Deutsche Einheit: Ein langer Weg – am Ende ein Wunder

Deutsche Einheit: Ein langer Weg – am Ende ein Wunder
Das Wendejahr 1989 erlebte Wolfgang Triebler als Gemeindepfarrer in der Ost-Berliner Erlöserkirche. Aus der Sicht eines DDR-Pfarrers blickt er auf den Vereinigungsprozess in Kirche und Gesellschaft und zieht zwanzig Jahre nach dem Geschehen Bilanz.
30.09.2010
Von Wolfgang Triebler

In diesen Tagen wird intensiv an die Ereignisse vor zwanzig Jahren - den Fall der Berliner Mauer und die Erlangung der deutschen Einheit - gedacht. Die Erinnerung ist notwendig und hilfreich, um die Gegenwart recht zu verstehen und den Prozess wahrzunehmen, der zu diesem Ereignis geführt hat und was daraus geworden ist.

Es war ein lange Weg und am Ende stand ein Wunder. Das Wunder ist inzwischen verblasst. Die Erinnerung wird das Wunder nicht aufhellen können, wenn nicht zugleich Inhalte und Ziele der Träger in diesem Prozess mit erinnert werden. Leider ist zu beobachten, dass die Ereignisse häufig recht isoliert – ohne den weiten geschichtlichen Zusammenhang - betrachtet werden.

Kirche und Gesellschaft in der DDR

Ein langer Weg führte von den Zeiten nach dem II Welt-Krieg, über den 17. Juni 1953, den Bau der Mauer1961 und 1968, den Vorgängen um die DDR herum, in der CSSR oder in Polen, bis hin zur der Gegenwart. Zur Beurteilung dieser Geschichte sollte nicht vergessen werden:

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Bereits in den siebziger Jahren hat sich die DDR-Gesellschaft - wie anderenorts auch - erheblich differenziert. Die Vielfalt unterschiedlicher Erfahrungen in den verschiedenen Regionen der DDR zwischen‚ ‚Saßnitz und Suhl’ hat zu ganz unterschiedlichen Beurteilungen der Situation und möglicher Konsequenzen geführt. Ein breites Spektrum zwischen Anpassung und Verweigerung ließe sich entfalten. Wachsender Unmut bis hin zur Verärgerung vertreibt die Gleichgültigkeit und weckt zunehmend eine kreative Sensibilität.

Zwei Tendenzen haben dabei die geschichtlichen Ereignisse von Anfang an bestimmt: Es geht um die Veränderung in der DDR einerseits - mehr Wohlstand und Reisefreiheit andererseits, haben die politischen Akteure beschäftigt. Geweckt wird die Sehnsucht nach Wohlstand und Freiheit besonders „durch das TV-Fenster in die Bundesrepublik“.

Die friedliche Revolution von 1989

Der unmittelbarere Zusammenhang beginnt mit den „Tagen des Zornes“ - d.h. mit der Demonstration zum Gedächtnis von Karl Liebknecht und Rosa Luxenburg im Januar 1988 - und den dazu geplanten Aktionen mit dem Zitat von Klara Zetkin „Freiheit ist immer auch die Freiheit der anders Denkenden“.

In der Folge der Ereignisse - zwischen dem 9. November, der Erstürmung der der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, der Wahl zur neuen Volkskammer, der Einführung der Währungsunion am 1. Juli 1990, und schließlich mit dem Endpunkt am 3. Oktober - liegt ein tiefer Bruch.

Signale für diesen Bruch – die Usurpation der friedlichen Revolution durch die Tagespolitik - waren der Sprung von der Parole „WIR SIND DAS VOLK“ zu der anderen „WIR SIND EIN VOLK“ und die Rede von Helmut Kohl in Dresden im Wahlkampf für die Volkskammer mit dem Versprechen „blühender Landschaften“.

