Ein Freigeist zu sein, ist Roland Koch nicht gegeben

Ein Freigeist zu sein, ist Roland Koch nicht gegeben
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - den Wechsel von Roland "Beinhart" Koch in die Wirtschaft findet er honorig, die Diskussion um Krieg und Handelsinteressen wichtig, und im iPad vermag er noch nicht die versprochene Wunderwaffe zu entdecken. Jede Woche beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
28.05.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Roland Koch wirft hin. Spielt der langjährige CDU-Hardliner nun den Freigeist, oder hat er schon ein lukratives Wirtschaftsengagement in Aussicht, etwa als Opel-Vorstand?

Ernst Elitz: Ich habe nicht mal die Handynummer von Roland Koch, wie soll ich da wissen, ob er demnächst bei Opel anheuert? Der Ex-Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, ist bereits im Vorstand des verhinderten Opel-Käufers Magna gelandet. Zwei von der Sorte - das wäre dann eine kleine Ministerpräsidentenkonferenz, aber keine, die Angela Merkel fürchten müsste. Ich gehöre nicht zu den 90 Prozent der Bevölkerung, die sich nicht von "Berufspolitikern" regieren lassen wollen, die aber andererseits bei jedem Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft oder umgekehrt unüberbrückbare Interessenkonflikte beschwören. Zweifellos kann Koch in der Wirtschaft Karriere machen: Er mag keine Kompromisse, er verfolgt seine Ziele radikal, er kann skrupellos sein, die Konkurrenz geht er beinhart an. Derartige Egotypen sind in der Wirtschaft gefragt. Und gerade deshalb bleibt vielen "Berufs"-Politikern dieser Weg in ein neues Leben verschlossen. Ein Unternehmer, der über ein neues Produkt jahrelang mit 100 Gremien, nach Möglichkeit auch noch mit der Konkurrenz verhandelt und mit allen Beteiligten faule Kompromisse schließt, wäre ganz schnell pleite. Das Überlebensprinzip in der Wirtschaft ist Schnelligkeit, Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft – mithin das Gegenteil der Hinterzimmersozialisation politischer Karrieren. Deshalb reüssiert der Angestellte des öffentlichen Dienstes, der Lehrer und der Gewerkschaftsfunktionär in der Politik, aber Unternehmer wenden sich mit Grausen. Schade, das es zwischen diesen Welten eine schier unüberwindliche Mauer gibt. Dabei wünschte man den Wirtschaftsgrößen etwas mehr Konzilianz und den Politikern mehr Entscheidungsfreude. Ein gelungener Berufswechsel schafft immer Freiheit. Zum Freigeist wird Koch deshalb nicht. Das ist ihm, der sich so konservativ und christlich versteht, nicht gegeben.

evangelisch.de: Bundespräsident Köhler sieht Auslandseinsätze der Bundeswehr in engem Zusammenhang mit der Sicherung von deutschen Handelsinteressen. Muss uns die heftige Debatte darüber verwundern?

Ernst Elitz: Diese Debatte ist überfällig. Wirtschaftseinflusszonen und Handelswege zu sichern, ist seit alters her ein Grundmotiv politischen und militärischen Handels. Aus keinem anderen Grund ist das britische Empire entstanden, aus keinem anderen Grund ist Frankreich noch heute die Schutzmacht seiner einstigen afrikanischen Kolonien, aus keinem anderen Grund hat Amerika Kriege geführt – wenn auch gepaart mit dem uramerikanischen Sendungsbewusstsein, dass sein "american way of life" alle zur irdischen Glückseligkeit führen müsste. Deutschland hat nach dem moralischen Schock des Zweiten Weltkriegs jedweder imperialer Politik abgeschworen. Und dabei wird es bleiben. Auch beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus, der uns existenziell bedroht, geht Deutschland keinen Sonderweg, sondern handelt im Auftrag der Völkergemeinschaft im Rahmen eines UNO-Mandats – in Afghanistan im Kampf gegen die Taliban, vor Somalia zur Sicherung der Schiffahrtswege. Selbstverständlich hat ein Auslandseinsatz zum Schutz von Handelswegen etwas mit Handelsinteressen zu tun. Dass angesichts unserer Vergangenheit darüber diskutiert wird, ist okay. Verwundern kann es nur den, der die Last der deutschen Geschichte nicht spürt.

evangelisch.de: Auch in Deutschland wird nun das iPad verkauft, das von den Verlagen als Wunderwaffe im Kampf gegen sinkende Umsätze betrachtet wird. Sind die Erwartungen berechtigt?

Ernst Elitz: Eine Wunderwaffe wird es nicht, aber es kann die junge Generation, die mit Zeitungen nicht mehr viel anfangen kann, als Leser erhalten. Und das ist schon mal ein positiver Effekt. Als ich vor einigen Wochen eines der ersten in Deutschland vagabundierenden iPads in Händen hielt, war meine erste Frage: Kann man das auch falten? Nein, noch nicht. - Meine zweite Frage: Kann ich auch auf der Terrasse bei Sonneneinstrahlung gestochene Buchstaben lesen? - Nein, noch nicht. Die "Wunderwaffe" ist also entwicklungsfähig. Sie hat für mich als konventionellen Leser zur Zeit noch zwei weitere Nachteile. Ich kann mir nichts anstreichen, rausreißen und auf einen Stapel legen und ich kann mit dem zusammenknüllten iPad auch nicht – wie mit meiner geliebten Zeitung – meine Schuhe ausstopfen. Also nicht alle Erwartungen sind berechtigt.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.