"Früher standen wir Journalisten in der dritten Reihe, heute stehen wir ganz vorne ...",
sagte Javier Valdez Ende Februar – und im Kopfkino könnten schon die in solchen Metaphern-Kontexten hierzulande üblichen Medien-/ Journalismus-Werbe-Begriffe wie "in der ersten Reihe" oder "mittendrin statt nur dabei" auftauchen. Aber Valdez' Satz geht so weiter:
"... ganz vorne in der Schusslinie und sind zur Zielscheibe von Militär, Polizei und organisiertem Verbrechen geworden. Wir stehen im Kreuzfeuer von Drogenkartellen und einer repressiven, intoleranten politischen Klasse, die sich dem Narco unterworfen hat. Die Regierung kriminalisiert investigativen Journalismus, weil sie auf Seiten der Mafia steht. Der Preis, den wir in Mexiko für einen würdigen Journalismus bezahlen, ist hoch."
Das Interview ist jetzt erschienen, in der FAS und frei online, weil Valdez vor einer Woche ermordet wurde. Schon des würdigen Journalismus wegen verdient es gelesen zu werden. Und weil es zeigt, welche Abgründe in der globalisierten Welt klaffen. Die "Narcos", von denen Valdez sehr oft sprach ("Der Narco sitzt in den Redaktionen mit am Tisch ...") sind hierzulande ja wenn, dann als spektakulärer Hollywood- (und damit längst eher als wohlwollend besprochener Netflix- denn als Kino-)Stoff bekannt. Sowie aus den bunten Panorama-Ressorts ...
Falls Sie den Interviewer Airen gerade nicht einordnen können: Der ist u.a. aus "Axolotl Roadkill"-Kritik-Zusammenhängen geläufig (Wikipedia).
[+++] Falls Sie sich spätestens nach dem Lesen des ganzen Interviews unwillkürlich fragten, wo Mexiko denn in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit (PDF) steht – die fast immer, wenn es um Journalismus außerhalb der EU und der USA geht, erwähnt wird und beim Einordnen ja auch hilft: auf Platz 147, noch vor der Türkei. Es hatte gegenüber 2016 sogar zwei Plätze gut gemacht.
Wo die Liste der Reporter ohne Grenzen tatsächlich gerade erwähnt wurde: in den Meldungen über die Verhaftung des Deutsche Welle-Korrespondenten Antéditeste Niragira (faz.net, dw.com selbst, ROG). Streng genommen, stimmt nicht exakt, was bei faz.net steht: Die (zur Unterscheidung von der "Republik Kongo", Platz 115) sogenannte Demokratische Republik Kongo steht nicht "auf Platz 160 von 180 Staaten", sondern auf 154, unmittelbar vor der Türkei. Auf 160 steht Burundi, an dessen Grenze Niragira verhaftet wurde, allerdings von Kongolesen. Doch auf solche Feinheiten kommt es in solchen Kontexten natürlich kaum an.
Und falls Sie wissen wollen, was in der bereits so oft erwähnten Türkei in punkto Medienfreiheit geht: das Übliche, nichts. Die wohl nächsten Journalisten-Verhaftungen nach den am Freitag hier erwähnten protollierten Jürgen Gottschlich in der TAZ und Frank Nordhausen in der Frankfurter Rundschau. Betroffen sind führende Mitarbeiter eines "nationalistischen Boulevardblatts", dessen Artikel "oft grenzwertig" seien. Das steht nur in TAZ, die überdies erwähnt, dass der ebenfalls von Verhaftung bedrohte, aber in Frankreich weilende Sözcü-Besitzer Burak Akbay einst die Frankfurter Rundschau kaufen wollte (vgl. EPD-Meldung 2013). Mit so etwas stehen die Verhaftungen natürlich nicht in Zusammenhang, sondern wie gewohnt mit angeblicher Unterstützung der angeblichen Putschisten.
[+++] Vor solchen Hintergründen muss, was in Deutschland aktuell ist, nichtig und klein erscheinen. Ist es aber doch nicht, schon weil ja vieles klein angefangen hat.
Was am Freitag noch geschah, nachdem das NetzDG die Bundestags-Debattenbühne betrat (Altpapier), berichten etwa netzpolitik.org und die FAZ. Ja, diese beiden Medien sind sogar d'accord in der Ansicht, dass Bundesjustizminister Heiko Maas' Gesetz "alles andere als in trockenen Tüchern" (Markus Reuter in ersterem) ist. Sie sind's natürlich aus völlig unterschiedlichen Perspektiven.