Die Vereinigung der Kirchen in Ost und West

Für die evangelische Kirche waren die Weichen schon im Januar 1990 in Loccum mit der gleichnamigen Erklärung gestellt worden. Die langfristig geplante Tagung zwischen dem Rat der EKD und den Vertretern des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR hat dann durch die Ereignisse einen völlig anderen Verlauf genommen. Man forderte die staatliche Einheit und einigte sich auf eine schnelle Integration des DDR-Kirchenbundes in die EKD. Gegen die nationale Überfremdung der Rolle der Kirche in der Loccumer Erklärung regte sich mit der Berliner Erklärung Widerspruch. Statt Anschluss an die EKD wollten Theologen aus Ost- und West-Deutschland den kirchlichen Vereinigungsprozess nicht als Anschluss gestalten, sondern die Erfahrungen der DDR-Kirchen in eine erneuerte EKD einbringen. Die Berliner Erklärung kam  freilich gegen den politischen Mainstream nicht an.

Diese Vorgänge spielen in der Diskussion heute kaum noch eine Rolle Sie bilden aber den Backround für die gesellschaftliche Stimmung - zumeist als DDR-Nostalgie verpönt. Hier hat die Kirche ihre Glaubwürdigkeit verspielt, die sie im Vorfeld der friedlichen Revolution errungen hatte. Der rasche Pakt mit den Mächtigen wurde von der Bevölkerung nicht verstanden.

Gründe für den Zusammenbruch

Der Zusammenbruch der DDR hatte wohl auch ökonomische Ursachen. Voran stand nach meiner Überzeugung aber die innere geistige Erstarrung der Führungskräfte in der Partei und die von ihnen ausgehende Abgrenzungspolitik. Dabei wird nur zu oft vergessen, dass die unnatürliche Spaltung unseres Vaterlandes die Folge des unsäglichen Krieges war, der unbeschreibliches Elend über die Völker Europas (und der Welt) gebracht hat.

Die Spannungen zwischen beiden deutschen Staaten verstärkten sich im ‚Kalten Krieg’ gegenseitig. Hier gab es oft verdrängte Wechselwirkungen, der Einsatz der Medien in beide Richtungen - zunächst der Rundfunk, dann mehr und mehr das Fernsehen - verstärkten die Spannungen mit dem Ziel der Destabilisierung des anderen. Hier hat der so genannte Antifaschistische Schutzwall, Symbol der Abgrenzung, der Angst der Mächtigen um Ihre Macht seinen politischen Ort. Beklagenswert die Opfer, die sich an den unmenschlichen Verhältnissen rieben und versuchten, dem Staat gewaltsam, trickreich zu entkommen. Die geschichtlichen Zusammenhänge, die zu dieser Situation geführt haben, ließen sich nicht mehr kommunizieren, wie ich in zahlreichen Gesprächen erkennen musste

Bei all dem schließlich wird übersehen, dass der politische Spielraum der DDR-Regierung sehr gering war. Das beweisen die spärlichen innerparteilichen Versuche, eine Korrektur der Politik zu erreichen.

Das geistliche Modell der christlichen Verkündigung, die Erfahrung Israels im Exil hatten keine prägende Kraft mehr. Erst mit dem Generationswechsel in den achtziger Jahren vollzog sich ein Perspektivenwechsel und es ergab sich eine neue Option.

Die DDR - ein Unrechtstaat?

Auf diesem Hintergrund wirkt das - auch von vielen Akteuren der friedlichen Revolution also etwa Joachim Gauck oder Richard Schröder vertretene Diktum vom „Unrechtstaat DDR“ merkwürdig und peinlich. Das in der DDR erfahrene Unrecht soll damit weder ignoriert oder bagatellisiert werden, das Gespräch zwischen Opfern und Tätern ist schwierig

Das genannte Diktum aber ist inzwischen zu einem „Schlagwort“ geworden, um die Defizite im Vereinigungsprozess zu kaschieren, um mit ihm – so empfinde ich es – die Opfer für gegenwärtige politische Interessen zu instrumentalisieren und schließlich um eigene Machtinteressen zu verschleiern.

Dies kann der gesellschaftlichen Atmosphäre nicht dienlich sein. Dies gilt auch, wenn viele der jüngeren Menschen davon kaum noch Notiz nehmen.

Die kritischen Anmerkungen können die Freude über die neuen Möglichkeiten des Lebens nicht trüben. Aber die Erinnerung an die Ereignisse im Jahr 1989 fordert zu einem neuen Prozess der politischen und geistlichen Meinungsbildung heraus.


Wolfgang Triebler, Jahrgang 1937, war von 1987 - 1994 Pfarrer an der Erlöserkirche in Berlin (Ost)-Lichtenberg