Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,
Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA mit einer überzeugenden Mehrheit der Wahlmänner gewonnen, wenn auch nicht mit der Mehrheit der Wählerstimmen. Das kann in der amerikanischen Demokratie nun mal passieren.
Während sich die eine Hälfte der US-Wähler nun freut, fragt sich die andere Hälfte: Wer ist schuld? Eine laute Antwort ist: "the media", die Medien, und Facebook sowieso. Dazu gab es in den knapp zwei Wochen seit der Wahl eine Vielzahl an klugen Texten - eine Übersicht über die Debatte hat Juliane Wiedemeier im Altpapier hier und im Altpapier hier auch gespiegelt. Und es lohnt sich, mehr zum Thema zu lesen, weil die Rolle "der Medien" aus verschiedenen Blickwinkeln durchaus unterschiedlich wahrgenommen wird. Ich empfehle den Überblick bei Spiegel Online, dazu Johannes Kuhn in der SZ und den Blick auf Facebook als wichtige Fundraising-Quelle für Trump bei Wired (englisch).
Den wichtigsten Gedanken dazu habe ich aber bei John Hermann in der New York Times gelesen, der es wert ist, hier noch einmal betont zu werden: "Online, Everything Is Alternative Media". Online sind alle Medien "alternativ". Nun ist das Adjektiv "alternativ" hierzulande eher politisch links besetzt, manchmal auch eher öko, wie bei alternativen Energien. Im Nachgang der Trump-Wahl ist in den USA aber ganz viel Aufmerksamkeit auf die so genannte "alt right" gelegt worden, die alternative Rechte und ihre Medien. Das Online-Angebot Breitbart.com wird in diesen Tagen exemplarisch dafür zitiert, weil dessen Chef Steve Bannon den neu gewählten Präsidenten massiv unterstützt hat und der ihn inzwischen zu seinem Chefstrategen ernannt hat. Ungeachtet dessen, dass er einer der prominentesten Vertreter der Neuen Rechten in den USA ist und seine Plattform im März 2016 ein deutliches Manifest für diese "alt right"-Bewegung veröffentlichte.
"Alternativ" steht auf allen Seiten der politischen Meinung grundsätzlich für eine "Alternative zu den Mainstream-Medien". Hermann argumentiert nun, dass im Internet, gerade auf Social Media, eigentlich jeder Medientitel so handeln müsste, als sei er "alternativ". Denn das positive Grundvertrauen gegenüber Medienplattformen, eine gemeinsame Grundlage von Vertrauen auf die Standards und Ziele der Redaktionen, gibt es da nicht mehr. Verschiedene Plattformen arbeiten mit ganz unterschiedlichen Prämissen, unterschiedlichen journalistischen Standards, unterschiedlichen Finanzierungen und Zielsetzungen. Sie haben im Wahlkampf auch sehr unterschiedlich über Trump berichtet.
"Mainstream"-Medien zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine große Masse, bestenfalls eine Mehrheit, der Leser und Nutzer erreichen, und dass sie auf bestimmte journalistische Standards achten. Eine solche Mitte des Medienmarktes geht online aber verloren. Wissen Sie, was laut IVW das meistgelesene Online-Informationsangebot in Deutschland ist? Ganz oben stand im Oktober 2016 bild.de, direkt dahinter: das T-Online Contentangebot. Sie werden aber keinen Medienjournalisten finden, der regelmäßig das Content-Angebot von T-Online untersucht. Für die Bild gibt es ja das bekannte Bildblog. Ich will gar nicht darauf hinaus, dass es jetzt auch ein T-Online-Contentangebots-Blog geben sollte. (Wäre das spannend?)
Aber online konkurrieren die klassischen Medienmarken eben nicht nur unter sich, sondern bilden ihre eigene Nische - und die ist nicht notwendigerweise größer als andere Nischen. Das ist es, worauf Hermann hinaus wollte. Denn die Nutzerin hat die Wahl. Wer sich nicht bei den weit verbreiteten oder lokalen Printprodukten informieren will, muss nicht auf das Alternative Bürger-Flugblatt aus dem Nachbarort warten. Er kann statt zu Zeit, Spiegel, SZ, Welt und FAZ auch zur taz und Indymedia gehen, oder zu Tichys Einblick und den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, oder zu Russia Today, zur Blauen Narzisse oder gar zu PI. Und er (oder sie) kann sich dort genauso informiert fühlen. Selbst dann, wenn er nicht weiß, ob die Journalisten/Autoren dort über Tatsachen berichten oder angebliche Tatsachen nur erfinden. Gerade dann, wenn Netzwerke wie Facebook diese Vorlieben auch technisch unterstützen, ohne eine eigene inhaltliche Verantwortung anzuerkennen.
Wie groß die Reichweite von alternativen Medienplattformen wirklich ist, ist mit den klassischen Mitteln (IVW-Zahlen allen vorweg) nicht messbar, weil die Angebote in der Regel dort nicht gelistet sind. Trumps Wahlsieg und die Facebook-Beobachtung danach zeigen aber, dass sie nicht so klein ist, wie manche vorher glaubten. Die Parallele zum Erfolg der AfD bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt liegt nahe. Die AfD ist eine online aktive Partei, ihr Bundesverband hat mit gut 301.000 Facebook-Freunden mehr als die Linke (158.000), Grüne (127.000), CDU (121.000), SPD (118.000) und die FDP (55.000) ("Like"-Zahlen der Facebook-Seiten der Bundesverbände, grob gerundet). Trumps Wahlsieg hat gezeigt, dass man diesen Indikator ernst nehmen muss.
Immerhin kommt Die Partei auch auf 254.000 Facebook-Freunde. Aber die will ja auch keine ernsthafte politische Konkurrenz sein.
Wie die älteren Medienmarken mit der jüngeren, aber eben auch teilweise sehr starken Konkurrenz umgehen wollen und werden, ist noch sehr offen. Aber die aufgeschreckte Diskussion nach der Trump-Wahl über Facebook und die Rolle der Medien illustriert sehr deutlich, dass es "die Medien" einfach nicht mehr gibt. Jede Medienmarke muss für sich genommen beurteilt werden. Sie sprechen nicht nur mit ganz unterschiedlichen Stimmen, sondern haben auch unterschiedliche Herangehensweisen. Sie sind unterschiedlich stark politisch ausgerichtet - manche sehr vielfältig, manche sehr einseitig - und ihr Geschäftsmodell ist variabel: Werbung und AdSense, Spender und Crowdfunding, Genossenschaften und Mäzene. Wer da noch "die Medien" ganz allgemein in eine Schublade stecken möchte, beschreibt die Medienlandschaft so holzschnittartig, dass eine solche Einschätzung nicht richtig sein kann. Und ob Facebook dazugehört oder nicht, ist dann immer noch nicht klar.
Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!
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