Lass' wachsen!

Lass' wachsen!

Es gibt Gärten, in denen jeder Halm und jede Blüte aufeinander abgestimmt sind, das Gras mit der Nagelschere getrimmt, die Beetränder messserscharf gestochen und die Linien und Kurven (wenn denn solche vorhanden sind) mit Zirkel und Lineal ausgemessen und geometrisch angelegt wurden. Die Renaissance- und Barock-Gärten von Schlössern wie Versailles. Und auch so mancher Schlossherr in Mietwohnungen  und Eigenheimen mag es gern sauber und ordentlich.

Ich gehöre nicht zu dieser Spezies. Schon aus rein pragmatischen Überlegungen. Denn Pflanzen haben nun mal die Angewohnheit, so zu wachsen, wie es ihnen passt. Und wo es ihnen passt. Statt darüber graue Haare zu bekommen, versuche ich, mir diesen Umstand zunutze zu machen und Pflanzen, die sich selbst ausgesät haben (bzw. vom Wind oder den Vögeln ins Beet oder den Balkonkasten gebracht wurden), zu lassen, wo sie sind. Das spart zum einen eine Menge Geld und Arbeit und zum anderen kann man davon ausgehen, dass die Pflanze an ihrem selbstgewählten Standort gut gedeihen wird, sonst würde sie dort nicht wachsen.

Bei der Bepflanzung unseres Gartens habe ich deshalb die vorhandenen, sprießenden Mohnblumen, Akeleien, Digitalis, Sonnenblumen, Kamillebüsche und Vergissmeinnichte in das Design mit einbezogen. Natürlich ist aber auch der Ansatz "Lass' wachsen!" nicht ganz so einfach und unproblematisch, wie er scheint. Denn auch in einem naturnahen Garten gibt es erwünschte und weniger erwünschte Pflanzen. Und um die einen von den anderen unterscheiden zu können, bedarf es viel Wissens und großer Erfahrung. Beides ist bei mir aber nur in Ansätzen vorhanden. Weswegen ich auf die dritte Methode zurückgreifen muss: Abwarten und Tee trinken. Zumindest so lange, bis die Gewächse größer und damit für mich identifizierbar werden.

Leider ist es auf diese Weise auch der Ackerwinde und dem Springkraut gelungen, sich zu kräftigen Pflanzen zu entwickeln. Erstere versucht nun, dem Schmetterlingsflieder, dem Rhododendron und der Kletterhortensie den Garaus zu machen. Das kann ich natürlich nicht zulassen - der Würger muss weg. Das Springkraut entferne ich, weil es sich nicht nur im Garten, sondern überall in der Natur breit macht und anderen Pflanzen den Lebensraum nimmt.

Die Vogelmiere dagegen toleriere ich fürs Erste. Sie beschränkt sich momentan auf den hinteren Teil des Gartens und schützt dort mit ihrem Teppich den Boden vor dem Austrocknen. Die Vögel mögen sie, und ich habe gelesen, dass die vitamin- und mineralienhaltigen Blätter sehr schmackhaft sein sollen. Eine schöne Überraschung.

Wer nicht alles geplant haben möchte, damit leben kann, dass Unvorhergesehenes passiert und die Nerven und die Geduld hat, erst einmal abzuwarten und zu schauen, was denn da so wächst, wird sicher seinen Garten bereichern. Ganz umsonst.

Gute Selbstaussäer sind Mohn, Akelei, Digitalis, Vergissmeinnicht, Jakobsleitern, Frauenmantel, Elfenbeindistel (überhaupt Disteln, auch die mehr dekorativen), Storchschnabel, Eisenkraut, die meisten Gräser.


Mohn und Digitalis nehmen auch ein Umsetzen nicht weiter übel, wenn sie gar zu sehr im Weg sind, kann man sie also an einen anderen Platz setzen.


Wenn kein weiteres Ausbreiten gewünscht ist, sollte man die Blüten gleich nach der Blüte, also bevor die Samen reifen, abschneiden. Vergissmeinnicht nach der Blüte ganz herausziehen.

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