Empört euch nicht!

Empört euch nicht!
Wie könnte „eine zeitgemäße Form von Gegenöffentlichkeit“ aussehen? Wer ist eigentlich "die Lieblingsfeuilletonistin der AfD"? Bleibt im neuen Dominik-Graf-Film „vieles rätselhaft (und nicht nur auf die gute Art)“? Außerdem aus gegebenem Anlass: ein Blick in ein Nachbarland, in dem die Meinung, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet ausdehnen sollen, weiter verbreitet ist als hier zu Lande; die Ursprünge des medialen Bildes von Afrika als hoffnungsloser „Katastrophen-Kontinent“.

Dass Journalisten etwas machen, weil andere bzw. vermeintlich „alle“ es machen, ist ein Grundproblem in unserem Metier - und das war es teilweise auch in analog geprägten Zeiten schon. Anne Fromm hat in der taz vor rund drei Wochen ein aktuelles Teilphänomen dieses Schwarmverhaltens beschrieben, nämlich das Geschnatter über „viral“ gehender Videos (siehe Altpapier), an dem sich sogar ehrenwerte Medienjournalismus-Haudegen beteiigen.

Ebenfalls in der taz greift Klaus Raab nun eine andere Form des Schwarmverhaltens auf, nämlich den Liveticker-Journalismus nach Gewaltakten:

„Heute müssen sich Online-Nachrichtenredakteur*innen rechtfertigen, wenn sie nicht schnellstmöglich, aber dafür möglichst dauerhaft live drauf sind, sobald irgendwo auf der Welt live etwas Aufreibendes geschieht, und Pushmeldungen verschicken wie nichts Gutes. Es ist, als hätte man ein Formel-1-Rennen zu gewinnen (…) Befriedigt wird damit ein Bedürfnis, das medial erst geschaffen wurde: die Welt wie einen Krimi zu verfolgen. Der wesentliche Impuls dabei ist: Man macht das, weil es alle machen. Und weil es geht. Und weil man der Konkurrenz dieses Marktsegment nicht einfach überlassen wird. Aber nicht unbedingt, weil es auch publizistisch sinnvoll ist.“

Raab ordnet diese Form der Echzeitberichterstattung auch gleich medienökonomisch ein:

„Die Echtzeitticker nach Gewalttaten sind (…) eine Versinnbildlichung der Branchenmechanismen. Es geht in vielen Redaktionen um mehr Output bei höherem Tempo. Der Zeitdruck, unter dem heute journalistische Texte angefertigt werden, ist größer als je zuvor. Zugleich gibt es ein Primat der Ökonomie, das man sogar im Unterhaltungsbereich des Privatfernsehens sieht: Shows, die in der Produktion wenig kosten, dauern heute vier, fünf Stunden, obwohl sie nur Spannung für eine halbe Stunde bieten.“

Was tun? Raab meint:

„Ein (…) Schritt wäre das Ende substanzloser Aufreger, nach deren Konsum man sich als User*in fühlt, als hätte man in einer Matschpfütze gebadet. Aufreger wie zum Beispiel hingeplapperte Politikerzitate, die zum Skandal aufgeblasen werden. Wie übertrumpfen wir die Empörung, von der die Konkurrenz profitiert? Das ist einfach nicht die richtige Frage (…) Empörung ist im 21. Jahrhundert nicht per se eine politische Tat – sondern in vielen Fällen nur ein übereilter Reflex. Da nicht mitzumachen, wäre eine zeitgemäße Form von Gegenöffentlichkeit.“

[+++] Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums von Arte hat Brigitte Baetz für „@mediasres" mit dem stellvertretenden Programmleiter Bernd Mütter gesprochen, und dabei ging’s unter anderem um Medienpolitisches:

„Wir (haben) als deutsch-französischer Kulturkanal wirklich eine besondere Situation, weil gerade von französischer Seite die öffentlichen Medien sehr stark ermuntert werden, im Netz präsent zu sein. Während wir in Deutschland ja eher eine Diskussion in der Perspektive haben, die Öffentlich-Rechtlichen sollen sich nicht zu stark ausdehnen, haben wir in Frankreich sehr stark die Erkenntnis, dass am Ende es die globalen Player sind: Google, Amazon, Apple, Facebook, die den Kulturmarkt bestimmen werden, wenn es nicht starke europäische Player gibt, die ein attraktives Angebot machen, was bei den Nutzern auch geschätzt wird.“

Wobei der Eindruck, dass hier zu Lande die Meinung überwiegt, dass „die Öffentlich-Rechtlichen sich nicht zu stark ausdehnen“ sollten im Netz, mit der Lautstärke und Hartnäckigkeit zu tun hat, mit der die Fraktion, die eben dieses vertritt, zu Werke geht.

