Schaurige Nachspiele

Schaurige Nachspiele
... und mögliche Nachbesserungen: Ein guter Tag für die Pressefreiheit war zugleich einer der schwärzesten. Könnte ein Zusatz zu "Overblocking" dem heftig kritisierten NetzDG helfen? Und was bei Themen, um die es hier ging, sonst noch geschah.

Zu den verlässlichen Medien-Phänomenen gehört, dass viel Aufregung, berechtigte wie weniger berechtigte, wellenförmig verläuft. Wenn etwas gründlich recherchiert oder richtiggestellt wurde, ist es schon älter und wird oft weiter unten oder hinten platziert sowie seltener geteilt. Aufregung zu schüren, zählt natürlich nicht zu den Zielen dieser Medienkolumne. Aber wie das, um das es hier ging, sich entwickelt hat, verdient dennoch Beachtung. Schließlich laufen viele dynamische Prozesse im Medien-Bereich, die oft mit dem Zusammenwachsen im Internet zu tun haben. Daher gibt's heute hier einen Rückblick auf ein paar frühere Themen.

Dass Deniz Yücel gleich am Tag, nach dem die vorige Kolumne erschien, freigelassen wurde, hat vermutlich jeder Leser mitbekommen. Das ging noch schneller als es dem Anschein einer unabhängigen türkische Justiz gut getan hätte, ist aber umso besser für Yücel.

Allerdings war der Tag der "besten Nachricht, wo gibt", wie nicht nur die "taz" titelte, sondern auch Bundesjustizminister Heiko Maas "in Anspielung auf ein oft verwendetes Stilmittel von Yücel" (zeit.de) twitterte, zugleich "der schwärzeste Tag der Pressefreiheit", wie die Reporter ohne Grenzen, zumindest in Österreich, sagten. Kurz nach der Freilassung des "Welt"-Journalisten wurden in Istanbul die 74-jährige Journalistin Nasli Ilicak und die 65- bzw. 67-jährigen Journalisten Mehmet und Ahmet Altan zu "verschärfter, lebenslanger Haft" verurteilt: Das bedeutet "Isolationszelle, maximal eine Stunde Ausgang im Gefängnishof und beschränkte Besuche seitens naher Verwandte".

Solche Nachrichten trotz des Gefallens, den das türkische Regime der deutschen Öffentlichkeit nun tat, prominent zu verbreiten, bleibt wichtig. Wobei auch gar nicht die ganze deutsche Öffentlichkeit erfreut ist. Ein groteskes Nachspiel der Yücel-Freilassung wird am heutigen Donnerstag im Bundestag stattfinden: Die AfD hat eine Debatte über "Äußerungen von Deniz Yücel" beantragt (PDF) – und belegt damit "ihr gestörtes Verhältnis zur Presse- und Meinungsfreiheit", wie der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft DJV, Frank Überall, zurecht meint. Und dass sie "nicht zwischen journalistischen Stilformen unterscheiden" kann (oder es zumindest für opportun hält, das fallweise nicht zu tun).

Ein noch schaurigeres Schauspiel dürfte sich ab 28. Juni im zentralen Istanbuler Justizgebäude abspielen: Dann plant das 32. Strafgericht den Prozess gegen Yücel, gegen den am Tag seiner Freilassung ja trotzdem Anklage erhoben wurde, zu eröffnen. Dabei droht ihm, dank seiner Abwesenheit nur theoretisch, ein leichtere Strafe als Nasli Ilicak und den Brüdern Altan: 18 Jahre Gefängnis.

Im Zweifel mehr löschen ist bequemer

Was macht Heiko Maas sonst so, außer lustig zu twittern? Als Spitzenpolitiker der SPD erwartet er gewiss gespannt das Abstimmungsergebnis über den Koalitionsvertrag, das auch entscheiden wird, ob er Minister bleibt – womit noch nicht entschieden wäre, ob er das Justizressort behält. Als Gabriel-Nachfolger im Außenministerium wird er auch manchmal genannt. Was zurzeit wohl niemand tut: das maßgeblich von Maas durchgesetzte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (vgl. die Medienkolumne "So übel ist das NetzDG nicht...") zu evaluieren.

Die in den betroffenen Netzwerken aufgebrandete Welle der Kritik, die Anfang des Jahres zu beobachten war, als das NetzDG gerade vollständig in Kraft trat, ist abgeebbt. Was dafür spricht, dass die Netzwerke selbst die Kritik ein wenig gesteuert haben; algorithmisch Trends zu setzen, verstehen sie schließlich. Kritik am Gesetz wird weiterhin freilich geäußert, pointiert etwa kürzlich vom Juraprofessor Mathias Hong im netzpolitik.org-Interview,

"dass das NetzDG Sanktionen nur für das Zuwenig-Löschen (underblocking) vorsieht, nicht aber für das Zuviel-Löschen (overblocking). Die Betreiber der sozialen Medien müssen daher nur dann mit Sanktionen rechnen, wenn das Beschwerdeverfahren, das sie vorhalten müssen, nicht gewährleistet, dass rechtswidrige Inhalte gelöscht werden. Wenn das Beschwerdeverfahren dazu führt, dass dabei auch rechtmäßige Inhalte gelöscht werden, führt das dagegen zu keinerlei rechtlichen Nachteilen. Diese Einseitigkeit bedeutet einen schwerwiegenden Verstoß gegen die grundrechtliche Vermutung für die Freiheit der Rede."

