrung der Zeit“ bedingt sei. Hier wendet sich Benedikt an seine eigene bischöfliche Leitungsebene und betont: Wer über die Aufhebung des Pflichtzölibats diskutiert, hat sich von der Zeit verwirren lassen. Ich sehe hier keine Lockerung oder Öffnung in dieser Frage.

Ist es nicht grundsätzlich mutig, dass sich Benedikt XVI. oft bewusst gegen den sogenannten Zeitgeist wendet? Ist diese Standhaftigkeit auch ein Vorbild für die evangelische Kirche?

"Die Klarheit, wie Benedikt hier

christologisch argumentiert, ist

auch für Protestanten beispielhaft."

 

Weber: Mir hat besonders gefallen, dass Benedikt XVI. betont, dass die großen Fragen unseres ethischen Verhaltens, insbesondere Ökologie und Ökonomie, aber auch Sexualität, nicht losgelöst vom Glauben betrachtet werden können. Wir können diese Probleme nicht lösen, wenn nicht Gott im Zentrum steht. Ob dieser Gott Jesu Christi da ist und anerkannt wird, daran wird sich das Schicksal der Welt entscheiden. Dieser Gott, an den wir gemeinsam glauben, hat das Gesicht Jesu Christi – und das ist ein zutiefst menschliches Gesicht. Die Klarheit, wie Benedikt hier christologisch argumentiert, ist auch für Protestanten beispielhaft. 

Beim Thema Eucharistie und Abendmahl argumentiert der Papst mit dem unterschiedlichen Amtsverständnis, das ein gemeinsames Herrenmahl ausschließt. Sehen Sie dabei die Ergebnisse der jüngsten theologischen Expertengespräche ausreichend berücksichtigt?

Weber: Es tauchen im Grunde stets die gleichen Argumente auf. Man sagt, zur Eucharistie könne nur derjenige gehen, der ganz im Glauben zur katholischen Kirche gehört. Dazu gehört dann die Frage des Amtes und vieles mehr. Ich hätte mir schon gewünscht, dass man nicht nur sagt, wer die Eucharistie empfangen kann, sondern auch, dass es im Verständnis der Eucharistie gerade mit der evangelischen Theologie Übereinstimmung gibt. Die Zurückhaltung, die in dieser Hinsicht erkennbar ist, bedauere ich.


Lesen Sie in dem Buch auch positive Ansätze zur Ökumene?

Weber: Wir hatten ja in den vergangenen Jahren immer wieder Auseinandersetzungen und Irritationen mit der katholischen Kirche, etwa durch Dominus Iesus und die vatikanischen Antworten auf die Frage, was Kirche ist. Insofern hat mich in dem Buch überrascht, dass der Papst vom Protestantismus als der besonderen Form von Kirche spricht und sagt: Indem wir Katholiken das als "kirchliche Gemeinschaft" bezeichnen, wollen wir das Besondere der protestantischen Christenheit als etwas Positives beschreiben.

Der Papst bringt an verschiedenen Stellen auch die Orthodoxie ins Gespräch. Wird die Ökumene dadurch nicht noch komplizierter?

Weber: Die Hoffnungen, die man sich in katholischen Kreisen in Bezug auf die bilaterale Ökumene zur Orthodoxie gemacht hat, haben sich nach meinem Eindruck nicht so schnell erfüllt, wie man sich das wünschte. Der bisherige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Kardinal Walter Kasper, hat das Verhältnis zur Orthodoxie sehr gepflegt, zugleich aber auch die Ökumene zu den refomatorischen Kirchen in ganz überzeugender Weise gestaltet – bis hin zur jüngsten Dokumentation von Lehrgesprächen "Harvesting the fruits".

Das Buch von Kardinal Kasper erscheint in Kürze auch auf Deutsch.

Weber: Ja, ich hatte Kasper übrigens angeboten, das Buch im Lutherischen Verlagshaus in Hannover herauszubringen. Aber es ist schon eine andere Verlagsgruppe im Blick. Wir hoffen, dass das Miteinander mit Orthodoxie und reformatorischen Kirchen auch unter Kaspers Nachfolger, Kardinal Koch, vorwärts getrieben wird. Die Spitze der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) wird im Januar mit dem Papst in Rom zusammentreffen. Da werden wir natürlich diese Fragen auch stellen.

"Ich hatte Kardinal Kasper angeboten,

seine Ökumenebilanz im Lutherischen

Verlagshaus erscheinen zu lassen."

 

Auch innerkatholisch gibt es heftige Kritik an der Rolle der Frau in der Kirche und an sexualethischen Positionen des Papstes, etwa zur Aids-Bekämpfung in Afrika. Nimmt dieses Buch Wind aus den Segeln der Kritiker?

Weber: Die Äußerungen zur Sexualethik sind für mich keine Öffnung, sondern eine Selbstverständlichkeit. So empfindet das nach meinem Eindruck auch die Mehrzahl der Menschen aus dem katholischen Horizont. Interessant finde ich aber, dass der Papst über einen verantwortlichen Umgang mit Sexualität spricht und betont, dass Sexualität isoliert von Liebe problematisch sein kann. Es ist wichtig, dass in diesen Zeiten dieser Zusammenhang beschrieben wird.

Die Frauenordination bezeichnet Benedikt als einen Rückschritt für die Ökumene. Muss man nicht umgekehrt fragen, ob die Frauenordination ein Bekenntnisfall für die evangelische Kirche ist?

Weber: Für uns kann es ein Zurück hinter die Frauenordination nicht geben. Das ist durch Erkenntnis, durch Beschäftigung mit den biblischen Schriften und durch gemeinsame Glaubenspraxis entstanden, eingeübt und hat Rechtsformen gefunden. Dass es in unseren Kirchen ordinierte Frauen gibt, ist so gut und so menschendienlich, dass man – selbst wenn die Rechtsform nicht so eindeutig wäre – darauf gar nicht mehr verzichten könnte.

"Benedikt XVI. spricht darüber, ob ein

Papst zurücktreten kann – und sagt:

Ich spüre, dass meine Kräfte nachlassen."

 

Was war für Sie überraschend an dem Papstbuch, was hat Sie weitergebracht, welche Impulse nehmen Sie aus der Lektüre in die ökumenische Arbeit mit?

Weber: Es gibt eine Passage, in der ich die Menschlichkeit eines Papstes durchschimmern sehe. Benedikt XVI. spricht darüber, ob ein Papst zurücktreten kann – und sagt: Ich spüre, dass meine Kräfte nachlassen, dass ich schwächer werde. So lange ich das machen kann und Gott es von mir will, werde ich das tun. Aber auch ein Papst hat das Recht und unter Umständen auch die Pflicht zurückzutreten. Auf der anderen Seite das Kämpferische – er sagt, man darf in der Gefahr nicht davonlaufen. Besonders gut hat mir der Versuch gefallen, den Papst als Person zu beschreiben, die Glaube und Vernunft miteinander versöhnen möchte. Wir erleben in diesem Ringen um die Einheit von Glaube und Vernunft eine authentische Persönlichkeit.


Prof. Friedrich Weber (61) ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Weber lehrt als Honorarprofessor Kirchengeschichte an der Technischen Universität Braunschweig.