Kondome aus dem Stadtsäckel? Viele Kommunen verweigern sich

Kondome aus dem Stadtsäckel? Viele Kommunen verweigern sich
Das Arbeitslosengeld II sieht keine Ausgaben für Verhütungsmittel vor. Manche Kommunen springen finanziell ein - doch die Kassen der meisten Städte und Gemeinden sind leer.
30.11.2010
Von Dirk Baas

Anna Mosch (Name geändert) aus Flensburg muss sich die nächsten Jahre keine großen Gedanken über die Verhütung machen. In ihrem Körper verhindert eine Hormonspirale zuverlässig, dass sie schwanger wird. Was für viele Frauen in Deutschland nicht der Rede wert ist, ist im Fall der 38-Jährigen eine eher seltene Ausnahme: Sie lebt von Arbeitslosengeld II und hat die Kosten der Spirale von der Kommune erstattet bekommen. Ein erfolgreiches Projekt von pro familia und der Stadt Flensburg macht das möglich.

"Flickenteppich an Regelungen"

"Ohne diese Hilfe hätte ich mir die Hormonspirale nie leisten können", sagt Anna Mosch erleichtert. Immerhin hat das Implantat 305 Euro gekostet. Mosch gehörte zu den ersten Frauen im Alter ab 20 Jahren, die das am 1. April 2009 gestartete Projekt zur Kostenübernahme verordneter Verhütungsmittel nutzte. Allein im ersten Halbjahr 2010 seien rund 150 Anträge bewilligt worden, sagt Simone Hartig, die Leiterin von pro familia Flensburg. Der Bedarf sei groß, berichtet sie und lobt die örtlichen Parteien sowie die Stadtverwaltung "für die breite Unterstützung".

Selbstverständlich ist ein solches Engagement nicht, denn viele Kommunen bewegen sich am Rande der Pleite. 30.000 Euro investiert Flensburg in diesem Jahr in das freiwillige Projekt, das bis 2011 befristet ist. Hartig freut sich: "Auch die Landkreise Stormarn und Geesthacht sind unserem Beispiel gefolgt." Ähnliche Initiativen gibt es in Offenbach, Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis, Paderborn, Bielefeld und Münster.

Pro familia beklagt diesen "Flickenteppich an Regelungen" und hat in einer Umfrage in seinen rund 180 Beratungsstellen erfragt, wie es mit der freiwilligen Erstattung der Verhütungskosten aussieht. Ergebnis: Nur ein Drittel der Beratungsstellen berichteten, dass Städte und Gemeinden Zuschüsse zahlen oder die Kosten ganz übernehmen.

Kein Etat im Regelsatz vorgesehen

Im umstrittenen neuen Regelsatz von 364 sind monatlich 15,55 Euro für "Gesundheitspflege" vorgesehen. Zusätzliches Geld gibt es nicht. Eine individuelle Familienplanung sei somit unmöglich. Der Verband rechnet vor: Eine Monatspackung der Pille kostet bis zu 18 Euro, die Hormonspirale 350 Euro, eine Sterilisation bei Frauen 500 und bei Männern 450 Euro. Selbst für eine Zehner-Packung Kondome würden sechs bis elf Euro fällig.

"Wir hoffen, dass sich auf Bundesebene noch was tut", sagt Simone Hartig mit Blick auf die laufenden Beratungen über die Hartz-IV-Reform im Bundestag: "Das Recht auf selbstbestimmte Familienplanung muss allen Menschen offenstehen."

Das fordert auch Annegret Laakmann, Bundesvorstand des Vereins "Frauenwürde", der sechs Beratungsstellen unterhält. Um mittellosen Frauen die Verhütung zu ermöglichen, unterhält der Verein einen Härtefonds, aus dem auf Antrag Zuschüsse für Spirale, Pille oder Sterilisation finanziert werden.

Laakmann fordert, "die alte Regelung aus der Sozialhilfe wieder einzuführen". Danach gab es bis Ende 2003 über das Bundessozialhilfegesetz kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln. Andernfalls unterstütze die Bundesregierung, "dass Schwangerschaftsabbrüche zum Verhütungsmittel gemacht werden".

Plädoyer für Kostenübernahme

Der Paritätische Wohlfahrtsverband plädiert ebenfalls "für eine Übernahme der Kosten als atypische Leistung". Denn, so Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in einem Brief an Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU): "Aus unserer Arbeit wissen wir, dass es den betroffenen Frauen und Paaren aufgrund des zu eng bemessenen Regelsatzes regelmäßig nicht möglich ist, die notwendige Versorgung mit Verhütungsmitteln zu finanzieren."

Von der Leyen wollte dem nicht folgen. In ihrer Antwort, die dem epd vorliegt, schreibt sie: "Ihre allgemeine Bewertung, dass Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II häufiger zu ungewollten Schwangerschaften tendieren würden, weil sie sich die Finanzierung von Verhütungsmitteln aus der Regelleistung nicht leisten können, kann ich nicht teilen." Die Ministerin hält die Gesundheitsvorsorge-Pauschale für hoch genug. Zudem sei es Betroffenen zuzumuten, "einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen."

epd