Mit der Wahl von Nikolaus Schneider (63) zum EKD-Ratsvorsitzenden hat der deutsche Protestantismus wieder einen neuen Spitzenrepäsentanten. Der sächsische Landesbischof Jochen Bohl (60) steht ihm als Stellvertreter in den nächsten fünf Jahren zur Seite. Damit wird die Übung wieder aufgenommen, dass ein Gespann aus einem westdeutschen und einem östlichen Geistlichen die Führungsspitze bildet. Durch die Nachwahl der versierten Theologieprofessorin Christiane Tietz und der kirchlich verwurzelten Gewerkschafterin Edeltraud Glänzer in den Rat ist das Leitungsgremium wieder komplett.
Präses Schneider, dem die Zuschreibung "Sozialbischof" gefällt, lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er sich stärker politisch einmischen will als in der achtmonatigen Probezeit als amtierender "EKD-Chef" nach dem Rücktritt Margot Käßmanns. Atomkraft, Afghanistan-Einsatz, soziale Gerechtigkeit und Präimplantationsdiagnostik waren seine Stichworte in den vergangenen Tagen und Wochen. Stets machte er dabei deutlich, dass es erste Christenpflicht ist, verständlich über Gott zu reden.
Mannschaftsspieler statt Solist
Und Schneider (Foto: epd-bild) weiß auch: In vielen gesellschaftlichen Kontroversen geht es um Fragen der politischen Zweckmäßigkeit, in denen es unter Protestanten verschiedene Positionen geben kann. In seinem Ratsbericht hat er an ganz prominenter Stelle daran erinnert: "Je weiter man sich beispielsweise auf das Feld der politischen Umsetzung begibt, desto geringer ist der Grad der Eindeutigkeit, mit dem konkrete Beiträge oder Leistungen biblisch gefordert sind." Auch ist davon auszugehen, dass ein Ratsvorsitzender Schneider einen eigenen Stil ausbilden wird. Trotz des Trends zur Personalisierung - geerdet statt Glamour, Mannschaftsspieler statt Solist.
Unverändert bestehen die Herausforderungen für die Kirche, die viele von Krise sprechen lässt, im demografisch bedingten Rückgang der Mitgliederzahl und sinkender Finanzkraft. Im Reformprozess, den die evangelische Kirche 2006 zur Stärkung ihres Profils in Gang gesetzt hat, sind neue Akzentsetzungen wahrscheinlich. So wirbt Schneider dafür, die innerkirchlichen Reformen auf eine breitere Basis zu stellen. Pfarrer, Ehrenamtliche und Gemeindemitglieder sollen Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Einladung zum Mittun empfinden. Zudem soll zu einer engen Verknüpfung mit der Lutherdekade kommen, die auf den 500. Jahrestag der Reformation 2017 hinführt.
Dienstrecht für Geistliche vereinheitlicht
Außerhalb der Kirchenmauern wenig spektakulär, aber innerkirchlich von großer Tragweite ist die einstimmige Entscheidung der EKD-Synode, ein einheitliches Dienstrecht für die rund 22.000 Pfarrer auf den Weg zu bringen. Mit dieser Vereinheitlichung soll die Rechtszersplitterung, die es bisher mit einer Vielzahl von landeskirchlichen Regelungen im föderal organisierten Protestantismus gibt, überwunden werden. Für das Ziel, auf EKD-Ebene gesamtkirchliche Aufgaben zu bündeln und damit kirchliche Strukturen zu verschlanken, stellt dies einen Fortschritt dar.
Beim dritten Mal verlief das "Verbindungsmodell" des deutschen Protestantismus - das Räderwerk der Kirchenparlamente von Lutheranern, Unierten und EKD greift zeitlich und örtlich ineinander - weitgehend routiniert. Doch Stolpersteine bleiben nicht ausgeschlossen. Der Vorstoß aus der Mitte der Synode, den Bereich Catholica-Fragen innerhalb der gesamten EKD neu zu ordnen, ist nicht ohne Brisanz. Denn der Catholica-Bericht der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ist bisher ein "Alleinstellungsmerkmal", auf das der Zusammenschluss der lutherischen Kirchen nur schwerlich verzichten dürfte.
Generationswechsel steht bevor
Spätestens 2015 wird die evangelische Kirche vor einem massiven personellen Einschnitt stehen. Fünf Bischöfe, die derzeit der EKD-Führungsspitze angehören, werden dann aus Altersgründen ausscheiden und jüngeren Geistlichen Platz machen. Zwei Jahre vor dem Reformationsjubiläum wird sich an der Spitze des deutschen Protestantismus ein tiefgreifender Generationenwechsel vollziehen.