"Vielen Konservativen dämmert zudem, dass von einem übermäßigen Löscheifer auf Facebook sie stärker betroffen sein könnten als die Linken – denn das Netz tickt links, auch wenn die Rechten besonders laut sind ...",
kommentiert Hendrik Wieduwilt aus dem FAZ-Wirtschaftsressort. Schwant nicht Sascha Lobo immerzu, dass das Netz rechter tickt als er es gerne hätte? Oder tickt das Netz derzeit für alle, die in keiner wohligen Filterblase stecken, anders als sie's gerne hätten? Wieduwilt verknüpft seinen Kommentar jedenfalls, außer mit vielen Hieben auf "noch viel weitergehende Regulierungsphantasien der SPD", u.a. auch mit einem Seitenhieb aufs Correctiv, die weiterhin einzigen qualifizierten Facebook-Faktenchecker.
[+++] Wobei es ja auch die Löschtrupps der Bertelsmann-Arvato gibt, die zu hunderten im Akkord Facebook-Inhalte löschen, über deren prekäre Arbeitsbedingungen die Süddeutsche im Dezember berichtet hatte (Altpapier). Aktuell legt sueddeutsche.de ein bisschen nach. Simon Hurtz und Hannes Munzinger konnten "48 Dokumente einsehen, die dem britischen Guardian zugespielt wurden und zeigen, auf welcher Grundlage Facebook Inhalte löscht."
Wobei, spektakulär ist nicht, was sie herausfanden:
"Die Dokumente zeigen, dass sich der Konzern bemüht, das Problem in den Griff zu bekommen. Dennoch droht Facebook daran zu scheitern. Das liegt nicht an den Regeln selbst - die sind extrem komplex, aber größtenteils einleuchtend. Es liegt vielmehr an den Arbeitsbedingungen, unter denen Angestellte bei Facebook und Drittfirmen diese Regeln in praktische Entscheidungen umsetzen müssen."
[+++] Aktuelle US-amerikanische Kritik an anderen der vielen Angebote der "kalifornischen Plattformökonomie" fasst Adrian Lobe für die FAZ zusammen. Es geht um Uber und besonders um Google:
"Die 'areas of interest', die Google algorithmisch anhand der Konzentration von Bars und Restaurants auf seinen Karten ausweist, markieren eher Googles Geschäftsinteressen als die der Besucher. Google zeichnet eine eigene Version der urbanen Landschaft. Wer in diesen digitalen Karten nicht verzeichnet ist, existiert faktisch nicht".
Wer dagegen ziemlich oft auf diesen digitalen Karten verzeichnet ist, ist ein geistesverwandter Konzern, der mittelmäßigen Kaffee zu hohen Preisen sowie W-LAN anbietet:
"Wer im Netz seine Präferenz für Starbucks zum Ausdruck gebracht hat, den lotsen Googles Algorithmen auf dem Weg zum Zielort an einer Filiale der Kaffeehauskette vorbei."
Und wer nun denkt, der Underdog unter den sog. soz. Netzwerken, das mutmaßlich unprofitable Twitter, sei grundsätzlich sympathischer, sollte erst mal rasch die neue Datenschutzrichtlinie der Twitter International Company aus 42 Pearse Street, Dublin 2, Ireland überfliegen ...
[+++] Auch aus solchen Gründen wichtig: Netzneutralität (um z.B. openstreetmap.org statt Google Maps zu nutzen).
Dass Konzerne, die Monopole anstreben oder längst besitzen, solch Neutralität nicht mögen, ist auch nicht neu. In ihrem Heimatmarkt sorgt der amtierende Präsident angekündigtermaßen dafür, dass die Neutralität runtergedimmt werden dürfte (netzpolitik.org). Wie es in Deutschland bei dem Thema aussieht, prüft gerade die Bundesnetzagentur (medienkorrespondenz.de).
Da geht es um das im Altpapier bereits erwähnte Angebot namens "Stream On" ("Musik & Videos ohne Datenverbrauch erleben") der Deutschen Telekom, bei dem Kunden mit 44,95- bis 54,95-Euro-Monatstarifen sich bestimmte Angebote von "Amazon Music" über "Sky Go" und "Telekom Basketball" bis zur ZDF-Mediathek ohne Ende streamen lassen können. Die Frage, wie legitim das ist, ist nicht ganz leicht zu beantworten, weil laut diese Option Telekom "allen Audio- und Videostreaming-Anbietern kostenfrei offen" stehe.
