Wo bleibt das Positive, Herr Sarrazin? Fragt sich Ernst Elitz

Wo bleibt das Positive, Herr Sarrazin? Fragt sich Ernst Elitz
Viele Fakten stimmen zwar, aber: Wo bleibt das Positive, Herr Sarrazin? Das würde Ernst Elitz auch mal gern vom umstrittenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin hören. Und sonst in der Kolumne: Wie Steinmeier Menschen und Journalisten berührt und ob Intendanten zuviel verdienen.
27.08.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Thilo Sarrazin schwingt sich mit einem harten Satz an die Spitze der deutschen Islamkritiker. Was ist dran an seinen Thesen, zeichnen sie ein realistisches Bild oder sind sie gefährlich?

Ernst Elitz: Gefährlich an seinen Thesen ist der Tunnelblick, mit dem er sie präsentiert. Viele der von ihm benannten Fakten und Statistiken sind durchaus korrekt: Zwangsheiraten, Ehrenmorde, mangelnder Bildungswille in vielen islamisch geprägten Elternhäusern, daraus resultierend eine lebenslange Hartz-IV-Existenz. Auch der Vergleich zwischen dem Aufstiegswillen von Zuwanderern aus asiatischen Ländern und dem offenkundigen Desinteresse an der Integration in vielen türkischen Familien besteht den Faktencheck. Das alles lässt sich nicht beiseite wischen. Wer aber tatsächlich etwas verändern will, muss auch den positiven Ansätzen nachspüren, der muss zeigen, wo und wie etwas gelingt, der muss das Beispielgebende herausarbeiten. Das gebietet die Fairness und das gebietet der politische Veränderungswille. Wer nur das Bedrohliche sehen will wie Sarrazin ist ebenso ein Vorurteilsproduzent wie der politisch Überkorrekte, der die Probleme nicht benennt, weil er fürchtet, andere damit herabzusetzen. Der Ausweg liegt in der Mitte: ungeschminkte Wahrheit gepaart mit Mut zur Veränderung. Für diesen Weg steht der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky. Er ist kein larmoyanter Polemiker, sondern ein Mann der Tat. Ein Vorbild.

evangelisch.de: Frank-Walter Steinmeier spendet seiner Frau eine Niere – und bringt die Medien dazu, dezent über die Angelegenheit zu berichten. Singulärer Fall oder Renaissance des "guten" Journalismus?

Ernst Elitz: Auf jeden Fall eine Chance für den Journalismus, sich mal von seiner versöhnlichen Seite zu zeigen. Offenheit in persönlichen Dingen kann für Politiker durchaus ein Vorteil sein. Politiker, die eine Erzählung haben, die sie aus der Masse der Ortsvereinsredner und Resolutionsverfasser hervorhebt, sind Ausnahmeerscheinungen. Der Bürger hört ihnen zu, und der Journalist widmet sich ihnen gern: Frau von der Leyen, die Mutter von sieben Kindern; Schäuble nach seinem Attentat; Joschka Fischer mit seiner Sponti-Vergangenheit; Rösler, das vietnamesische Waisenkind; jetzt Steinmeier, der seiner geliebten Frau eine Niere spendet – das sind imponierende Charaktere, vor denen der Bürger menschlich Achtung verspürt. Auf diesen Charakteren lastet aber auch eine besondere Verantwortung. Wenn sie den Bürger enttäuschen, verliert er sein Restvertrauen in die Politik. Der Bürger erwartet im politischen Leben die gleiche Charakterstärke wie im persönlichen. Eine schwere Bürde für die Politik.

evangelisch.de: Die Intendanten der deutschen Rundfunkanstalten haben einer nach dem anderen ihr Gehalt offengelegt. Könnte sich die Freimütigkeit in der nächsten Runde der Gebührendebatte rächen?

Ernst Elitz: Einkommensfragen wecken nur Neidgefühle, wenn der Bürger erkennt, dass der Hochverdiener für sein Geld keine angemessene Leistung bietet. Hätten die Banker die Welt nicht in eine Krise gestürzt, würde sich niemand über ihre Boni erregen. So gilt auch in diesem Fall, wenn die Intendanten das bringen, was der Intendant des Saarländischen Rundfunks Fritz Raff in seiner Zeit als ARD-Vorsitzender postuliert hat - "absolute Qualiät" im Programm - dann werden ihre Bezüge bei der nächsten Gebührenrunde kein Thema sein. Finanzielle Renditen können die Lenker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht erzielen. Ihre Rendite liegt in der Verbesserung des Programms. Und das kann jeder beurteilen. Insoweit bleibt das Thema riskant.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.