Multiflori, oder was?

Multiflori, oder was?

Wenn ich verreise - was aus beruflichen und privaten Gründen recht häufig vorkommt - führt mich am Ziel mein erster Weg oft in den örtlichen botanischen Garten. Meist sind dies Oasen der Ruhe, hervorragend geeignet, um sich nach einem langen Flug zu entspannen, um sich zu akklimatisieren und zu orientieren. Außerdem gibt es immer neue Pflanzen zu entdecken, und manchmal werden deren Samen oder Ableger im zugehörigen Shop verkauft. Als überzeugte Anhängerin eines multikulturellen Miteinanders habe ich schon so manches exotische Gewächs mit nach Hause genommen, das ich dann auf meinem Balkon bzw. im Garten aufzupäppeln versucht habe. Meist jedoch vergeblich außer den ausgefallenen Tulpenzwiebeln aus Amsterdam  hat sich kaum etwas auf Dauer gehalten. Weder die Kängurupfote aus Australien noch die Orchidee aus Bali, und auch nicht die Baumtomate aus Ecuador.

Zum Glück, muss ich wohl aus heutiger Sicht sagen. Denn unter anderem wegen solchen gedankenlosen Reisenden wie mir sind einige Spezies der einheimischen Flora und Fauna heute vom Aussterben bedroht. Denn manche - absichtlich oder unabsichtlich - vom Menschen eingeführten Pflanzenarten, Neophyten genannt, breiten sich in hiesigen Breitengraden so schnell und massenhaft aus, dass einheimische Gewächse des Lichts, der Nahrung und / oder des Lebensraums beraubt werden. Darunter leidet dann nicht nur die Pflanzenart selbst, sondern auch die Insekten, die auf bestimmten Nektar angewiesen sind, oder auch Vögel oder kleine Säugetiere, denen das Habitat abhanden kommt.

Jeder hat ja schon einmal von den flugunfähigen Vögeln Neuseelands gehört, denen von mitgebrachten Katzen und Hunden der Garaus gemacht wurde, weil die Evolution sie nicht auf diese Fressfeinde vorbereitet hat. Oder von der einmaligen Tier- und Pflanzenwelt der Galapagosinseln, die durch eingeschleppte Ratten, Feuerameisen und Brombeerbüsche bedroht sind. Im kleinen Stil spielt sich Ähnliches auch auf der britischen Insel (und in Kontinentaleuropa) ab. Die Sorge gilt hier unter anderem den bluebells, die momentan wieder die Böden der heimischen Wälder mit einem violet-blauen Teppich bedecken. Sie werden zunehmend von größeren, eingewanderten spanischen Hasenglöckchen überwuchert. Ein Thema, das die Engländer, die ein sehr emotionales, geradezu zärtliches Verhältnis zu ihren bluebells pflegen, sehr schmerzt.

Doch selbst wenn man sich bemüht, ist es manchmal gar nicht so einfach, Einheimische und Zugereiste voneinander zu unterscheiden. Nicht, weil sie - wie im Falle der bluebells - äußerlich kaum voneinander zu unterscheiden wären, sondern weil sie schon so lange da sind oder so weit verbreitet sind, dass man ihre Anwesenheit für selbstverständlich hält. Laut Definition sind einheimische Arten diejenigen, die sich seit der letzten Eiszeit, also seit ca. 11.000 Jahren, ohne Zutun des Menschen in einem Gebiet angesiedelt haben. Als Zuwanderer (Neophyten) gelten die, die nach der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 in ein anderes Gebiet gebracht wurden - entweder gezielt als Zier- oder Nutzpflanze oder als ungewollte Beiladung einer Fracht, z.B. in Form von Samen. Und invasive Arten werden die genannt, die Ärger machen, sich übermäßig verbreiten und ökonomischen, ökologischen oder gesundheitlichen Schaden anrichten.

Doch wer weiß schon, welche seiner Gartenpflanzen wann und wie den Weg nach Mitteleuropa angetreten haben? Denn nicht nur, dass viele von ihnen schon seit langem da sind - in einigen Fällen sind sie wegen ihres Nektarreichtums auch durchaus beliebt bei nützlichen Insekten. Der Schmetterlingsflieder zum Beispiel ist ein Magnet für Schmetterlinge - leider hat er sich selbstständig gemacht und verbreitet sich nun so unkontrolliert, dass er in der Schweiz auf der Schwarzen Liste steht und bekämpft wird. Oder das Drüsige Springkraut: Bienen lieben es (und damit auch die Imker), doch es breitet sich derart an Wasserläufen aus, dass die sensible Ufervegetation und der Lebensraum für dort angesiedelte Tiere zerstört wird. In Schottland gilt der Rhododendron als Problem. Er besiedelt weitläufig das Unterholz, was zwar das Auge des Betrachters erfreut, die kleineren, nach Licht dürstenden anderen Gewächse aber weniger. Recyclinghöfe in England, die Gartenabfälle annehmen, mahnen auf großen Schildern, nie, unter keinen Unständen, jemals Teile eines Japansichen Staudenknöterichs hier zu entsorgen, damit der produzierte Kompost nicht mit dessen Samen kontaminiert und so weiter verbreitet wird. Weitere Kandidaten sind unter anderem Robinien, die in Deutschland so gut wie alle Bahntrassen begrünen, Cotoneasterbüsche, Goldruten, Kirschlorbeer, Essigbäume und der Riesen-Bärenklau. Auch so manche Wasserpflanze ist aus ihrem ursprünglichen Gartenteich entwischt und breitet sich nun unbotmäßig aus.

Ich gestehe: Auch in unserem Garten finden sich einige dieser Gewächse. Zum Teil waren sie schon da (Rhododendron), zum Teil habe ich sie eingepflanzt (Schmetterlingsflieder). Auch für die Zukunft kann ich nicht versprechen, dass ich mich ausschließlich an einheimische Pflanzenarten halten werde, zu groß ist die Verlockung der Farben- und Blütenpracht der Neophyten. Aber ich werde versuchen, der Ausbreitung der invasiven Arten keinen weiteren Vorschub zu leisten.

Und damit verabschiede ich mich nun für ein paar Tage in den Urlaub - ich verspreche auch hoch und heilig, diesmal keine Pflanzen(samen) mitzubringen.
 

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