MK-Redakteur Volker Nünning erklärt das Thema nicht nur gut, es ist online auch prima illustriert: mit Bandenwerbung beim Bayern-München-Spiel in der ARD-"Sportschau", die am besten zeigt, was die Telekom anstrebt.
[+++] Wenn wir beim Fernseh-Fußball sind: Joachim Huber positioniert sich im Tagesspiegel schon mal zur diese Woche zu erwartenden Bekanntgabe, welche wie zu bezahlenden Bewegtbild-Veranstalter ab 2018 von der teuren Königsklasse berichten dürfen:
"Die Bundesliga, genauer: die Bundesligen sind der Nährboden, trotz der zutiefst kapitalistischen Struktur findet sich hier ein Surplus, ein Nationalsport, eine Attraktion über die Altersgruppen, über die Geschlechter, über die Einkommensklassen hinweg, von Norden nach Süden, von Westen nach Osten. Bundesliga-TV ist Grundversorgung wie die 'Tagesschau'. Champions-League-TV ist das nicht. Hier findet von Saison zu Saison eine Privilegierung bestimmter Klubs und ihrer Fans statt. Champions League im ZDF ist ein individuelles Vergnügen zulasten der beitragszahlenden Allgemeinheit. Der komplette Abgang ins Pay-Segment wäre kein Verlust, er wäre ein Akt der TV-Gerechtigkeit."
Und ein Surplus zu diesem meinungsfrohen Kommentar bietet dann noch der Überblicks-Artikel auf der SZ-Medienseite, in dem Jürgen Schmieder vor allem aus US-amerikanischer Perspektive den Wettbewerb um die "wahnwitzigen Werbebudgets" beschreibt, der den, äh, Sport, sowie dummerweise erst recht die Medien antreibt:
"Knapp 183 Milliarden US-Dollar werden Unternehmen in diesem Jahr weltweit für traditionelle TV-Werbung ausgeben, hinzu kommen Investitionen für Werbefilme vor Videos im Netz. Nicht nur Snapchat, sondern auch Facebook, Apple oder Twitter würden gerne möglichst viel davon auf die eigenen Konten schaufeln. Im Werbeportfolio sozialer Netzwerke sind zwar zahlreiche mittelständische Firmen vermerkt, aber kaum die mit den wahnwitzigen Werbebudgets: Autobauer und Brauseproduzenten, die für 30 Sekunden Werbezeit während des Football-Endspiels schnell mal 5,5 Millionen Dollar überweisen."
+++ Wenn wir gerade bei ganz guten Überblicks-Artikeln von der SZ-Medienseite sind: Es hat noch einen gegeben, von Ralf Wiegand über Zeitschriften-Cover an sich, sowie über den internationalen Wettbewerb "um das härteste Präsidenten-Cover aller Zeiten". Um Präsident Steinmeier ging es dabei nicht; die deutschen Hefte Stern und Spiegel seien vorn dabei, aber nicht erster gewesen. +++
+++ Was es auch noch nie gab: Tilo Jung nur zwei Zeilen über Günter Gaus, zuzüglich der Frage, warum "die öffentlich-rechtlichen Sender eine verdienstvolle Interviewreihe wie 'Jung & Naiv', ... nicht längst an sich gebunden" haben? Jetzt aber: wiederum in der MK, in Torsten Körners Leitartikel "Die Demokratie braucht neue Bilder". +++
+++ Was es ebenfalls noch nie gab: eine "Revolution bei VG Wort" (Stefan Niggemeier, uebermedien.de). Diese Revolution dürfte freilich nur solange Bestand haben, bis "die Gesetzeslage etwa auf europäischer Ebene" sie wieder außer Kraft gesetzt haben wird. +++
+++Das Wort "Anti-Fake-News-Rausch" ist zu lang und enthält zu viele Bindestriche, um Furore machen zu können, trifft aber den Trend im, äh: Qualitätsjournalismus. Es stammt von Daniel Bouhs und steht in seinem TAZ-Artikel über diesbezügliche Aktivitäten. +++
