Die Frauenversteher im Callcenter der Bahn

Die Frauenversteher im Callcenter der Bahn
Wem ist es nicht schon passiert? Tasche im Zug liegen lassen und auf geht's durch die Institutionen der Bahn. Wenn man aber an den Richtigen gerät, klappt's auch mit dem Fundbüro. Außer man hat die falsche Tasche dabei...
21.05.2010
Von Ursula Ott

Woche vom 16.5.

Sonntag

Hallelujah, mein persönliches Kirchentags-Wunder. Rückfahrt aus München, wir sind müde, es dauert fast fünf Stunden nach Köln, und vielleicht sind wir ja einfach ein bisschen doof. Jedenfalls merken wir kurz nach dem Aussteigen in Köln: wir haben ein Tasche im Zug liegen lassen. Eine weiße Umhängetasche, sinnigerweise mit der Aufschrift "Heimathafen Hamburg". Mit sämtlichen Schlüsselbünden. Der Zug steuert keineswegs den Hafen Hamburg an, sondern fährt von Köln weiter über Düsseldorf nach Essen. Mit unserer Tasche. Das wird kein Problem sein, behaupte ich, rufe beim Bahncomfort Service an, ha, ich hatte eine Platzreservierung, da wird doch ein netter Matrose, äh, Schaffner in der Lage sein, meine Hamburg-Tasche zu retten? Aber im Callcenter gibt es im ersten Anlauf nur gestanzte Sätze. "Wünschen Sie, diese Vermisstenanzeige per Email zu gestellt zu bekommen?"

Nein! Ich wünsche mir einen Menschen, einen echten, der in Wagen 28 auf Platz 56 meine Tasche holt. Zweiter Anruf, ich bitte herzlich und zerknirscht. Bitte bitte, kann nicht am Endbahnhof Essen jemand in den Zug klettern, kann ich nicht per Handy jemanden erreichen im Zug? Und siehe da – ein Wunder. Das Wunder heißt 3S. Sicherheit, Sauberkeit und Service am Bahnhof Essen. 3S hat aber auch einen Namen, Herrn Hester, der ruft mich nach zehn Minuten zurück und sagt: Frau Ott, Heimathafen Hamburg. Die Tasche liegt hier zur Abholung bereit. Danke, Herr Hester!

Montag

Erst heute sehe ich in meinen Emails die Vermisstenanzeige des Fundservices der Bahn. "Wir bestätigen Ihre Meldung über den Verlust eines Gegenstandes aus der Gruppe 'Taschen, Koffer, Rucksäcke'. Unsere erste Nachforschung hat ergeben, dass sich der Gegenstand nicht in unserem Besitz befindet." Oh je, das hätte bestimmt Wochen gedauert. Ich nehme mir vor, besser auf zupassen. Ich bin aus der Gruppe Schussel, Schlamper, Schlüsselvergesser. Man soll sich auf Wunder besser nicht verlassen.

Dienstag

Rechnung von Call-a-bike. Ich soll Mietgebühr für einen ganzen Abend Bahnrad bezahlen, obwohl das Fahrrad, das ich neulich ausgeliehen habe, total kaputt war und sich nicht mehr absperren ließ. Ich rufe in Halle an der Saale an, bei Call-a-bike. Großes Entschuldigen, gerne schreiben wir Ihnen fünf Euro gut, wünschen Sie eine schriftliche Bestätigung? Nein, bloß kein Aufstand. "Das ist ja mal sympathisch", sagt die nette Sächsin. Was ist los? Ich werde noch vom Schlüsselvergesser zum Bahnversteher. Versteher, nicht Vorsteher.

Mittwoch

Ich reise nach Berlin, zu einem Interview. Vor lauter Panik, wieder etwas zu vergessen, packe ich Laptop und Handtasche und Schlüsselbünde in meinen gelben Rollkoffer zu den Klamotten. Lieber sehe ich und der Koffer aus wie eine russische Matrjoschka-Puppe, als dass mir wieder so ein Mist passiert. Die Bahn führt heute eine Kundenbefragung durch, ich verteile durchgehend Einsen. Langsam gehöre ich der Gruppe Streber, Sammler und Sauberkeitsfanatiker an. Habe ich die falschen Tabletten genommen? War in dem Eis was drin, das der mobile Verkäufer zwischen Hildesheim und Wolfsburg anbot? Eisverkäufer bei fünf Grad im Mai zwischen Hildesheim und Wolfburg, das ist traurig, vor allem wenn man wie dieser indische Eisverkäufer sichtlich aus einem warmen Land kommt. Ich würde ihm auch gerne eine Eins geben, aber leider fragt mich niemand nach meiner Zufriedenheit mit dem Eisverkäufer.

Donnerstag

Schulnoten sind sowieso ganz alte Pädagogik, lerne ich heute. Ich moderiere mit einem Kollegen zusammen eine Begegnung zum Thema Bildung, und an dieser Evangelischen Schule gibt es bis zur Klasse neun keine Noten. Trotzdem wird jeden Tag die Herausforderung – so heißt hier sogar ein Schulfach – ein bisschen gesteigert. So mache ich das jetzt auch mit mir und der Bahn. Die Herausforderung heute heißt: Ich will morgens die Begegnung moderieren, mittags eine Ausstellung in Berlin besuchen, auf der Rückfahrt im ICE den Mitschnitt abtippen, abends um 19 Uhr bei meinem Total-Body-Conditioning in der Turngemeinde Frankfurt-Bornheim sein. Siehe da, es klappt. 10 Minuten Verspätung, das geht klar bei so einer langen Bahnstrecke. Pünktlich um sieben schwitze ich auf der Matte.

Freitag

Die Herausforderung heute wird sein, mit all den vielen Taschen, Laptops und Tüten im Pfingstverkehr zurück nach Köln zu kommen. Auf keinen Fall darf ich heute meine Tasche im Zug liegen lassen, denn ich habe nicht etwa die mit der plakativen Aufschrift "Heimathafen Hamburg" dabei. Nein, diese Woche steht auf meiner Tasche ein kompliziertes Zitat von Sigmund Freud: "Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, ist: Was will eine Frau." Diese Tasche darf ich nicht liegen lassen, sonst muss ich dem Callcenter der Bahn diesen ganzen Spruch diktieren. Und wenn sie die Tasche dann freiwillig für mich suchen – das wäre ein echtes Pfingstwunder. Schöne Pfingsten!


Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de.

Neu im Buchhandel: Ursula Ott: "JA TOLL - Geschichten, die immer nur mir passieren", erhältlich im chrismon-shop!

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