Holger Kreitling schreibt in einem Geburtstagsartikel für Die Welt:

„Wer Arte schaut, hat das bessere Gewissen und kann davon auf jeder Party berichten. Das neue Leitmotiv geht so: ‚Man schaut ja im Grunde gar kein Fernsehen mehr, alles so niveaulos, man streamt nur noch Serien, aber wenn, dann doch Arte.‘ Tatsächlich ist es bei mir genauso. Die Streaming-Dienste haben sich im geschmackvollen Design an Arte orientiert, und sie imitieren die Distinktionsgüte.“

Letzeres ist mal ein erfrischender Gedanke. Der Text hat aber auch schwächere Passagen, darunter diese launige:

„Mit jedem Themenabend über coole Regisseure, die den meisten Zuschauern gar nichts sagen, samt zugehöriger Dokumentation, ruft Arte die cinephile Gemeinde zusammen, und gemeinsam entzünden Sender und Zuschauer zwei, drei Kerzlein der unbedingten Liebe zu den großen Bildern …“

Die Äußerung haut schon allein deshalb nicht hin, weil „Themenabende“ über Regisseure im Programm kaum zu finden sind. Noch mehr Artiges: Pro Quote kritisiert, dass „der Sender, der sich gern als modern und innovativ ausgibt“ in 25 Jahren „keine einzige Programmdirektorin hervorgebracht“ hat. Und auf die gestrige Pressekonferenz, auf der Arte den uns im Juli und August bevorstehenden popkulturellen Schwerpunkt "Summer of Fish 'n' Chips“ vorstellte, geht dwdl.de ein.

Womöglich etwas lernen könnte der Sender, der am Dienstag 25 Jahre alt geworden ist (beziehungsweise: könnten die Redakteure der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die das Programm von Arte bestimmen), von einem Dokumentarfilmer, der am Donnerstag 80 Jahre wird. Von Peter Nestler ist hier die Rede, und wer sich einen ersten Eindruck von seinem Werk verschaffen will, findet in den Weiten von You Tube natürlich Anschauungsmaterial, etwa die Filme „Am Siel“ (1961/62) und „Ödenwaldstetten“ (1972). Stefan Ripplinger führt in der aktuellen konkret (Seite 58, derzeit nicht frei online) folgendermaßen in Nestlers Werk ein:

„Einführung ins Thema - fehlt. Kommentar - fehlt. Stimmungsmusik - fehlt. Verblüffende Bilder, virtuose Montage - fehlen. Selbst ein Direktton fehlt. Peter Nestlers Kurzfilm ‚Aufsätze‘ (1963) erzielt seine Wirkung, indem er nicht auf Wirkung abzielt. Es fehlt ihm demnach überhaupt nichts. Gerade weil er keine Anstalten macht, uns nahezukommen, kommt er uns nahe.“

Dass viele Filme Nestlers „fürs Fernsehen entstanden sind, mutet heute wie ein Wunder an und erinnert daran, dass es früher tapfere Redakteure gab“, meint Ripplinger. Tapfere Redakteure gibt es heute freilich auch noch ein paar, aber die müssen ihre Tapferkeit unter schlechteren Rahmenbedingungen unter Beweis stellen als tendenziell Gleichgesinnte vor einem halben Jahrhundert. Das österreichische Filmmagazin Ray würdigte Nestler bereits vor zehn Jahren anlässlich seines 70. Geburtstages.

[+++] Die nächste große Wahl? Ist auch schon bald. Am 8. Juni wählen die Briten ein neues Parlament. Anlass für Christian Zaschke, den London-Korrespondenten der SZ, auf ein TV-„Fernduell“ zwischen Jeremy Corbyn und Theresa May einzugehen:

„Dass Corbyn und May am Montag bei der gemeinsamen Veranstaltung der Sender Channel 4 und Sky News nacheinander und nicht gemeinsam auftraten, ist der Tatsache geschuldet, dass die Premierministerin die direkte Konfrontation abgelehnt hat. Das wiederum hat zwei Gründe. Zum einen hat der Herausforderer in direkten Duellen in der Regel mehr zu gewinnen, zum anderen mag May solche Duelle nicht, weil sie zu unvorhersehbar sind.

