Shoppen und beten: Kirche und Kommerz in Finnland

Shoppen und beten: Kirche und Kommerz in Finnland
Die Finnen lieben Einkaufszentren. So sehr, dass dort auch geheiratet werden kann. So zum Beispiel in Espoo nahe Helsinki. Das Einkaufszentrum heißt "Iso Omena", steht für "Big Apple" und somit für das Einkaufsparadies New York. Seit 2001 shoppen hier etwa neun Millionen Besucher pro Jahr in 115 Geschäften.
15.10.2010
Von Ulrike Pape

Aber nicht überall gibt es etwas zu kaufen: Neben dem Nagelstudio "La Chica" im zweiten Stock leuchtet rot auf weiß "Hiljaisuuden kappeli", die „Kapelle der Ruhe“. Dort sein, wo die Menschen sind – so wie einst, als die Kirche noch in der Mitte des Ortes stand, darum geht es Leena Lenkkeri. Sie leitet die Kapelle im Einkaufszentrum. In dem schlichten Raum mit weißem Marmoraltar und Holzvertäfelung ist Platz für bis zu 30 Menschen; außer dem täglichen Gebet und dem Gottesdienst jeden Sonntag finden hier Hochzeiten und Taufen statt. "Im Einkaufstrubel bieten wir den Menschen einen Ort der Stille, wo sie verschnaufen und innehalten können", sagt die 59-Jährige, jeder sei willkommen.

Die Idee aus Finnland ist auch hierzulande nicht ganz fremd. Pfarrer Andreas Isenburg verweist auf Citykirchenprojekte wie es sie auch in Deutschland gibt, zum Beispiel im Einkaufs- und Freizeitpark "Centro" in Oberhausen. Hier bietet der ökumenische Kirchenpavillon einen Ort der Ruhe und Begegnung. "Die Citykirchenprojekte haben meist ein Café integriert und sehen auf den ersten Blick nicht wie eine Kirche aus, so dass die Hemmschwelle niedriger ist, das Gebäude zu betreten", erläutert Isenburg, Beauftragter für Citykirchenarbeit in Westfalen.

Auch in Finnland sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder seit Jahren: 1950 waren noch 95 Prozent und 1990 rund 88 Prozent der finnischen Bevölkerung Mitglied in der lutherischen Kirche, 2009  sank die Zahl der Mitglieder auf knapp 80 Prozent. Einer Umfrage aus dem Jahr 2006 zufolge treten die meisten aus, weil Kirche keine persönliche Bedeutung für sie hat und sie keine Kirchensteuer zahlen wollen. Gerade deshalb sei das Angebot im Einkaufszentrum wichtig, sagt Projektmanagerin Lenkkeri: "Mit unserer kleinen Kapelle mitten im Einkaufszentrum zeigen wir den Menschen, dass wir für sie da sind."

Ein Platz für die Kinder

Am heutigen Mittwochnachmittag sitzt in der letzten Reihe ein Mann. Die Augen hat er geschlossen, die Einkaufstüten neben sich. Als er nach 10 Minuten aufsteht, wirkt er erfrischt, als hätte er im Innehalten eine Entscheidung getroffen. Eine Tür weiter geht es turbulent zu: Rund 20 Kinder zwischen einem und sechs Jahren tummeln sich im Spielzimmer. Wieder einen Raum weiter gibt es Kekse, Äpfel und Getränke. Nicht nur Mütter und Väter nehmen das Angebot an, auch Tagesmütter wie Hanna Rantanen, die mit Noa (4) und Elia (1) jeden Mittwoch hierherkommt. Allerdings ist der "Omppukerho", auf deutsch "Apfelclub", kein Babysitter-Service. Die Erwachsenen bleiben währenddessen bei den Kindern.

"Durch den Apfelclub kommen viele junge Familien zu uns in die Kapelle", erzählt Katri Mäki, Erzieherin in der Kapelle. Eine der Grundvoraussetzungen für ihren Job waren Englischkenntnisse. Denn viele Eltern, die hier Stopp machen, haben einen Migrationshintergrund. Mariana Lodi kommt aus Manaus im brasilianischen Bundesstaat Amazonas. Vor zwei Jahren zog die 27-Jährige mit ihrem Mann nach Espoo, der dort bei Nokia arbeitet. Tochter Leticia wurde in Finnland geboren. "Im Vergleich zu Brasilien ist hier vieles besser, allein das Schulsystem", erzählt die Mutter und strahlt, "nur die Sprache fällt mir schwer." Daher sei sie froh, dass es den Apfelclub mit englischsprachigem Programm gebe. "Hier ist Leticia gut aufgehoben und ich kann mich mit anderen austauschen."

Agnieszka Ostrowska aus Polen ist vor drei Jahren ebenfalls wegen der Arbeit ihres Mannes nach Finnland gezogen. Auf dem Weg vom Kindergarten zurück nach Hause schaut sie mit Maurycy (anderthalb) und Konstancja (5) ab und zu in der Kapelle vorbei. "Ich bin zwar katholisch, aber das ist egal", sagt Agnieszka Ostrowska. Hauptsache, die Kinder haben einen Platz zum Singen und Spielen.


Ulrike Pape ist freie Journalistin.