+++ Seit Spiegel Daily den Markt rockt, ist Entschleunigung ein Mega-Trend (Altpapier). Wer am Wochenende auch mal kräftig entschleunigt hat: Pro Sieben. "Bis 0:15 Uhr sollte 'Schlag den Star' laufen, bis kurz nach 2 Uhr ging es. Und das lag nicht etwa daran, dass beim ersten Frauen-Duell in diesem Jahr die Kandidatinnen Lena Meyer-Landrut und Lena Gercke alles zehnmal erklärt bekommen mussten (Frauen halt, haha), die beiden zu viel sabbelten (Frauen halt, hihi) oder einfach zu ungeschickt für die Spiele waren (Frauen halt, höhö). Also auch. Aber vielmehr lag es daran, dass ProSieben sich zum Ziel gesetzt hatte, die schöne Werbung nicht mit unnötig viel Show zu stören ..." (Christine Holthoff aus der Funke-Zentralredaktion). +++ Erfolg: der "beste Marktanteil seit 2015" (meedia.de). +++
+++ Fanden alle Sascha Lobos hier schon mehrfach, zuletzt am Freitag erwähnte neue Fernsehshow "Manipuliert" gut? Nein. "Der Erkenntnisgewinn stellt sich hier auch deshalb nicht ein, weil den Schülern schlicht zu eindeutig vorgekaut wird, was sie gut und was sie schlecht finden sollen. Denn auch, wenn man versucht, die Populisten einzubinden: Im Feldversuch bei einer rechten Demonstration fordert Lobo, nachdem kurz die Gegendemonstranten zu Wort gekommen sind, doch nur wieder Deutschlands allerdümmste Nazis zum Dialog auf. Eben jene, die man gerne vorführt, weil sie per se nicht mit sich reden lassen." (faz.net). +++
+++ Wie finden Kritiker die erste "Twin Peaks"-Staffel des laufenden Jahrtausends? Können sie noch nicht wissen (Tsp.). +++
+++ "Wenn wirklich so viele Personen von Hirschfängern durchbohrt oder heimtückisch mit Jagdstutzen erschossen werden würden wie im Fernsehen, wäre die Bevölkerung mittlerweile ausgedünnt. Klug sind aber zum Beispiel die 'Rosenheim Cops' angesiedelt, denn Rosenheim ist, im Vergleich zu anderen Orten, tatsächlich ein relativ heißes Pflaster. Die 60 000-Einwohner-Stadt hatte zeitweise eine höhere Kriminalitätsrate als München, in Rosenheim blühte in den Neunzigern die Drogenszene und bis heute das Rotlicht-Milieu. Grund ist unter anderem die nahe Grenze zu Österreich. Die Einheimischen nennen ihren Wohnsitz manchmal liebevoll 'Rosencrime'", schreibt die Bayerin Tatjana Kerschbaumer über die (Ober-)Bayern-Krimi-Flut des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ebenfalls im Tsp.. +++
+++ Die Nase vorn in punkto Bigotterie habe der Schwarzwälder Bote (uebermedien.de). +++
+++ Es gibt sie noch, die richtig guten Überschriften, z.B.: "In Paris bin ich höflich, in Berlin Berliner" (überm Frederick-Lau-Interview des Tagesspiegels; es geht außer um Arthouse-Filme, die Lau am liebsten dreht, auch um die Fernsehserie "4 Blocks"). +++
+++ "Wer den Verdienst und die Zusatzleistungen eines Mitarbeiters so detailliert in die Öffentlichkeit transportiert, der muss mit dieser Frage rechnen und sie beantworten: Was verdienen Kahn und Kleber beim ZDF?" (schon wieder Joachim Huber, der da freilich strategisch verschweigt, dass das ZDF Elmar Theveßens Gehalt nicht freiwillig veröffentlicht bzw. Claus Kleber und Olli Kahn aus genau solchen Gründen als freie Mitarbeiter angeheuert hat). +++
+++ Es gibt sie noch, die richtig guten Überschriften (II), z.B. "Der Mörder ist immer der freie Mitarbeiter". Die gilt auf der FAZ-Fernsehseite dem heutigen 20.15-Uhr-Fernsehkrimi des ZDF (!) und scheint bereits die Auflösung zu spoilern. Wobei Matthias Hannemann den Film ("will bloß ein amüsanter Landhaus-Krimi sein") auch weniger toll findet. +++ "Der realistische Handlungshintergrund ist selbstredend alles andere als witzig, aber einen etwaigen bitteren Beigeschmack lässt die Inszenierung gar nicht erst aufkommen; die leutselige Musik ist ohnehin ein unmissverständliches Signal, dass 'Der Chef ist tot' in erster Linie unterhalten soll ..." (TPG hier nebenan über denselben Film). +++ Nachtrag: wobei solche Überschriften (und erst recht: Filme) natürlich nur in saturierten Fernsehkrimi-Republiken funzen.
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.