Beide Parteien reklamierten am Dienstag den Sieg im indirekten Duell für sich, doch die meisten Beobachter bewerteten es als Unentschieden, vielleicht mit leichten Vorteilen für Corbyn.“ 

Und der New Statesman bemerkt unter der Überschrift „Theresa May's TV performance showed how her position has weakened“:

„While the dream of a bigger parliamentary majority may still be on, the hope of a strengthened political position is already at the bottom of the gorge. 

[+++] Viel Resonanz findet heute erwartungsgemäß Dominik Grafs vom Fall des Kunstsammlers Cornelius Gurlitt inspirierter Film „Am Abend aller Tage“, den die ARD um 20.15 Uhr zeigt. Gurlitt werde „ein filmisches Denkmal gesetzt, das zugleich ein Mahnmal ist“, meint der Tagesspiegel

„‚Am Abend aller Tage‘– Kunstthriller, Liebesthriller – verhandelt gleich mehrere Topoi: zunächst die Daseinsberechtigung von Kunst in all ihren Formen, ihre Wertigkeit, verbunden mit dem ambivalenten Umgang damit, bis hin zur historischen Schuldhaftigkeit“,

erläutert Thilo Wydra dort. Tilmann P. Gangloff (Stuttgarter Zeitung) bemängelt:

„Schade (…), dass Graf, der nicht zuletzt dank der vielfach ausgezeichneten ARD-Serie ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ den zweifelhaften Ruf genießt, seine Produktionen mitunter finanziell ausufern zu lassen, ausgerechnet bei diesem Film die Zeit ausgeht; am Schluss muss er die Geschichte gar aus dem Off zu Ende erzählen.“

Sonst hat Gangloff aber nichts auszusetzen an dem Film, der „eine Spannung aufbaut, die an Alan Parkers Mystery-Thriller ‚Angel Heart‘ (1987) erinnert“. Von „meisterlich“ ist gar in der FAZ die Rede. Heike Hupertz schwärmt:

„Die tragische Geschichte ist verschwenderisch gefilmt (Kamera Martin Farkas) und hinreißend geschrieben von Markus Busch. Sie wirkt wie der Abschluss einer Trilogie der Glaubens- und Kunstbetrachtung von Dominik Graf, mit „Das Gelübde“ um den Dichter Clemens Brentano und die Mystikerin Anna Katharina Emmerick als Beginn und „Die geliebten Schwestern“ über Friedrich Schiller und Charlotte und Caroline von Lengefeld als Mittelstück (…) Ein elitärer Film? In der unmittelbaren Zugänglichkeit seiner Bilder und Szenen ganz und gar nicht. Doch einer, der Konzentration einfordert und vielleicht sogar Hingabe verlangt.“

David Denk (SZ) geht relativ dagegen relativ hart ins Gericht mit Grafs neuem Werk:

„Vieles bleibt rätselhaft in diesem Film (und nicht nur auf die gute Art). Wer auf psychologische Schlüssigkeit Wert legt und auf einen Spannungsbogen, findet in Graf jedenfalls keinen Verbündeten. Merkwürdig unbeteiligt, mit Sprüngen, Auslassungen und - ja, was ist das? Visionen? - blickt die Kamera (Martin Farkas) auf das Geschehen, fängt Momentaufnahmen ein, viel Licht und Schatten, oft mehr Schatten als Licht, wie in der Malerei. Am Ende brennt ein Bild, und zwei Liebende halten sich in den Armen, so fest umklammert, als könnten sie doch tatsächlich ineinander Halt finden.“

[+++] Wer ist eigentlich die „Lieblingsfeuilletonistin der AfD“? In der aktuellen WoZ verleiht Daniela Janser diesen Titel an Cora Stephan, die vor Jahren ins Nirvana abgedriftet ist und dort seitdem verlässlich vor sich hin wütet. Die NZZ druckt’s gern, und Stephans Texte dienen in dem WoZ-Text als Beleg für einen Rechtsruck bei der „alten Tante“ (womit jetzt natürlich die Zeitung gemeint ist und nicht die Autorin):

„Unter dem sinnfreien Titel ‚Normal sein ist ganz normal‘ (29.?4.) wehrte (…) sich (Stephan) wacker für den weissen Mann, der heute ständig ’s Maul halten’ müsse. Eine abenteuerliche Aussage, die nicht nur in der NZZ tagtäglich widerlegt wird. Weiter verkündete Stephan, eine «Gender-Elite» gebe heute aggressiv den Ton vor. Dabei gehe vergessen, dass Heterosexualität ‚keine blosse Norm‘ sei, ‚sondern schlicht und ergreifend – normal.‘ Damit sagt sie fast exakt dasselbe, was der kreuzkonservative Bischof Vitus Huonder bereits vor dreieinhalb Jahren gepredigt hatte: Die Ideologie des ‚Genderismus‘ nehme totalitäre Züge an und widerspreche der Schöpfungsordnung. Nur war Huonder damals in der NZZ noch nüchtern in den Senkel gestellt worden.“

Heute, so Janser, sei „der Kampf gegen Gender Teil einer breiteren NZZ-Front gegen die Schimäre ‚Political Correctness‘ (…) und gegen Minderheiten aller Art“.

