Wirtschaftlichkeit darf nicht der Maßstab für Menschen sein

Wirtschaftlichkeit darf nicht der Maßstab für Menschen sein
In was für einem Staat leben wir eigentlich? Die Regierung hat mit ihrer fehlgeleiteten Hartz-IV-Berechnung gezeigt, dass ihr Menschen ohne wirtschaftliche Leistung ziemlich egal zu sein scheinen. Ob Alkohol und Zigaretten zu Grundbedürfnissen gehören, ist dabei völlig egal: Das Prinzip hinter der Nicht-Erhöhung ist schon falsch. Menschen misst man nicht am Maßstab ihrer wirtschaftlichen Leistung.
27.09.2010
Von Hanno Terbuyken

Fünf Euro mehr: Das ist das armselige Ergebnis der Neuberechnung der Grundsicherung, die jeden Deutschen auffangen soll, wenn er mal in Not gerät. Denn das ist der eigentliche Sinn und Zweck der Sozialleistungen, deren unteres Ende Hartz IV heißt: Wenn jemand arbeitslos wird und nach etwa einem Jahr keine Arbeit findet, dann fängt der Staat ihn auf. Das ist eigentlich eine schöne Sache, schließlich leben wir in einem Sozialstaat.

Nur gibt es in diesem Sozialstaat Millionen Menschen, die aus der Hartz-IV-Falle nicht mehr rauskommen. 5 Millionen Deutsche bekommen laut Monatsbericht August der Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld II. Nicht umsonst gibt es in der Sozialarbeit den Begriff der "Hartz-IV-Biografie". In Armut geboren, in Armut aufgewachsen, nie den Ausweg gefunden.

Gesellschaftliche Teilhabe aus der Armut heraus?

Denn dass Hartz IV Armut ist, darüber besteht kein Zweifel. Der neue Satz von 364 Euro bedeutet zwar, sagt zumindest Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, dass man am "gesellschaftlichen Leben teilnehmen" könne. Das war auch die Grundbedingung, wegen der das Bundesverfassungsgericht im Februar eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze gefördert hat.

Aber wie diese Teilhabe aussehen soll, ist eine Frage der Definition. Die einen sagen: Hartz IV ist nicht als Dauerzustand gedacht, also gibt es das Minimum, fertig, man kommt schon klar, mit ein paar Einschränkungen vielleicht. Die anderen sagen: Mit Hartz IV kann man nicht gleichwertig und gleichberechtigt in unserer Welt leben, egal ob Dauerzustand oder nicht.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Sollten Menschen, die – überspitzt formuliert – auf dem Arbeitsmarkt versagt haben, keinen Mehrwert erzeugen und nicht für sich und ihre Familie sorgen können, trotzdem gleichberechtigt mit den ehrlichen Arbeitnehmern abends in der Kneipe sitzen können, nachdem sie ihre Kinder aus der Musikschule abgeholt haben?

Die Regierung muss ihren Maßstab ändern

Ja natürlich sollten sie das. Es gibt keine Menschen zweiter Klasse. Aber man hat den Eindruck, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung den Menschen, die in der Statistik nichts leisten, ihren Wert als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft absprechen möchte. Denn offensichtlich ist wirtschaftliche Leistung der Maßstab, den die Bundesregierung an Menschen anlegen möchte. Das funktioniert prinzipiell nicht und vor allem nicht, wenn es Menschen gibt, die die Chancen dazu nie bekommen – Stichwort Hartz-IV-Biografie.

Die Regierung muss ihren Maßstab ändern. Entweder sie stellt den Menschen statt des Haushalts wieder in den Mittelpunkt und macht es sich zum Ziel, jedem ein lebenswertes, teilhabendes Leben zu ermöglichen, egal wem. Denn wenn eine Verkäuferin netto gerade mal knapp über Hartz IV verdient, wird sie sich auch über jede Erleichterung ihres Alltags freuen. Mit Transferleistungen ist es da nicht getan, dafür braucht es zusätzlich Bildungsanstregungen ohne Ende und ein Engagement für Kinder von Anfang ihres Lebens an, damit sie später diese Transferleistungen weder brauchen noch wollen.

Oder die Regierung steht auf und sagt: Das Konzept des Sozialstaats ist uns zuwider, wir möchten lieber ein amerikanisches Modell ohne Netz und doppelten Boden, in dem die unsichtbare Hand des Marktes schon alles richtet und jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Wer es nicht schafft, den schieben wir in die Armut ab. Das sollten wir als Bürger und Träger der Solidargemeinschaft verhinden. Denn es könnte jeden von uns treffen. Und dann werden wir uns ärgern, diese Politik zugelassen zu haben.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Umwelt + Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".