Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu bezichtigte Israel eines "schweren Verbrechens". Es gebe keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung für die Tat, sagte Davutoglu bei einer Dringlichkeitssitzung des höchsten UN-Gremiums. Die USA erklärten sich "tief besorgt" über die Entwicklung, übten aber auch Zweifel an dem Vorgehen der Aktivisten. Es gebe bessere Wege, humanitäre Güter an der Gazaküste anzuliefern, sagte der stellvertretende US-Botschafter Alejandro Wolff. Bei der Kommandoaktion israelischer Elitesoldaten vor Morgengrauen wurden mindestens neun Aktivisten getötet. Mehr als 50 weitere Personen an Bord der "Gaza-Solidaritätsflotte" sowie sieben israelische Soldaten wurden verletzt, als das Militär von Booten und Hubschraubern aus sechs Schiffe enterte.
"Es gibt keine humanitäre Krise in Gaza"
Großbritannien forderte Israel auf, eine Erklärung für den Verlust von Menschenleben zu liefern. Allerdings sei das Drama im Mittelmeer "kein isoliertes Ereignis". Vielmehr zeige es deutlicher denn je, dass Israel die Blockade des Gazastreifens aufgeben müsse, sagte der britische UN-Botschafter Mark Lyall Grant. Sein österreichischer Amtskollege, Thomas Mayr-Harting, machte Israel wegen mangelnder Einhaltung von UN-Resolutionen für die Situation verantwortlich. Er forderte die Regierung in Tel Aviv auf, sich an die internationalen Gesetze zu halten.
Der stellvertretende israelische UN-Botschafter Manuel Carmon verteidigte sein Land mit den Worten: "Diese Flotille war alles andere als eine echte humanitäre Mission." Vielmehr hätten die Aktivisten Israel provozieren wollen. Darum hätten sie auch das Angebot der Behörden zurückgewiesen, die Hilfsgüter auf dem Landweg in den Gazastreifen transportieren zu lassen. Carmon betonte: "Außerdem gibt es keine humanitäre Krise in Gaza."
Fünf Deutsche unverletzt
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte Forderungen an Israel nach einem Ende der Blockade des Gaza-Streifen. Sie habe Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Telefonat zur Aufhebung der Blockade aufgefordert, "weil das aus humanitären Gründen nicht in Ordnung ist", sagte Merkel am Montagabend in einem Gemeinschaftsinterview von ARD und ZDF. Die Bundesregierung sei tief besorgt, dass es zur Eskalation kommen könne. Netanjahu hatte zuvor öffentlich "den Verlust an Leben" bedauert, aber zugleich von einer Selbstverteidigung der Soldaten gesprochen.
Die Kanzlerin verlangte ausführliche Informationen auch über den Zustand der Deutschen an Bord der "Solidaritätsflotte". Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind die beiden Abgeordneten der Linkspartei Annette Groth und Inge Höger, die sich auf dem von israelischen Soldaten gestürmten Schiff "Mavi Marmara" befanden, wohlauf. Auch drei weiteren Deutschen gehe es den Umständen entsprechend gut. Nach Angaben der Linkspartei ist auch der frühere Linken-Abgeordnete Norman Paech unverletzt. An Bord der "Mavi Marmara" hielten sich nach unbestätigten Informationen sechs Deutsche auf. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes waren insgesamt zehn Deutsche an Bord der verschiedenen Schiffe.
Anti-israelischen Demonstrationen
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel Staatsterrorismus vor. Die Türkei rief ihren Botschafter ab und bestellte den israelischen Botschafter ein. Netanjahu sagte ein für Dienstag geplantes Treffen mit US-Präsident Barack Obama in Washington ab. In mehreren europäischen Städten, darunter Paris und Stockholm, kam es am Montagabend zu anti-israelischen Demonstrationen.
Die griechische Regierung brach umfangreiche Luftwaffenmanöver mit Israel in der Ägäis ab. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einem "Massaker" und "abscheulichen Verbrechen". Die arabischen Staaten verurteilten den Militäreinsatz als "Verbrechen".
480 Gaza-Aktivisten im Gefängnis
Nach dem blutigen Militäreinsatz Israels gegen die Gaza-Hilfsflotte im Mittelmeer sind bislang 480 internationale Aktivisten ins Gefängnis gebracht worden. Der israelische Rundfunk meldete, Sicherheitskräfte hätten sie im Verlauf der Nacht in das Gefängnis Beerscheva in der Negev-Wüste transportiert. Sie sollen dort verhört werden. 48 weitere Aktivisten seien zum internationalen Flughafen Ben Gurion gebracht worden und sollen direkt abgeschoben werde.
Auch der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell ist in israelischem Gewahrsam. Wie der Rundfunksender SR am Dienstagmorgen unter Berufung auf das Stockholmer Außenministerium meldete, muss sich Mankell wie die zehn anderen schwedischen Aktivisten entscheiden, ob er Israel sofort verlassen oder sich dort vor Gericht stellen lassen will.
Weiter hieß es, vier der Schweden hätten sich für das Gerichtsverfahren entschieden und seien deshalb in das Gefängnis Beerscheva worden. Mankell und vier seiner Landsleute hätten sich bisher nicht entschieden. Sie werden weiter in der Hafenstadt Aschdod festgehalten. Der Verbleib von zwei Schweden gilt als unbekannt.
Seit der Machtübernahme der radikalislamistischen Hamas vor drei Jahren kontrolliert Israel die Grenzen zum Gazastreifen streng und lässt nur begrenzt Hilfslieferungen in das Gebiet. Der jüngste Vorfall ereignete sich nach Angaben der Organisation Free Gaza in internationalen Gewässern im Mittelmeer - etwa 140 Kilometer vor der israelischen Küste. Die "Gaza-Flotte" wollte trotz der von Israel verhängten Seeblockade rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen bringen.