[+++] So plausibel ich Jansers Argumentation finde: Dass in der NZZ keine instruktiven Texte mehr erscheinen, bedeutet das wiederum nicht. Aktuelles Positivbeispiel: ein Beitrag Fabian Urechs, der daran erinnert, dass vor 50 Jahren „Afrika in unseren Köpfen zum ‚Katastrophen-Kontinent‘ wurde“ - und zwar, als „in Nigeria die unabhängige Republik Biafra ausgerufen“ wurde und „im darauffolgenden Sezessionskrieg Hunderttausende starben“. Urech schreibt:

„Biafra war der erste afrikanische Krieg, über den auch westliche Journalisten ausführlich berichteten. Durch eine geschickte PR-Kampagne, die mitunter von Genf aus koordiniert wurde, gelang es den Sezessionisten (…), den Konflikt innert Kürze ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu tragen. Alsbald gingen schockierende Bilder von hohlwangigen Kindern mit aufgeblähten Hungerbäuchen um die Welt. Der nigerianischen Armee wurde Völkermord vorgeworfen, in verschiedenen europäischen Städten kam es zu Protestmärschen und Benefizveranstaltungen, mancherorts entstanden Menschenrechtsbewegungen und Hilfsorganisationen (…). Die schrecklichen Bilder brannten sich rasch ins kollektive Gedächtnis des Westens ein – und sie blieben auch nach dem Ende des Krieges in Biafra haften, ja verallgemeinerten sich. Das ausgemergelte ‚Biafra-Kind‘ stand alsbald nicht mehr nur für den blutigen Sezessionskrieg an Nigerias Küste, sondern wurde zum Inbegriff des Scheitern Afrikas und zum Symbol für Elend und Hunger in der ‚Dritten Welt‘ (…) Dieses pauschale Negativbild, das auf einer gänzlichen Verkennung der Vielfalt und der Grösse Afrikas fusst, ändert sich nur langsam.


Altpapierkorb

+++ Für das 90-minütige Dokumentations-Großprojekt „Dieses bunte Deutschland - Über den Mut nach der Flucht“ haben fünf Autoren ein Jahr lang vier Flüchtlinge und drei dazugehörige Flüchtlingspaten begleitet. Hans-Jörg Rother (Tagesspiegel) hat einen in weiten Teilen „sorgfältig gearbeiteten Film“ gesehen, der aber „am Ende einer Optik verfällt, die Deutschland gar nicht mehr bunt, sondern schwarzweiß aussehen lässt“. Rother moniert, dass man hier „diverse deutsche Stammtische (…) wohl lieber nicht ins Auge fassen wollte“ bzw. die Art, wie die Stammtischmeinungen aufgegriffen werden, unzureichend sei. Ich habe den Film ebenfalls gesehen und teile Rothers Einwände nicht.

+++ Eine weitere Gegenrede zu der Frankfurter Allgemeinen Apokalyptik in Sachen Wissenschaftsurheberrecht (siehe zuletzt Altpapier von Dienstag) formuliert Christian Rath (taz): „Moniert wird von der FAZ vor allem, dass die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) zu einem ‚Zitationsarchiv’ werden soll. Sie soll zu Zitatzwecken unentgeltliche Webinhalte, deren Verfügbarkeit nicht dauerhaft gesichert ist, online zur Verfügung stellen.Die FAZ kritisiert, dadurch werde die DNB zu einem ‚unentgeltlichen steuerfinanzierten Gesamtarchiv aller deutschen Zeitungstexte, die im Internet zugänglich gewesen sind‘. Die FAZ fürchtet wohl, dass die DNB in dieses frei zugängliche Archiv auch alle FAZ-Texte aufnimmt, die nur vier Wochen lang kostenlos auf faz.net stehen, danach aber für 2 Euro pro Text im FAZ-Archiv gekauft werden müssen. Das federführende Justizministerium liest das Gesetz anders. Die DNB-Regelung gelte nur, ‚wenn Inhalte nicht dauerhaft zugänglich sind, wie etwa Blogeinträge‘ Presseerzeugnisse seien aber typischerweise dauerhaft verfügbar, etwa in Archiven der Verlage – auch wenn der Zugang hierzu kostenpflichtig ist. Die DNB dürfe sie also nicht online stellen, so das Ministerium.“