Könnte also durch einen Zusatz, der auch bequemes, aber grundgesetzwidriges  Zuviel-Löschen mit Strafen belegt, das Gesetz nachgebessert werden? Jedenfalls bleibt eine Evaluation unbedingt notwendig. Wieviel Energie eine neue Bundesregierung, wenn sie denn endlich antritt, dafür aufbringen wird, bleibt abzuwarten.

Die betroffenen Netzwerke oder das eine, besonders betroffene, scheinen indes zufrieden und stocken das Personal fürs Löschen auf. Facebook will alleine in seinem Berliner Arvato-"Löschzentrum" "die Mitarbeiterzahl mittelfristig von aktuell 700 auf mehr als 1.000" steigern, meldete der Fachdienst new-business.de. (Dass die Arvato-Mutter Bertelsmann separat ankündigte, für diesen "Customer Relationship Management" genannten Geschäftsbereich einen "kompletten oder auch teilweisen Verkauf" zu prüfen, mag mit der Erkenntnis zusammenhängen, dass es für einen Medienkonzern das Gegenteil von prestigeträchtig ist, im Internet vor allem mit solchen Lösch-Dienstleistungen assoziiert zu werden).

Noch mehr Ringen um diffuse Wörter

"Presseähnlich" wurde zwar als Unwort des Jahres nominiert (siehe die Kolumne "Rund herum gefunkt wird viel"), kam aber nicht aufs Treppchen. Das Rennen gemacht hat "alternative Fakten", was zur Frage führen könnte, wie sinnvoll diese Unwort-Suche ist, wenn immer Wörter gekürt werden, deren Bedeutung allen, die sie verwenden oder eben nicht, ohnehin klar ist.

Wirklich schlecht: Die Klärung dieses und weiterer diffuser Begriffen haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer schon wieder verschoben.

"Das Verbot der Presseähnlichkeit bleibt demnach also bestehen, offen ist nach Welt-Informationen noch, ob es heißen soll: 'Telemedienangebote sind presseähnlich, wenn sie im Schwerpunkt Text enthalten.' Oder ob sich das Verbot auf den Schwerpunkt 'Text und Bild' beziehen soll. ... Es liegen unterschiedliche Entwürfe vor, man ringe um jedes Wort, heißt es aus Verhandlungskreisen",

berichtete die "Welt" Ende Januar. Dabei hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer diese leidige, aber fürs Verhältnis zwischen Presse und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wichtige Sache Ende Januar eigentlich schon deshalb endlich klären wollen, weil noch wichtigere medienpolitische Entscheidungen bevorstehen.

Die grundsätzliche Crux der deutsche Medienpolitik, dass sich alle Bundesländer einigen müssen, scheint immer noch größer zu werden. Beziehungsweise: Je bunter die Koalitionen in den Landtagen werden, desto kleiner die gemeinsamen Nenner. Und desto unwahrscheinlicher, dass ein sinnvollerer Ansatz für die Medien- oder wenigstens die Rundfunkpolitik  gefunden wird. Machtpositionen räumen wollen Politiker, die mit immer bunteren Koalitionen regieren müssen, natürlich auch nicht.

Verdrängungsgefahr auf dem Zenit

Die Frage "Das Fernsehen auf dem Zenit?" habe ich sozusagen mit: Ja, aber beantwortet. Aufschlussreich ist dazu ein gerade entbrannter Streit unter führenden Vertretern der deutschen Film- und Fernseh-Produzenten. Der Vorsitzende des Lobbyverbands "Produzentenallianz" sagte am Rande der Berlinale: "Die Streaming-Anbieter werden die deutschen Privatsender verdrängen ..." Und: Sie "haben sich von nennenswerten Investitionen in Programmqualität zurückgezogen und geben sich zufrieden damit, die Stoffe zu bekommen, die woanders nichts geworden sind".

Woraufhin Nico Hofmann als Chef der (inzwischen ins 101. Jahr gegangenen) Film- und vor allem Fernseh-Produktionsfirma Ufa das "arrogant" und "verleumderisch"  nannte. Verwunderlich sind diese ungewöhnlich scharfen Äußerungen, weil gerade Film- und Fernseh-Produzenten öffentlich einen positiven Sound pflegen, ihre Produktionen loben und sich freuen, wenn viele Auftraggeber um ihre Ideen konkurrieren.

Dass auch während so viele deutsche Fernsehserien produziert werden wie noch niemals, Verdrängungsprozesse stattfinden, und dass das, was die Presseverlage im Internet (auch aus eigener Schuld natürlich) erlebten, auch den Fernsehsendern, die ohne Rundfunkbeitrag auskommen müssen, bevorstehen kann, scheint vielen bewusst zu sein.

Immerhin, wer Fernsehpreise im Fernsehen sehen möchte, wie es beim Deutschen Fernsehpreis 2018 überhaupt nicht möglich war, hat heute abend Gelegenheit dazu: Das ZDF überträgt die Vergabe der "Goldenen Kamera". In der Serien-Kategorie  ist mit der ARD-Miniserie "Das Verschwinden", der Netflix-Produktion "Dark" und der auf ZDF-Neo zweitverwerteten TNT-Produktion "4 Blocks" sogar genau das spannende Spektrum nominiert. Bloß Geduld erfordert die Sache. Die Sendung dauert, mindestens, zweieinhalb Stunden.
 

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