+++ Der FAZ-Sportredakteur Michael Horeni wundert sich darüber, dass beim „Doppelpass“ bei „Hart aber fair“ zum Thema „Der Fußball und das Geld – Macht der Kommerz den Sport kaputt?“ kein Fußball-Fan eingeladen war. Thomas Hummel (SZ.de) wundert sich darüber ebenfalls. Nicht zuletzt wundert er sich auch darüber, dass „das neulich erschienene Buch ‚Football Leaks‘ der beiden Spiegel-Journalisten Rafael Buschmann und Michael Wulzinger (…) (über) die Verkommenheit und den Goldrausch in diesem unglaublich florierenden und kaum kontrollierten Business (…) offensichtlich nicht bis zu ‚Hart aber fair’ durchgedrungen“ ist.

+++ Peter Geimer bespricht auf der Rezensionsseite des FAZ-Feuilletons Annette Vowinckels Buch „Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert“: „Erfreulicherweise macht die Autorin die routinierte Rede von der sozialen Konstruiertheit sämtlicher Fotografien nicht mit. Der naive Glaube an die Objektivität der Fotografie ist längst dem nicht weniger naiven Glauben an ihre restlose Manipulierbarkeit gewichen. Die unbestreitbare Existenz von Fälschungen, so erinnert Vowinckel zu Recht, ist kein Grund, der Fotografie ihr dokumentarisches Potential prinzipiell abzusprechen – ‚ebenso wenig wie Fälle von Steuerhinterziehung die Idee der Steuerfinanzierung in Frage stellen‘. Erhellend ist Vowinckels Schilderung der sehr unterschiedlichen Selbstdarstellungen der Kriegsfotografen.“

+++ Um noch einmal auf die Schweiz zurückzukommen bzw. über den Umweg Schweiz dann doch zu einem sehr, sehr deutschen Druckerzeugnis zu gelangen: Oliver Gehrs schreibt für Übermedien (€) über einen „Integrationsvertrag“, den kürzlich das Boulevardblatt Blick veröffentlicht hat und den alle Migranten unterschreiben sollten. Gehrs meint: „Ok, ist halt Boulevard, könnte man sagen. Allerdings findet sich der bornierte und unredliche Ton dieser Leitkultur-Aktion nun in der Juniausgabe von Cicero wieder, wo der Kolumnist und Schweizer Frank A. Meyer in seinem Loblied auf den ‚Integrationsvertrag‘ gleich mehrfach gegen dessen Paragraphen verstößt. Es beginnt damit, dass er die Aktion des Blick zur journalistische Glanztat verklärt, ohne zu erwähnen, dass er selbst beim Ringier-Verlag angestellt ist, der den Blick herausgibt. Das verstößt zumindest gegen das Gebot der Offenheit und Ehrlichkeit.“

+++ Zum Ausklang was Heiteres: In dieser Woche kommt, rund eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Serie „Baywatch“ der Film zur Serie bzw. ein Remake ins Kino. David Steinitz schreibt in der SZ (€): „Diese neue Version hat einen ganzen Haufen an künstlerischen, nun ja, Herausforderungen zu bewältigen. Erstens gilt es heute allgemein nicht mehr als künstlerische Meisterleistung, wenn der dramaturgische Höhepunkt einer Geschichte darin besteht, dass ein im Strandgewusel verloren gegangenes Kind von einer Rettungsschwimmerin zu seiner Mutter zurückgebracht wird. Zweitens gilt es als verpönt, wenn sowohl die Rettungsschwimmerin wie auch die Mutter und überhaupt alle Frauenrollen mit Schauspielerinnen besetzt werden, die Silikonbrüste von der Größe atomar veränderter Wassermelonen haben.“ David Hugendick (Zeit Online) meint die Frage, ob die Verfilmung „wirklich nötig war, ist möglicherweise weit weniger spannend als die Frage, wie das überhaupt passieren konnte. Wie eine Serie über Rettungsschwimmer zur erfolgreichsten TV-Produktion der neunziger Jahre aufsteigen konnte, und wer das überhaupt geguckt hat. Wie so oft bei dunklen Stunden der Vergangenheit: Hinterher will es ja niemand gewesen sein“. 

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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